Die Hautkrebs-Fallzahlen in Deutschland steigen, doch das Screening kann nicht mithalten. Die Evidenz ist dünn, die Wartezeiten sind lang – und neue Alternativen werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.
Hautkrebs ist auf dem Vormarsch. Laut dem aktuellen Arztreport der Barmer Krankenkasse hat sich die Zahl der Behandlungen von schwarzem Hautkrebs (malignes Melanom) zwischen 2009 und 2022 um rund 20 Prozent erhöht. Die Fälle von hellem Hautkrebs haben sich im gleichen Zeitraum sogar verdoppelt. Ein alarmierender Trend, der die Wichtigkeit frühzeitiger Erkennung unterstreicht. Doch wie gut ist das deutsche Gesundheitssystem darauf vorbereitet?
Seit 2008 haben gesetzlich Versicherte ab dem 35. Lebensjahr alle zwei Jahre Anspruch auf ein Hautkrebs-Screening. Das soll helfen, potenziell lebensbedrohliche Hautveränderungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Doch die wissenschaftliche Grundlage dieses Angebots ist dünn. Ein Cochrane-Review sowie eine Übersichtsarbeit im BMJ Evidence-Based Medicine kommen zu dem Schluss, dass es bislang keine ausreichenden Belege dafür gibt, dass das Screening die Sterblichkeit tatsächlich senkt. Die Zahl der Diagnosen steigt zwar, aber nicht die Zahl der geretteten Leben.
Kritiker sprechen von einem typischen Beispiel für Überdiagnostik: Möglicherweise werden einfach viele harmlose Hautveränderungen entfernt, ohne dass ein echter medizinischer Nutzen entsteht. Auch der ehemalige Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Professor Jürgen Windeler, hat sich wiederholt kritisch über das Hautkrebs-Screening geäußert. In verschiedenen Interviews mit dem WDR, dem RBB und der WELT weist er darauf hin, dass das Screening auf einer schwachen Datenbasis eingeführt wurde und bislang kein Rückgang der Sterblichkeit nachgewiesen werden konnte (z. B. hier und hier). Windeler warnt vor einer trügerischen Sicherheit für Patienten sowie vor unnötigen Eingriffen, die durch Überdiagnosen ausgelöst werden.
Ein weiteres Problem: Der Zugang zum Screening ist oft alles andere als einfach. Laut verschiedenen Erhebungen warten gesetzlich Versicherte in Deutschland durchschnittlich mehr als 35 Tage auf einen Termin beim Hautarzt – in ländlichen Regionen sogar deutlich länger. Bereits 2016 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass gesetzlich Versicherte in Hessen im Schnitt 38 Tage auf einen Hautarzttermin warten mussten, während Privatversicherte deutlich bevorzugt wurden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bestätigte in ihrer Versichertenbefragung 2021, dass regionale Unterschiede die Versorgungslage beeinflussen. Zwar konnten 46 % der Befragten innerhalb von drei Tagen einen Termin erhalten, doch gerade bei Facharztbesuchen ist das Bild deutlich durchwachsener. Um gegenzusteuern, wurden 2016 sogenannte Terminservicestellen eingeführt, die innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin vermitteln sollen – allerdings nur mit „Zwei-Klassen-Medizin“-Vorwurf bekommt hier neuen Zündstoff.
Für Menschen mit Verdacht auf Hautkrebs ist diese Wartezeit nicht nur frustrierend, sondern potenziell gefährlich, denn ein malignomverdächtiger Fleck entwickelt sich nicht nach Terminlage. Das System scheint an dieser Stelle seinem eigenen Anspruch nicht gerecht zu werden. Hinzu kommt, dass viele Dermatologen entweder keine neuen Patienten aufnehmen können, oder nur begrenzte Slots für gesetzlich Versicherte freihalten. Wer zudem in einer unterversorgten Region lebt, etwa auf dem Land, hat das Nachsehen. Die Diskrepanz zwischen medizinischem Anspruch und praktischer Versorgung klafft weit auseinander.
Vor diesem Hintergrund gewinnen digitale Lösungen an Bedeutung. Zahlreiche sogenannte Hautarzt-Apps buhlen derzeit um das Vertrauen der Nutzer. Sie versprechen schnelle Ersteinschätzungen per Smartphone-Kamera und können gerade in strukturschwachen Regionen eine erste Orientierung bieten. Doch wie verlässlich sind sie?
Einige Apps wie etwa „SkinVision“ oder „DermaCheck“ nutzen künstliche Intelligenz, um Hautveränderungen zu analysieren. Studien zu ihrer Genauigkeit liefern durchwachsene Ergebnisse. Eine 2020 in The Lancet Digital Health veröffentlichte Untersuchung attestierte bestimmten KI-gestützten Systemen eine Treffergenauigkeit, die mit der von Dermatologen vergleichbar sei. Andere Studien fanden hingegen eine hohe Rate an falsch-positiven oder falsch-negativen Bewertungen. Für den Einsatz im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung fehlen derzeit standardisierte Zulassungsverfahren und klare Richtlinien.
Ein Spezialfall ist das Gerät „Nevisense“, das die elektrische Impedanz der Haut misst, um zwischen gutartigen und bösartigen Veränderungen zu unterscheiden. Erste Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse, allerdings ist das Verfahren aufwändig und wird bislang nur in spezialisierten Zentren eingesetzt. Auch hier stellt sich die Frage: Erweitern solche Technologien den Zugang zur frühzeitigen Diagnose oder verlagern sie die Verantwortung auf den Patienten? Teledermatologische Angebote können hilfreich sein, aber sie ersetzen keine gründliche klinische Untersuchung.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass Hautkrebs nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betrifft. Laut Barmer-Arztreport sind vor allem Geburtsjahrgänge ab Ende der 1950er-Jahre besonders gefährdet. So lag etwa das Risiko für schwarzen Hautkrebs bei 1968 geborenen Frauen doppelt so hoch wie bei Frauen des Jahrgangs 1952. Die Ursache liegt unter anderem in häufigen Sonnenbränden in Kindheit und Jugend – zu einer Zeit, als Sonnenschutz kaum thematisiert wurde. Umgekehrt zeigt sich ab der Generation Y (geboren ab etwa 1980) ein Rückgang des Hautkrebsrisikos. Jahrgänge wie 1995 sind laut Report seltener betroffen, was auf eine gestiegene Sensibilität für UV-Risiken und präventives Verhalten zurückgeführt wird.
Was am Ende bleibt, ist ein ambivalentes Bild: Die Zahl der Hautkrebsdiagnosen steigt, der Zugang zur Vorsorge ist eingeschränkt, und die Rolle digitaler Helfer ist noch nicht ausreichend geklärt. Es fehlt an systemischer Kohärenz. Wenn das Hautkrebs-Screening tatsächlich Leben retten soll, braucht es mehr als einen Anspruch im Leistungskatalog der Krankenkassen. Es braucht eine solide wissenschaftliche Basis, bessere Versorgungsstrukturen und eine kluge Integration digitaler Hilfsmittel. Prävention funktioniert nur, wenn sie nicht an Terminschwellen, regionaler Unterversorgung oder technischer Unzuverlässigkeit scheitert.
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