Die moderne Ernährung kehrt tierischen Produkten mehr und mehr den Rücken. Aber liegt die Lösung für ein längeres Leben wirklich im Gemüsebeet vergraben? Eine Studie zeigt: Veganer sind auch nur Menschen.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die gesundheitlichen Vorzüge einer pflanzlich ausgerichteten Ernährungsweise werden durch die aktuelle Studienlage gestützt. Aber muss es gleich der Komplettverzicht auf Fleisch und Fisch oder gar auf alle Produkte tierischer Provenienz sein? In Bezug auf die Gesamtmortalität hat das ein US-Forschungsteam unter die Lupe genommen: Leben Veganer und Vegetarier wirklich länger?
Klimawandel, Umweltbilanz, Ressourcenverknappung und Tierwohl – die Frage nach der richtigen Ernährung ist mittlerweile mit einer Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren überfrachtet. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung spielt die eigene Gesundheit beinahe eine untergeordnete Rolle. Insbesondere jene, die sich für eine vegane, allem Tierischem entsagende Lebensweise entscheiden, nennen mehrheitlich tierethische und ökologische Motivatoren. Dass eine ausschließlich pflanzliche Ernährung auch erhöhten Schutz gegenüber schwerwiegenden kardiometabolischen Erkrankungen bietet und konsekutiv die Gesamtmortalität reduziert, wird gern als willkommene Zugabe hinzugefügt.
Zweifellos punkten wenig verarbeitete pflanzliche Lebensmittel in der Regel mit ihrem Ballaststoff- und Mikronährstoffgehalt sowie einem günstigen Fettsäuremuster. Der neuralgische Punkt rein pflanzlicher Ernährungsformen sind eine Reihe von essentiellen (Mikro-)Nährstoffen, die in natürlicher Form nur von tierischen Quellen in ausreichend resorbierbarer Menge geliefert werden. Sorgfältige Supplementierung (B12), Lebensmittelzusätze (z. B. Kalzium in pflanzlichen Milchersatzprodukten) und die fachkundige Kombination pflanzlicher Eiweißlieferanten zur Abdeckung des gesamten essentiellen Aminosäurespektrums haben gesunden Erwachsenen den Weg zu veganen Ernährungsalternativen geöffnet.
Entgegen dem aktuellen Zeitgeist gibt es bislang keine valide Evidenz für eine grundsätzliche Überlegenheit – im Sinne von „gesünder“ und „die Lebenserwartung steigernd“ – einer rein veganen Kost. Es krankt zuvorderst daran, dass in aller Regel Vergleiche zwischen sich bewusst ernährenden Vegan-Kohorten mit extrem inhomogenen Omnivoren-Kohorten angestellt werden: Auf der einen Seite steht die sehr sorgsam auf notwendige Supplementierungen und Lebensmittelkombinationen achtende und hoch verarbeitete, zusatzstoffüberladene Fertigprodukte meidende Vegan-Fraktion. Auf der anderen Seite findet sich ein wildes Potpourri von Fleischberge vertilgenden „Fleisch ist mein Gemüse“-Essern bis hin zu sich bewusst pflanzenbasiert Ernährenden, die ihren Speiseplan bedarfsgerecht um hochwertige tierische Nährstofflieferanten bereichern. Dass diese Extreme bezüglich Nährstoff- und Energieaufnahme wenig miteinander gemein haben, steht wohl außer Zweifel.
Dennoch werden im Gros der Studien „die Omnivoren“ als vermeintlich homogene Gruppe Veganern gegenübergestellt. Ein trügerisches Bild ist da vorprogrammiert. Überdies fokussieren sich die meisten Studien auf spezielle Krankheitsrisiken, meist aus dem kardiometabolischen Formenkreis. An Langzeitanalysen zur Aufdeckung von Assoziationen zwischen Ernährungsweise und Gesamtmortalität herrscht ein Mangel. Bislang gab es dazu lediglich eine größere, 2017 publizierte bevölkerungsbasierte Langzeitstudie (»45 and Up Study«) mit einer insgesamt knapp 270.000 Personen (Alter > 45 Jahre) starken Bevölkerungskohorte aus den australischen Bundesstaat New South Wales.
