Eier und Medizin – da denken die meisten zuerst an Cholesterin. Wer das Hühnerei jedoch auf seine Bedeutung in der Ernährung reduziert, tut ihm unrecht. Höchste Zeit, das Ei ins Rampenlicht zu rollen.
Rund um Ostern drängt sich das Eier-Thema journalistisch quasi auf. So auch in unserer Redaktion. Der Klassiker im medizinischen Kontext wäre jetzt ein Artikel über den Stand der Debatte, wie viele Eier pro Woche verspeist werden dürfen (laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung 1 Ei pro Woche, aber es ist kompliziert – die Fachwelt streitet munter weiter).
Manch einer ist das Hin und Her rund ums Frühstücksei sicher schon leid. Doch nach diesem Artikel könnt ihr euer Osterfrühstück sicher mit unterhaltsamen Fakten rund ums Hühnerei bereichern.
Die Geschichte des Hühnereis in der Medizin beginnt bereits sehr früh. Schon in der griechischen Antike wurde Oleum ovorum – Eieröl – hergestellt und zur Linderung verschiedener Beschwerden eingesetzt. Vermutlich war es bis ins 19. bzw. 20. Jahrhundert in Apotheken zu kaufen. Zur Herstellung wurde das Eigelb hartgekochter Eier separiert und anschließend ausgepresst. Das so entstandene Eieröl wurde bei Verbrennungen aufgetragen, sollte gegen wunde Haut durch Reibung helfen und wurde wohl auch z. B. bei Schmerzen, Frakturen, Hernien oder Hämorrhoiden eingesetzt.
Auch in der traditionellen chinesischen Medizin wurde Oleum ovorum bei Hauterkrankungen, Fieber oder Diarrhoe eingesetzt – und das bereits seit dem 16. Jahrhundert. Auch heutzutage ist Eieröl u. a. in Südostasien weiterhin populär und findet sowohl in der Küche als auch in Kosmetikprodukten Anwendung.
Es gibt noch mehr historische Eier-Fans: Der deutsche Arzt Friedrich Hoffmann der Ältere (1626–1675) sah im Hühnerei sogar ein kleines Abbild des Kosmos und der Elemente. Die Luftblase steht dabei für Luft, das (rohe) Eiweiß für Wasser. Die harte Schale repräsentiert Erde und der Dotter steht für Feuer. Hoffmann sprach dem Ei daher multiple Heilkräfte zu, etwa bei der Ausleitung von Harngrieß. Auch Hildegard von Bingen (1098–1179) war Verfechterin der eiernen Heilkräfte und entwickelte mehrere Rezepte rund ums Ei, die sie beispielsweise gegen Übelkeit oder auch bei Augenschmerzen anwendete.
Schon früh entdeckten Wissenschaftler das Potenzial des Hühnereis für die medizinische Forschung. Bereits im 17. Jahrhundert fand William Harvey, ein englischer Anatom, heraus, dass sich mithilfe befruchteter Hühnereier die Embryonalentwicklung beobachten und erforschen ließ. Bis heute werden verschiedene Schritte der embryonalen Entwicklung an befruchteten Hühnereiern erforscht. So versuchen Forscher beispielsweise, genetische Schalter zu identifizieren, die das Signal für die Entwicklung bestimmter Zelltypen geben. Dieses Wissen könnte zukünftig genutzt werden, um spezifische Gewebearten in einer Petrischale anzuzüchten und z. B. als Gewebeersatz beim Menschen zu nutzen.
Die Verwendung von Hühnerembryonen wird ethisch kontrovers diskutiert. Dennoch ist sie einfacher zu vertreten als die von Mäuseembryonen, da das Muttertier nicht getötet werden muss. Es gilt zudem als gesichert, dass Hühnerembryonen in den ersten zwei Wochen der Bebrütung noch kein Schmerzempfinden haben. Bis zum 13. Bebrütungstag gelten daher Experimente an Hühnerembryonen nicht als Tierversuche.
Auch in der Erforschung der Herzinsuffizienz wird das Hühnerembryo-Modell genutzt, da das Herz der Embryonen schnell relativ weit entwickelt ist und auf zugeführte Reize ähnlich reagiert, wie die sonst häufig eingesetzten Herzen von Ratten oder Mäusen. Das Herz der Embyronen im Hühnerei kann z. B. mittels Ultraschallsonde untersucht werden, indem die harte Schale gefenstert wird, die dünne Eihaut aber stehenbleibt.
