Wer Schwurbel wie Kügelchen, Salze und Blüten verkaufen will, hat in der Apotheke nichts verloren. Warum einige meiner Kollegen doch so anfällig für diesen Quatsch sind, werde ich nie verstehen. Eine persönliche Geschichte.
Vorab: Ich glaubte niemals an die Homöopathie. Ich habe also keine Geschichte für euch, wie ich dazugelernte und meine Meinung sich um 180 Grad drehte. Meine Eltern gaben mir nie irgendwelche Kügelchen und mein damaliger Arzt war seriös, ein Halbgott in Weiß. Als Jugendlicher besuchte ich mit meinen Freunden oft eine Apotheke in meiner Stadt, die einem Mann mittleren Alters gehörte. Wir ließen uns zu allen möglichen Dingen beraten und stellten unendlich viele Fragen. Dieser Apotheker wusste alles, er schien auf alle Fragen eine Antwort zu haben. Das beeindruckte mich. Ich hatte fortan großen Respekt vor Apothekern und dachte, alle wären so.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade meine Mittlere Reife in der Tasche und habe mit einer Ausbildung begonnen. Selbst Apotheker zu werden, war für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Jahre später ging ich in eine andere Apotheke und gab an, mich ständig erschöpft und müde zu fühlen. Ich vermutete, dass ich eventuell einen Eisenmangel haben könnte. Ich wollte Eisen, aber ich bekam Lactose. Genau genommen ein Schüßler-Salz: Ferrum Phosphoricum D12.
Keine Homöopathie, aber ziemlich nah dran. Ich kaufte es. Warum auch nicht? Es wurde mir ja von einem Apotheker empfohlen. Ich war Laie und kannte mich nicht aus mit diesem Zeug. Es gab keinen Grund, ihn anzuzweifeln. Ich hielt schließlich sehr viel von Apothekern.
Doch dieser Apotheker war nicht wie der andere aus meiner Jugend. Dieser Apotheker nutzte entweder meine Unwissenheit aus und war unseriös oder er war selbst unwissend, was allerdings unmöglich ist. Unverschämt.
Wenn ich heute daran zurückdenke, ärgere ich mich natürlich darüber. Nicht über mich – denn es war nicht meine Aufgabe, Bescheid zu wissen. Seine hingegen schon. Wenn man Fachleuten auf ihrem Fachgebiet nicht mehr vertrauen kann, wem dann? Warum empfahl er mir diese Lactosetabletten bei Eisenmangel? Weil er Geld verdienen wollte? Nein, dann hätte er mir auch richtige Eisentabletten verkaufen können und sich nicht schlecht fühlen müssen, dass er mir nur ein Placebo verkaufte. Die einzige Schlussfolgerung für mich kann nur sein, dass er selbst an diesen Hokuspokus glaubte.
Ungefähr zur selben Zeit hatte ich eine Zahnärztin, die Spaß daran hatte, mir kleine Nadeln ins Ohr zu stecken. Sie meinte, das mache sie, damit ich nicht würgen muss, wenn sie einen Abdruck des Oberkiefers nehme. Ich würgte trotzdem. Sie erklärte mir, dass es ohne die Nadeln noch viel schlimmer gewesen wäre. Aber natürlich. Ich bin mir sicher, dass sie das genauso in ihrem Studium lernte. Ordentlich Nadeln für Zahnärzte.
Für die Nadeln musste ich privat bezahlen. Gut so. Außerdem wollte sie, dass ich mir anthroposophischen Aufbaukalk für meine Zähne kaufte. Der schmeckte zwar gut, weil er aus Lactose bestand, brachte aber nichts. Wie auch. Ich wechselte die Zahnärztin.
Eines Tages benötigte ich einen HNO-Arzt, da meine Nase des Öfteren verstopft war und ich mir nicht täglich abschwellendes Nasenspray in die Nase pumpen wollte. Ich fand einen. Jedoch keinen guten, denn seine Lösung war, mir ein homöopathisches Nasenspray auf einem grünen Rezept zu empfehlen. Ich sprach ihn darauf an und fragte ihn, ob er mein Problem nicht ernst nehmen würde, weil er mir nur ein Placebo verordnete. Er erwiderte nur: Mit diesem Nasenspray habe ich immer gute Erfahrungen gemacht. Ich hatte jedoch keine gute Erfahrung gemacht. Mit ihm.
