Das Risiko eines plötzlichen Herztodes verdoppelt sich bei einer andauernden Therapie mit Antidepressiva – behauptet eine Studie. Aber kein Grund zur Panik: Richtig interpretiert, zeigt sich ein ganz anderes Bild.
Ein dänischer Beitrag zur Konferenz der European Heart Rhythm Association (EHRA) hat sich kürzlich mit dem Risiko eines plötzlichen Herztods (sudden cardiac death, SCD) während der Einnahme von Antidepressiva (AD) befasst. Essenz war, dass sich das Risiko eines plötzlichen Herztodes bei einer bis zu 5 Jahre dauernden Antidepressiva-Behandlung um 50 % erhöhen kann und bei einer Behandlungsdauer von 6 Jahren oder mehr ungefähr verdoppelt.
Mehrere Medien griffen die Studie auf und diskutierten über die potenziellen Risiken einer längerfristigen Antidepressiva-Einnahme. Wenn in der Presse oder in sozialen Medien Überschriften und Berichte verkürzt oder reißerisch dargestellt werden, kann das Patienten natürlich verunsichern: Die Vorstellung, dass ein Medikament, das eigentlich helfen soll, potenziell lebensgefährlich ist, kann bei Betroffenen Angst, Zweifel oder sogar einen Therapieabbruch auslösen.
Man muss sich deshalb die Daten und Studienergebnisse etwas genauer und im Gesamtkontext ansehen: Depression ist ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Mortalität – losgelöst von co-existenten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Menschen mit Depressionen sterben früher als die Allgemeinbevölkerung. Obwohl Suizid einen Großteil dieser erhöhten Sterblichkeit ausmacht, ist die wichtigste Ursache eine schlechte körperliche Gesundheit. Man geht davon aus, dass depressive Menschen einen ungesunderen Lebensstil pflegen – sie sind inaktiver und haben z. B. weniger Motivation, sich gesunde Mahlzeiten zuzubereiten.
Die dänische Arbeitsgruppe untersuchte nun vorhandene Real-World Daten, Sterbeurkunden und Autopsieberichte. Alle Todesfälle wurden anhand der verfügbaren Informationen als Nicht-SCD oder SCD kategorisiert. Die Exposition gegenüber Antidepressiva (AD) wurde durch die Einlösung eines AD-Rezepts mindestens zweimal pro Jahr über einen Zeitraum von 12 Jahren definiert. Darüber hinaus wurde die Expositionsdauer in zwei Gruppen unterteilt:
Unter 4,3 Millionen Einwohnern im Alter von 18 bis 90 Jahren gab es insgesamt 45.701 Todesfälle, davon 6.002 Fälle von plötzlichem Herztod. 643.999 Einwohner hatten AD-Medikamente. Die Gesamtzahl der SCD in der AD-Kohorte betrug 1.981 Personen. Die Inzidenzrate von SCD war in den exponierten Gruppen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung signifikant höher. Unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Komorbiditäten betrug die Hazard Ratio für SCD 1,56 (1,46–1,67 p < 0,001) bei 1–5 Jahren Exposition gegenüber AD und 2,17 (2,01–2,31 p < 0,001) bei 6+ Jahren Exposition gegenüber AD.
Diese Zahlen können dahingehend interpretiert werden, dass das Risiko eines plötzlichen Herztodes bei Personen, die 1–5 Jahre lang Antidepressiva einnehmen, um 50 % steigt und sich bei einer Behandlungsdauer von 6 Jahren oder mehr im Durchschnitt aller Altersgruppen etwa verdoppeln könnte. Die Risiken waren ab einem Alter von 40 Jahren insgesamt höher. Diese Hazard Ratios mögen als relative Werte („50%“, „verdoppelt“) zunächst beunruhigend klingen, müssen aber im Kontext der absoluten Inzidenzen gesehen werden.
Die Datenauswertung wurde primär darauf angelegt, den Effekt von längeren AD-Exponierungen zu untersuchen, aber nicht das Risiko von AD als solches mit der Nicht-Einnahme zu vergleichen. Die absolute Inzidenz von SCD unter AD wurde im Abstrakt nicht angegeben, deshalb kann die absolute Risikoreduktion bzw. -zunahme nur geschätzt werden. Bei einer relativen Verdopplung des absolut ohnehin sehr geringen Risikos würde die Number Needed to Harm (NNT) etwa 200 betragen, also nur jede(r) zweihundertste Patient würde „wegen“ des Antidepressivums einen plötzlichen Herztod erleiden.
Zudem kann die Studie nicht eindeutig zwischen den Risiken der Antidepressiva-Behandlung und denen der Depression selbst unterscheiden. Depressionen sind bereits mit einem erhöhten Risiko für Herzerkrankungen verbunden. Deshalb empfiehlt sich eine gelegentliche Kontrolle des QT-Intervalls im EKG. Vorsicht ist dann geboten bei QT-verlängernden Arzneimitteln, Polypharmazie oder Elektrolytstörungen.
Bildquelle: Marek Studzinski, Unsplash