Die etwa 240.000 Probanden, die bis zur Beendigung der Studie teilnahmen (Ø-Alter: 62.3 Jahre, 53,3 % ♀), wurden auf Basis semiquantitativer Selbstauskünfte in 4 Subkohorten eingeteilt: Komplettvegetarier, Pesco-Vegetarier, Wenig-Fleischesser („Semi-Vegetarier“) und regelmäßige Fleischesser. Über eine durchschnittliche Nachbeobachtungsdauer von 6,1 Jahren fanden sich keine signifikanten Mortalitätsunterschiede. „Wir haben keine Evidenz gefunden, dass eine vegetarische, semi-vegetarische oder pesco-vegetarische Ernährung eine eigenständige senkende Wirkung auf die Gesamtmortalität hat“, lautete das Studienfazit.
In einer aktuellen US-amerikanischen Studie hat die Arbeitsgruppe um Erstautorin Keeley Blackie von der Oregon State University in einem prospektiven Longitudinaldesign insgesamt vier bezüglich ihres Konsums tierischer Produkte feiner stratifizierte Ernährungsweisen im Hinblick auf die Gesamtmortalität über eine längere Nachbeobachtungszeitraum verglichen.
Die Arbeitsgruppe aus Oregon nutze die Daten der knapp 155.000 Personen (Alterspanne 55 bis 74 Jahre) umfassenden Kohorte des »PLCO Cancer Screening Trial«, einem Longitudinal-RCT zum Vergleich verschiedener Früherkennungsmethoden auf Prostata-, Lungen, Kolorektal- und Ovarialkrebs. Während der neunjährigen Screeningdauer wurden von alle Teilnehmern per Fragebögen Selbstauskünfte zu krebsrelevanten Risikofaktoren wie aktuelles/früheres Rauchverhalten, Alkoholkonsum, Vor-/aktuelle Erkrankungen, Körpergewicht/-größe, körperliche Aktivität und Ernährungsweise eingeholt.
Per separatem Fragebogen wurden im letzten Drittel des Screenings detailliertere Informationen zur Ernährungshistorie der letzten 12 Monate (bevorzugte Speisen und Getränke) mit besonderem Fokus auf dem vegetarischen Anteil gesammelt. Der Fragenkatalog umfasste Angaben zum Praktizieren verschiedener vegetarischer Ernährungsformen, zum partiellen oder vollständig Verzicht auf Fleisch bzw. bestimmte Fleischsorten (z. B. Rind, Schwein und Lamm), zum (Nicht-)Verzehr von verschiedenen Geflügelarten (Huhn, Pute, Ente) sowie von Fisch, Meeresfrüchten, Eiern und Milchprodukten.
Nach Ausschluss von Teilnehmern mit unklaren Ernährungsauskünften wurden die verbleibenden rund 117.700 Probanden vier Ernährungs-Subkohorten zugeordnet:1. Vegan: Totalverzicht auf jegliche Produkte tierischen Ursprungs2. Ovo- (und/oder) lacto-vegetarisch: vegan + Eier und/oder Milchprodukte; Verzicht auf Fleisch, Geflügel, Fisch, Meeresfrüchte3. Pesco-vegetarisch: vegan + Fisch und Meeresfrüchte; Verzicht auf Fleisch, Geflügel, Eier, Milchprodukte4. Omnivor: keine RestriktionenPrimärer Endpunkt war die Ermittlung prospektiver Zusammenhänge zwischen verschiedenen vegetarisch/veganen Ernährungsformen und der Gesamtmortalität im Vergleich zu einer restriktionsfreien omnivoren Ernährung. Während der durchschnittlich 18-jährigen Nachbeobachtungsdauer eingetretene Todesfälle wurden über jährliche Fragebögen und Abgleich mit dem nationalen Sterberegister ermittelt und daraus für jede Ernährungskohorte mittels multivariabler Cox-Regression das Gesamtmortalitätsrisiko berechnet.
Im Verlauf der Nachbeobachtung verstarb rund ein Drittel (33,8 % / ca. 39.800 Personen) der Gesamtkohorte. Gegenüber der als Referenz gesetzten Sterberate der Omnivoren-Kohorte lagen die Sterberaten-Differenzen der drei veganen/vegetarischen Kohorten bei:
Keine dieser Abweichungen erreichte das statistische Signifikanzniveau! Somit ist auch die scheinbar deutlich erhöhte Sterberate in der Vegan-Kohorte nicht valide.
