Oft reichen Medikamente nicht aus, um bei Epilepsie Anfallsfreiheit zu erreichen. Ein alternatives Therapieverfahren ist die Vagusnervstimulation – wie sie funktioniert und für wen sie in Frage kommt, lest ihr hier.
Epilepsien sind in vielen Fällen medikamentös gut behandelbar, jedoch besteht bei einem nicht unerheblichen Anteil der Epilepsiekranken eine Pharmakoresistenz. Eine pharmakoresistente Epilepsie liegt vor, wenn trotz Behandlung mit mindestens zwei verschiedenen anfallssuppressiven Medikamenten weiterhin epileptische Anfälle auftreten.
Die früheren Bezeichnungen „Antiepileptika“ und „Antikonvulsiva“ werden von den epileptologischen Fachgesellschaften nicht mehr empfohlen, da die Medikamente nicht die Epilepsie selbst behandeln, sondern nur das Auftreten von Anfällen verhindern können. Auch der Begriff „Antikonvulsiva“ ist ungenau, da auch Anfälle unterdrückt werden, die nicht mit Konvulsionen (d. h. motorischen Anfallserscheinungen) einhergehen. Stattdessen hat man sich in Anlehnung an den englischen Begriff „antiseizure medication“ auf die Bezeichnung „anfallssuppressive“ oder „anfallssupprimierende“ Medikamente geeinigt. In der Realität sind aber natürlich noch die alten Begriffe gebräuchlich, vor allem außerhalb der Epilepsie-Spezialisten.
Bei etwa einem Drittel der Epilepsiepatienten besteht eine Pharmakoresistenz. Wenn zwei Medikamente erfolglos eingesetzt wurden, sinkt die Chance, mit einem weiteren Medikament Anfallsfreiheit zu erreichen. Dies hat sich auch durch neuere anfallssuppressive Medikamente nicht wesentlich geändert.
In einer Kohortenstudie aus Schottland wurde die Erfolgsrate der medikamentösen Epilepsietherapie im Zeitverlauf untersucht. Mit dem ersten Medikament wurden etwa 50 % der Patienten anfallsfrei, mit dem zweiten Medikament noch etwa 12 %. Beim dritten Medikament waren es nur noch 4 % und ab dem vierten Medikament bestand in der Regel keine realistische Chance mehr, durch weitere medikamentöse Versuche Anfallsfreiheit zu erreichen. Ernüchternd war, dass sich diese Wahrscheinlichkeiten über die Zeit nicht änderten. Die Daten wurden getrennt für die Zeiträume 1982–1991, 1992–2001 und 2002–2012 ausgewertet. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in den Erfolgsraten, obwohl in der Zwischenzeit mehr als 10 neue Medikamente zur Anfallsunterdrückung auf den Markt gekommen waren.
Auch wenn das erst nach der Veröffentlichung der genannten Studie zugelassene Cenobamat dem einen oder anderen Patienten Anfallsfreiheit bringen wird, bleibt die Pharmakoresistenz ein häufiges Phänomen bei Menschen mit Epilepsie.
Wenn Medikamente nicht ausreichend wirken, ist dies kein Grund aufzugeben. Wird eine Pharmakoresistenz festgestellt oder zeichnet sich eine solche ab, sollte frühzeitig an nichtmedikamentöse Therapiealternativen gedacht werden. In erster Linie wird dann geprüft, ob eine operative Therapie infrage kommt. Diese ist vor allem dann erfolgversprechend, wenn eine umschriebene Hirnläsion als Ursache der Epilepsie vorliegt. In diesen Fällen bestehen gute Chancen, die Epilepsie durch eine Operation in den Griff zu bekommen.
Kommt ein epilepsiechirurgischer Eingriff nicht infrage, ist die Vagusnervstimulation eine Alternative. Obwohl diese Methode bereits seit 30 Jahren bei pharmakoresistenten Epilepsien eingesetzt wird, ist sie außerhalb von Fachkreisen noch wenig bekannt. Eine neue Übersichtsarbeit fasst die Erkenntnisse über den vermuteten Wirkmechanismus und die Effekte der Vagusnervstimulation bei Epilepsie zusammen.