Hühnerei-Modelle werden zudem in der Tumorforschung zunehmend häufig eingesetzt, beispielsweise zur Erforschung von Metastasierungsschritten. Dabei kommen verschiedene sogenannte in-ovo-Modelle, wie das Chorioallantoismembran-Modell (CAM), zum Einsatz. Die Chorioallantoismembran ist eine stark vaskularisierte Membran, die unter anderem für den Gasaustausch während der Embryonalperiode von Hühnern verantwortlich ist. Zur Erforschung von Metastasierungsprozessen können Tumorzellen direkt auf der Chorioallantoismembran des befruchteten Eis aufgebracht, dann inkubiert und anschließend beobachtet werden.
Die Nutzung von befruchteten Eiern bringt dabei mehrere Vorteile. Sie ist einerseits günstiger als die Haltung von Versuchstieren. Andererseits ist eine Metastasierung in Hühnerembryonen im Ei schneller zu beobachten (nach gut einer Woche) als bei Mäuseembryonen (nach 4 bis 10 Wochen). Da es sich um ein abgeschlossenes Modell handelt, eignet sich das Hühnerei auch gut für die Testung von Medikamenten für die Krebsbehandlung.
Seit mittlerweile über 70 Jahren werden Hühnereier zur Impfstoffproduktion genutzt. Das prominenteste Beispiel ist die Grippe-Impfung. Etwa 80 % der Impfdosen werden nach wie vor mithilfe von Hühnereiern hergestellt. Pro Impfstoffdosis wird etwa ein Ei benötigt.
Für die Impfstoffherstellung werden virale Antigene in großen Mengen gebraucht. Dafür müssen die Viren zuerst vermehrt werden – an dieser Stelle kommen die Eier ins Spiel. Befruchtete, spezifiziert-pathogenfreie Hühnereier werden mit dem Virus infiziert. Das Virus wird dann in den Zellen repliziert. Anschließend werden die entstandenen Viren isoliert und inaktiviert und bestimmte Bestandteile zu Impfstoffen weiterentwickelt, die dann das Immunsystem auf die Virus-Antigene trainieren und vorbereiten können.
Es gibt mittlerweile innovative alternative Verfahren, die zur Virusreplikation genutzt werden können: die rekombinante und die zellbasierte Vakzinherstellung. Einige Wissenschaftler fordern daher, in Zukunft möglichst auf Eier zur Impfstoffherstellung zu verzichten – unter anderem, weil vermutet wird, dass die Viren einen erhöhten Mutationsdruck haben, um sich an die Hühnerzellen anzupassen. Die nach der Impfung entstehenden Antikörper könnten dann das originale Virus nicht so gut erkennen. Die Herstellung aus dem Ei ist allerdings weiterhin verbreitet, relativ kostengünstig und bleibt somit vorerst ein wichtiger Bestandteil, um die weltweite Versorgung mit bezahlbaren Impfstoffen sicherzustellen.
Eine bekannte Schwierigkeit mit Impfstoffen aus Hühnerei ist der Einsatz bei Menschen mit Hühnereiweiß-Allergie. Auch bei sorgfältiger Fertigung können Spuren von Hühnereiweiß in den fertigen Impfstoff gelangen. Bei schweren Allergien (Anaphylaxie) sollten daher Impfstoffe verwendet werden, die in Zellkulturen hergestellt werden und garantiert Hühnereiweiß-frei sind. Schwere allergische Reaktionen auf Hühnereiweiß sind aber sehr selten. Daten weisen sogar darauf hin, dass schwerwiegende allergische Reaktionen bei Personen mit Hühnereiweiß-Allergie nicht häufiger auftreten als bei Personen ohne Allergie. Handelt es sich nur um eine leichte allergische Reaktion, ist eine Impfung mit dem herkömmlichen Impfstoff in der Regel unproblematisch.
Das war unser kleiner Rundumschlag dazu, an welchen Orten euer Frühstücksei heute oder in der Vergangenheit auch hätte landen können. Und es gibt noch zahlreiche weitere Anwendungsgebiete, von Wundauflagen aus der dünnen Eihaut bis hin zu der Verwendung von Eierschalen in der Implantologie. Aber ein paar dieser Fakten bleiben noch in der Schublade für das Osterfrühstück im nächsten Jahr. Lasst es euch schmecken!
Bildquelle: Олег Мороз, Unsplash