Spätestens von da an hatte ich bei jedem neuen Arzt Angst, dass er plötzlich auf die unsinnige Idee kommen könnte, mir Globuli zu empfehlen. Sodass ich leider mit ihm Schluss machen müsste, auch wenn ich bis dahin eigentlich sehr zufrieden war. Wer sich auf dieses unwissenschaftliche Niveau herablässt, dem kann ich auch sonst nicht vertrauen. Ich möchte Fachleuten auf ihrem Gebiet so vertrauen können wie einst meinem Apotheker.
Nach meinem Abitur wollte ich dann auch Fachmann werden. Also beschloss ich, Pharmazie zu studieren, um Apotheker zu werden. Das Studium war sehr lernintensiv und extrem naturwissenschaftlich ausgelegt. Es gab darin auch keinen Platz für Pseudomedizin. Während des Studiums habe ich sehr viele zukünftige Apotheker kennengelernt, aber ich kann mich an niemanden erinnern, der an die Homöopathie glaubte. Weder Professoren noch Kommilitonen. Wir wussten alle, dass die Homöopathie keine Wirkung hat, die über den Placeboeffekt hinausgeht.
Was wir im Studium in Bezug auf Homöopathie, Schüßler-Salze und Bach-Blüten dann doch gelernt hatten, waren die verrückten Hypothesen, die ihnen zugrunde liegen. Als Apotheker empfiehlt es sich, darüber Bescheid zu wissen, warum diese Hypothesen eben nur Hypothesen sind. Wir lernten also nicht, bei welchen Krankheiten welche Globuli, welches Salz und welche Bach-Blüten eingesetzt werden. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich kann mich natürlich nur auf mein Studium beziehen. Ich weiß nicht, wie es an anderen Universitäten oder zu anderen Zeiten an meiner Universität war.
Als ich Jahre später das Studium abgeschlossen hatte, musste ich mein Praktisches Jahr absolvieren. Das tat ich in einer kleinen Apotheke, deren Inhaberin sich sehr zur dunklen Seite der Pseudomedizin hingezogen fühlte. Sie war ein etwas seltsamer Mensch. Möglicherweise kann das als Erklärung dafür herhalten, warum sie der Homöopathie verfallen war. Möglicherweise wurde sie aber auch durch zu viel Homöopathie seltsam. Henne oder Ei – ich weiß es nicht.
Sie versuchte jedenfalls ständig, die passenden Globuli für ihre Kunden herauszusuchen. Es war unerträglich für mich. Diese Apothekerin sollte mir etwas beibringen, aber offensichtlich war sie dazu nicht in der Lage. Sie hätte wohl eher von mir lernen können, aber dazu war sie auch nicht bereit.
Eines Tages war ich erkältet und sie suchte mir dafür freundlicherweise – und ungefragt – die passenden Globuli aus. Ich hatte zwar keine Lust, sie zu nehmen, tat es aber dennoch. Um meine Ruhe zu haben. Mir war klar, dass außer einem Anstieg meines Blutzuckerspiegels nichts passieren würde. Und, oh Wunder, meine Erkältung verschwand nicht.
Ihr Studium fand circa 20 Jahre vor meinem statt. An der gleichen Universität. Teilweise sogar mit den gleichen Professoren. Aber war ihr Studium damals schlechter? Saß sie in den Vorlesungen, lachte komisch und sagte: „Nein, das glaube ich nicht, die Homöopathie heilt. Sanft.“ Oder hat sie in den 20 Jahren alles vergessen, was sie gelernt hatte? Wurde sie gar von einem Heilpraktiker hypnotisiert und einer Gehirnwäsche unterzogen? Ich weiß es nicht. Aber auch ihr Beweggrund, Homöopathie zu empfehlen, war nicht das Geld. Sie glaubte daran, warum auch immer. Halleluja.