Die Vagusnervstimulation (VNS) erfolgt über ein kleines Implantat, das unter die Haut im Brustbereich eingesetzt wird. Von dort führen Elektroden zum linken Vagusnerv am Hals. Im Gegensatz zum rechten Vagusnerv hat der linke weniger direkte Verbindungen zum Herzen – die Gefahr von Herzrhythmusstörungen ist daher geringer. Der Vagusnerv enthält vor allem sensorische Nervenfasern, die Informationen aus dem Körper an das Gehirn weiterleiten. Durch die Stimulation werden über spezielle Hirnzentren, insbesondere im Hirnstamm, neuronale Netzwerke beeinflusst, die bei der Entstehung epileptischer Anfälle eine Rolle spielen.
Studien weisen darauf hin, dass dabei bestimmte Botenstoffe wie Noradrenalin und Serotonin ausgeschüttet werden, die eine dämpfende Wirkung auf übererregbare Nervenzellen haben. Die Stimulation erfolgt nicht kontinuierlich, sondern in Intervallen. In der Regel wird in der Standardeinstellung 30 Sekunden lang stimuliert, gefolgt von einer 5-minütigen Pause. Diese Einstellungen lassen sich individuell anpassen.
Obwohl mit der VNS selten eine vollständige Anfallsfreiheit erreicht werden kann, wird bei vielen Patienten eine deutliche Reduktion der Anfälle erzielt. Im Durchschnitt sinkt die Anfallshäufigkeit im ersten Jahr nach der Implantation um etwa 30 bis 50 %. Interessanterweise zeigt sich der volle Nutzen oft erst nach längerer Zeit: Nach zwei Jahren beträgt die durchschnittliche Anfallsreduktion sogar bis zu 58 %. Je nach Studie sprechen also etwa ein Drittel bis die Hälfte der Patienten gut auf die Therapie an.
Wichtig ist: Auch wenn die Anfälle nicht ganz verschwinden, empfinden viele Patienten eine Verbesserung ihrer Lebensqualität. Bei einigen verbessern sich als Nebeneffekt zusätzlich Stimmung, Aufmerksamkeit oder Schlaf – neben der pharmakoresistenten Epilepsie ist auch die therapieresistente Depression ein Einsatzgebiet der VNS.
Wie jede Therapie ist auch die VNS nicht frei von Nebenwirkungen. Am häufigsten treten Heiserkeit oder ein Kribbeln im Hals auf, da der Vagusnerv auch die Kehlkopfmuskulatur versorgt. Diese Symptome sind in der Regel harmlos und treten nur während der Stimulation auf. Mit der Zeit klingen sie oft ab oder werden als weniger störend empfunden.
In Einzelfällen kann es zu Kurzatmigkeit kommen, die ebenfalls nur während der Stimulation auftritt. Sind diese Nebenwirkungen zu störend, muss der Stimulator abgeschaltet werden. Dies ist jedoch selten notwendig, die meisten Patienten empfinden die VNS als angenehm. Eine offene Frage ist derzeit noch, welche Stimulationsparameter – also Stromstärke, Impulsdauer, Frequenz – für welchen Patienten am besten geeignet sind. Die bisherige Praxis beruht auf Erfahrungswerten, individuell optimierte Einstellungen könnten die Wirksamkeit in Zukunft weiter verbessern.
Chen et al. Treatment Outcomes in Patients With Newly Diagnosed Epilepsy Treated With Established and New Antiepileptic Drugs: A 30-Year Longitudinal Cohort Study. JAMA Neurol., 2018. doi: 10.1001/jamaneurol.2017.3949Patros et al.: The physiology, anatomy and stimulation of the vagus nerve in epilepsy. J Physiol., 2025. doi: 10.1113/JP287164
Bildquelle: Ainur Khakimov, Unsplash