Die Erstellung des neuen Leitfadens umfasste eine systematische Literaturrecherche, um die neuesten Erkenntnisse zur Entstehung, Prävention, Diagnostik und Therapie von Adipositas einzubeziehen. Dafür wurden von der Leitliniengruppe neue Endpunkte festgelegt, welche weit über die Gewichtsreduktion hinausgehen und auch das Auftreten von Typ-2-Diabetes, kardiovaskulären Krankheiten und Mortalität berücksichtigen. Zusätzlich wurde die Leitlinie durch die neuen Kapitel: Stigmatisierung, E-Health und Diagnostik ergänzt.
Die Leitlinie hebt hervor, dass Stigmatisierung eine große Herausforderung in der Behandlung von Adipositas darstellt. Menschen mit Übergewicht oder Adipositas erleben oft soziale Abwertung und Diskriminierung, sowohl in der Gesellschaft als auch im Gesundheitswesen. Diese negativen Erfahrungen können den Behandlungserfolg erheblich beeinträchtigen.
Es wird empfohlen, Adipositas als Krankheit anzuerkennen und eine evidenzbasierte, abrechenbare Behandlung bereitzustellen. Diese Forderung ist immer noch relevant, obwohl der Bundestag dies 2020 bereits getan hat, und die kassenärztliche Bundesvereinigung 2023 ein Disease Managementprogramm (DMP) Adipositas beschlossen hat. Dennoch gibt es nach aktuellem Stand noch keine konkrete Umsetzung des DMP Adipositas (KBV - DMP). Gesundheitsdienste sollten mit angemessener Ausstattung (z. B. Schwerlaststühlen und großen Körperwaagen) ausgestattet sein und ein Versorgungsnetzwerk bereitstellen. Zudem muss die gewichtsbezogene Stigmatisierung aktiv in der Prävention und Therapie adressiert werden. Die Ausbildung von Fachkräften sollte nicht nur die medizinischen Aspekte von Adipositas vermitteln, sondern auch Themen wie Stigmatisierung und Selbststigmatisierung einbeziehen. Fachkräfte sollten befähigt werden, einen nicht-stigmatisierenden Umgang mit betroffenen Patienten zu erlernen.
Zudem sollte in den Medien eine nicht-stigmatisierende Darstellung von Adipositas gefördert werden, einschließlich einer respektvollen Sprache und neutraler Bilder, um die gesellschaftliche Wahrnehmung zu verändern.
Die Leitlinie zeigt, dass digitale Gesundheitslösungen wie Apps und Online-Programme ein wachsendes Potenzial in der Adipositasbehandlung bieten. Diese Tools sind kostengünstig, dauerhaft verfügbar und bieten Flexibilität, was sie zu einer wertvollen Ergänzung der Behandlung macht. „Real-Time-Feedback“ und die Möglichkeit zur Anonymität können zudem die Motivation der Patientinnen und Patienten steigern und Hemmschwellen abbauen. Allerdings ist eine langfristige Wirksamkeit noch nicht eindeutig belegt, da viele Studien methodische Mängel aufweisen.
App-basierte Interventionen (einschließlich Wearables) können die Gewichtsreduktion unterstützen, indem sie Patientinnen und Patienten helfen, ihre Ernährungsgewohnheiten, körperliche Aktivität und Verhalten kontinuierlich zu überwachen. Sie ersetzen jedoch nicht die persönliche Betreuung durch qualifiziertes Fachpersonal. Telefonbasierte oder internetbasierte Interventionen haben sich als genauso effektiv erwiesen wie persönliche Interventionen und können eine vergleichbare Gewichtsreduktion erzielen. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGas), die vom Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) zertifiziert wurden, können – wenn ein positiver Versorgungsnachweis erbracht wurde – zur Gewichtsreduktion verordnet werden.
Ein eigenständiges Kapitel der neuen Adipositas-Leitlinie widmet sich der Diagnostik, die in der Adipositasbehandlung eine zentrale Rolle spielt. Da es in der Adipositasdiagnostik noch an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz für einzelne Maßnahmen mangelt, gibt die Leitlinie größtenteils nur schwache und offene Empfehlungen. Trotzdem sollte die Diagnostik möglichst strukturiert stattfinden. Da Gewicht, Körperzusammensetzung (insbesondere Fett- und Muskelmasse), Begleiterkrankungen, psychosoziale Faktoren und Lebensgewohnheiten den Krankheits- und Behandlungsverlauf beeinflussen, sollten diese Faktoren bei der Diagnostik berücksichtigt werden.:
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