Eine Patientin kann ihren rechten Arm nicht mehr kontrollieren, ein anderer Patient wird unfreiwillig zum Bauchtänzer. Was könnte hinter diesen kuriosen Bewegungsstörungen stecken?
Eines Morgens spricht mich in der Notaufnahme eine Kollegin von der Pflege an: Es habe sich eine Patientin vorgestellt, die am ehesten etwas Neurologisches habe. Ihr rechter Arm mache seltsame, unkontrollierte Bewegungen, ansonsten wirke sie unauffällig und habe keine weiteren Beschwerden. Ich gehe zu der neuen Patientin ins Untersuchungszimmer und sehe ein Phänomen, das auch für mich neu ist. Die Dame sitzt ruhig auf der Untersuchungsliege, aber ihr rechter Arm macht wilde, bizarre Ruderbewegungen. Es sind keine Zuckungen wie bei einem fokalen epileptischen Anfall, sondern unregelmäßige, große Bewegungen.
Als die Patientin mich bemerkt, hält sie mit dem linken Arm den zappelnden Rechten fest, was die Bewegungen weitgehend stoppt. Kleinere Bewegungen sind aber weiterhin zu sehen. Ich sammle mich kurz, um die Professionalität zu wahren und frage die Patientin nach dem Verlauf ihrer Symptome. Am Vortag seien diese unwillkürlichen Bewegungen plötzlich aufgetreten. Sie habe keine Kontrolle darüber, könne die Bewegungen aber weitgehend stoppen, indem sie den Arm festhalte. Seit dem Auftreten seien die Bewegungen mal stärker, mal schwächer geworden, hätten aber nie ganz aufgehört. Schlafen habe sie trotzdem einigermaßen gekonnt. Sie selbst habe keine Erklärung für die Symptome, etwas Vergleichbares habe sie noch nie erlebt.
Mir ist klar, dass es eine organische Ursache für die plötzlich aufgetretenen Symptome geben muss. Ich erinnere mich an den Begriff „Hemiballismus“. Ich habe mal darüber gelesen, aber dieses Phänomen noch nie live gesehen. Im Arztzimmer lese ich schnell noch einmal nach und suche nach einem Video des Phänomens – es sieht tatsächlich so aus wie bei der Patientin. Da die Symptome akut aufgetreten sind, die Patientin 70 Jahre alt ist und einen Bluthochdruck hat, ist ein Schlaganfall die wahrscheinlichste Ursache.
Tatsächlich zeigt die weitere Diagnostik in der MRT, dass ein kleiner Schlaganfall im Nucleus subthalamicus die Ursache für den Hemiballismus der Patientin ist. Es folgt die Abklärung der Schlaganfallursache auf der Stroke Unit, die Patientin wird mit ASS und Atorvastatin behandelt. Symptomatisch wird zusätzlich eine Therapie mit Tetrabenazin begonnen, das in den Dopamin-Stoffwechsel eingreift. Unter dieser Therapie bessern sich die unwillkürlichen Bewegungen. Im Verlauf der nächsten Tage bilden sich die Beschwerden vollständig zurück, sodass die Tetrabenazin-Therapie beendet werden kann.
Der im beschriebenen Fall aufgetretene Hemiballismus ist eine Form der Bewegungsstörung mit Überbeweglichkeit. Diese Symptome sind meist auf eine Schädigung im Bereich der Basalganglien zurückzuführen. Die Basalganglien sind tiefe Kernstrukturen im Gehirn, die aus grauer Substanz, also Nerven- und Gliazellen bestehen. Zwischen den einzelnen Kernen der Basalganglien bestehen komplexe Verbindungen, über die Bewegungsabläufe geplant und eingeleitet werden. Kommt es in diesen Schaltkreisen zu einer Fehlfunktion, kann dies – wie bei der Parkinson-Krankheit – zu Bewegungseinschränkungen führen.
Andererseits ist es möglich, dass durch eine Schädigung hemmende Einflüsse wegfallen. Die Folge ist dann eine Überbeweglichkeit – es treten Bewegungen auf, die nicht willentlich gesteuert werden können. Ein Hemiballismus entsteht durch eine Schädigung im Nucleus subthalamicus, einer kleinen linsenförmigen Struktur unterhalb des Thalamus. Normalerweise hemmt dieser Kern übermäßige Bewegungen. Wenn er geschädigt wird – z. B. durch einen Schlaganfall – kann diese hemmende Kontrolle verloren gehen, was zu übermäßigen, schleudernden Bewegungen führt.
Von einem weiteren Fall mit einer kuriosen Bewegungsstörung wird in JAMA Neurology berichtet. Ein 53-jähriger Mann stellte sich mit einer Lähmung des rechten Beines vor. Zusätzlich bestanden unwillkürliche und unregelmäßige Bewegungen der Bauchmuskulatur, die mit viel Phantasie an einen Bauchtanz erinnerten – es wurde eine sogenannte „Belly Dancer’s Diskinesia” diagnostiziert. Ursache war auch hier ein ischämischer Schlaganfall.
Dieser betraf den linken Frontal- und Parietallappen. Die Beteiligung des für das Bein zuständigen motorischen Cortex führte zur Lähmung. Außerdem waren weite Bereiche des Corpus callosum, das beide Hirnhälften miteinander verbindet, von dem Schlaganfall betroffen. Über das Corpus callosum werden unter anderem die motorischen Signale der beiden Hemisphären koordiniert und aufeinander abgestimmt. Die Autoren vermuten, dass eine Störung dieser Funktion zu den unwillkürlichen Bauchbewegungen geführt hat.
Bewegungsstörungen wie der nicht ganz so seltene Hemiballismus oder die seltene „Belly Dancer’s Dyskinesia“ zeigen eindrucksvoll, wie fein abgestimmt und komplex unser Bewegungssystem ist – und wie vielfältig die Symptome sein können, wenn dieses Gleichgewicht gestört ist. Nicht immer muss eine Minderbeweglichkeit die Folge einer Schädigung der motorischen Signalschleifen sein. Je nach Lokalisation des Defekts können auch unterschiedliche Formen der Überbeweglichkeit auftreten.
Für die klinische Praxis bedeutet das: Ein genauer Blick, eine gute Anamnese und das Wissen um seltene Phänomene können entscheidend sein – nicht nur für die Diagnose, sondern auch für eine gezielte Behandlung. Manchmal verbirgt sich hinter solchen kuriosen Phänomenen also eine ernste Ursache.
Hawley et al.: Hemiballismus: current concepts and review. Parkinsonism Relat Disord, 2012. doi: 10.1016/j.parkreldis.2011.08.015.
Yin et al.: Belly Dancer's Dyskinesia Following Acute Corpus Callosum Infarction. JAMA Neurol, 2025. doi: 10.1001/jamaneurol.2025.0086.
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