Auch in einer zweiten Auswertung, die für Veganer und Ovo- u./od. Lactovegetarier zusammen ein um 9 % erhöhtes Sterberisiko (HR 1,09) gegenüber den Fleisch-/Fischessern (Omnivore und Pescovegetarier) auswies, wurde das Signifikanzniveau bei einem wiederum (zu) weiten 95 % Konfidenzintervall zwischen 0,93 und 1,22 verfehlt. Die These einer Senkung des Gesamtsterberisikos durch Verzicht auf Fleisch oder jegliche Produkte tierischer Herkunft wird analog zu den Ergebnissen der eingangs vorgestellten 45 and Up Study auch durch die Arbeit aus Oregon nicht bestätigt.
Die Aussagekraft der Oregon-Studie wird nicht nur durch die (für Ernährungsstudien eher typischen) ungeprüften Selbstauskünfte der Probanden zu ihrem Ernährungsverhalten und weiteren relevanten Lebensstilfaktoren dezimiert. Eine immense Größendifferenz zwischen Omnivoren-Kohorte (fast 117.000 Personen/ 99,3 % der Gesamtkohorte) und den um Größenordnungen kleineren vegetarisch/veganen Kohorten (329/ 0,3 % Ovo/Lacto-, 310/ 0,3 % Pesco-Vegetariern, 140/ 0,1 % Veganer) eingeschränkt.
Diese Zahlenverhältnisse mögen zwar die reale Unterrepräsentanz vegetarisch und vegan Lebender zumindest im Ansatz widerspiegeln – sind für statistische Aussagen aber „Gift“. Zudem war das Herausrechnen relevanter Störgrößen nicht unproblematisch, da etwa im Rauchverhalten, Alkoholkonsum und durchschnittlichen BMI teils deutliche Unterschiede zwischen den Ernährungskohorten vorlagen. Einmal mehr unterblieb auch in dieser Studie innerhalb der Omnivorenkohorte eine Stratifizierung nach Gewichtung von pflanzlichen und tierischen Anteilen, sodass die Ermittlung von Unterschieden im Outcome zwischen einer pflanzlich dominierten und einer von tierischen Produkten geprägten omnivoren Ernährungsweise von vorn herein kein Studienziel sein konnte. Gerade diese zentrale Fragestellung ist aber im globalen Studienpool massiv unterrepräsentiert.
Den Nachweis einer mortalitätssenkenden Wirkung veganer und vegetarischen Ernährungsformen bleibt auch die vorgestellt Langzeitanalyse aus Oregon schuldig. Dass der Mensch dank seiner Hirnentwicklung heute in der Lage ist, bei ausschließlich pflanzlicher Ernährung drohende Nährstoffmängel via Nahrungsergänzungsmitteln (zuvorderst B12) und industriellen Nährstoffzusätzen (z. B. Kalzium in Milchersatzprodukten) auszugleichen, ist eine Errungenschaft, die aus tierethischen, klima- und Umweltgründen Punkte sammelt.
Liegt der Fokus allein auf der menschlichen Biologie, steht dagegen außer Frage, dass sich unser Gebiss und besonders unser Verdauungstrakt markant von dem reiner Pflanzenfresser aus dem Tierreich unterscheidet. Uns fehlen deren riesige Gärkammern und die notwendigen Enzymaktivitäten zum hinreichenden Aufschluss jener voluminösen pflanzlichen Nahrungsmengen, die Wiederkäuer, Autokropophagen oder Planktonseier mit nahezu ununterbrochener Nahrungsaufnahme während der gesamten Wachzeit zu sich nehmen.
Zum positiven Abschluss: Mit Blick auf die Studienlage lässt sich bei vernünftiger Umsetzung mit einer omnivoren wie mit vegetarischen oder veganen Ernährungsweisen ein gesundes Leben führen. Jeder darf und sollte frei entscheiden, was am besten zu ihm passt, denn in letzter Konsequenz ist Ernährung immer eine hoch individuelle Angelegenheit, da sich Bekömmlich- und Unverträglichkeiten sowie nicht zuletzt der Geschmack nie pauschalisieren lassen. Dogmatismus und missionarischer Eifer sind daher fehl am Platz.
Keine nachgewiesene Langlebigkeit: Studien finden keine signifikant höhere Lebenserwartung durch vegetarische/vegane Kost.
Methodische Schwächen: Wenige Probanden in den Veggie-Gruppen und unklare Omnivore-Aufteilung verzerren Ergebnisse.
Fazit: Mit ausgewogener Ernährung (ob vegan oder omnivor) bleibt man gesund; ein rein gesundheitlicher Vorteil durch Fleischverzicht ist wissenschaftlich nicht eindeutig belegt.
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