Was ihr nicht so gefiel, war, dass ich ihren Kunden von der Homöopathie abriet. Aber das war das einzig Richtige. Ich war damals zwar noch kein Apotheker, aber das hielt mich auch nicht davon ab, für die Wissenschaft einzustehen. Der Glaube hat in Apotheken genauso wenig zu suchen wie in Arztpraxen. Der Glaube ist Sache des Pfarrers oder des Heilpraktikers. Zumindest hat er nichts in der Apotheke verloren.
Apropos Heilpraktiker: Ihr wisst ja, ich liebe Heilpraktiker. Man erfährt von ihnen immer, was wissenschaftlich widerlegt ist, weil sie es einem empfehlen. Das ist wichtig, das gibt ihrer Existenz einen Zweck. Kurz vor dem dritten Staatsexamen kam dann auch ich mit einer Heilpraktikerin in Kontakt, denn wir Pharmazeuten mussten nochmal die Schulbank drücken, um mit dem dritten Staatsexamen unsere Approbation zu erlangen. Was ich an dem Unterricht nicht vergesse und der Apothekerkammer niemals verzeihen werde ist, dass sie uns diese Heilpraktikerin vorsetzten. Eine Heilpraktikerin, die uns in der Pseudomedizin unterrichten sollte. Warum zum Teufel sollte das nötig sein?
Auch, wenn diese Heilpraktikerin es damals nicht Pseudomedizin nannte, war sie doch deren Königin. Die Schwurbelkönigin. Sie war so extrem verschwurbelt, dass ich „extrem“ am liebsten mit extrem vielen „e“ schreiben würde. Okay, was soll’s: Sie war so extreeeeeeeeeeeeeeem verschwurbelt; sie verglich die Homöopathie sogar mit einer CD, denn auf dieser könne man die Informationen ja auch nicht sehen, dennoch sind sie da. Damit hat sie genau NULL Personen überzeugt. Ich war bedient. Das war nicht auszuhalten. Man muss sich das einmal vorstellen: Da sitzen zig Pharmazeuten, die gerade ihr naturwissenschaftliches Studium abgeschlossen haben und die Apothekerkammer setzt ihnen eine Heilpraktikerin vor. Ich überlebte es knapp, machte mein drittes Staatsexamen und war nun endlich Apotheker.
In all den Jahren danach arbeitete ich in verschiedenen Apotheken. Meiner Erfahrung nach waren die, die meinten, Homöopathie empfehlen zu müssen, hauptsächlich PTA. Erstaunlicherweise wussten die PTA meistens nichts von den Grundlagen der Homöopathie, dafür umso mehr, was man wann einsetzen sollte. Das sind nur meine Erfahrungen. Ich habe mittlerweile auch von vielen PTA gehört, dass sie nicht so sind und dass es bei ihnen in der Apotheke eher die Apotheker sind.
Fakt ist allerdings, dass die Zeitschriften, die für Apotheker geschrieben wurden, nie eine homöopathische Alternative vorschlagen, während es die PTA-Zeitschriften sehr wohl machen bzw. machten – ich habe da schon lange nicht mehr reingeguckt. Wird erklärt, wie man eine bestimmte Krankheit behandeln kann, wird auch häufig ergänzt, wie man sie auch homöopathisch behandeln kann. Was soll das? Aber es gab auch die ein oder andere Apothekerin, mit der ich gearbeitet habe, die daran glaubte. Doch keine war so schlimm wie meine USK, meine Ultra-Schwurbel-Kollegin, die in fast jedem Kundengespräch auf das Thema Homöopathie zu sprechen kam und versuchte, ihre Kunden davon zu überzeugen.
Wenn es nach mir ginge, würde jeder sofort seine Approbation verlieren, der auf die Idee kommt, Homöopathie aktiv zu empfehlen. Diese Apotheker tun unserem Beruf nicht gut. Sie lassen die Menschen an unseren Fähigkeiten als Fachleute zweifeln und das ist nicht gut. Ich möchte, dass Apotheken nur Arzneimittel mit einer nachgewiesenen Wirkung verkaufen. Alles andere kann gerne der Heilpraktiker anbieten. Dann ist der Schwurbel endlich da, wo er hingehört: Beim Schwurbler.
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