Die Leber hindert Darmbakterien daran, in den Blutkreislauf einzudringen. Diese Funktion konnten Forscher in einer Studie mit leberkranken Patienten belegen. Damit bildet die Leber eine Art „Firewall“ oder Blutfilter im Darm-Abwehr-System.
Menschen haben schier unendlich viele Bakterien im unteren Darmbereich – rund 100 Billionen (10^14). Damit enthält unser Körper 10mal mehr Bakterien als Körperzellen. Dringt jedoch auch nur ein millionstel dieser Bakterien in den Blutkreislauf ein, ist eine Blutvergiftung die Folge. Aus diesem Grund haben sich im Laufe der Zeit gemeinsam mit den Darmbakterien verschiedene Abwehrsysteme ausgebildet: Der gesamte Darm ist mit einer dichten Zellschicht ausgekleidet und zusätzlich von einer dicken Schleimschicht überzogen, welche den Bakterien das Andocken erschwert. Diese mechanischen Barrieren sind aber keinesfalls perfekt. Zusätzliche Abwehrmechanismen sind somit unumgänglich. Daher gibt es in der Darmschleimhaut eine große Anzahl an weißen Blutkörperchen, welche eindringende Bakterien umgehend abtötet. Zusätzlich dienen Lymphknoten im Darm als Filterstationen und stellen sicher, dass keinerlei Mikroorganismen aus dem Darm entwischen. Patienten mit Lebererkrankungen erkranken jedoch häufig an Infektionen durch Keime, die normalerweise im Darm vorkommen. Berner Forscher um Dr. Maria Luisa Balmer und Prof. Andrew Macpherson untersuchten deshalb, ob die Leber ebenfalls ein Teil des Darm-Abwehrsystems ist. Dies scheint tatsächlich der Fall zu sein: „Zusätzlich zur mechanischen und der Lymphknoten-Barriere bildet die Leber als drittes System eine Art Blutfilter“, so Andrew Macpherson.
Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan. Sie entnimmt dem Blut aus dem Darm wichtige Nährstoffe, baut diese um und speichert sie. Zusätzlich macht sie giftige Substanzen unschädlich. Lebererkrankungen durch Virusinfektionen, übermäßigen Alkoholkonsum, Autoimmunerkrankungen oder Übergewicht werden weltweit jedoch immer häufiger. „Erstaunlich ist, dass diese Patienten viel häufiger an schweren Infektionen versterben als durch die toxischen oder Stoffwechsel-bedingten Konsequenzen der Leberfunktionsstörung“, so Macpherson. Die Forscher haben dafür nun eine Erklärung gefunden: Die Leber ist eine Art Filter, welche Bakterien eliminiert, denen der Zugang zum Blutsystem geglückt ist. „Sie ist eine Art Firewall für den Fall, dass andere Barrieren nicht ausreichen“, erklärt der Studienleiter. Funktioniert die Leber nicht mehr richtig und können die Darmbakterien nicht mehr effizient aus dem Blut gefiltert werden, beginnt das Immunsystem damit, spezielle Antikörper gegen diese Bakterien zu produzieren. Die Forscher fanden bei Patienten mit einem breiten Spektrum an Lebererkrankungen solche abnormalen Immunreaktionen gegen Darmbakterien – ein Zeichen dafür, dass die „Firewall“ bei Lebererkrankungen defekt ist und erste Systemfehler auftreten. Mikroskopische Aufnahme einer Mausleber: Die Leber-Kupfer-Zellen (braun) warten rund um die Blutgefäße (die weißen Löcher) auf die Bakterien, um sie zu eliminieren. © Bild: F. Ronchi, Departement Klinische Forschung, Universität Bern „Interessanterweise waren diese Antikörper schon in sehr frühen Stadien der Lebererkrankung messbar, also bei Patienten, die oft noch gar nichts von ihrer Leberfunktionsstörung merkten“, so Macpherson. Es bestehe somit die Möglichkeit, durch das Messen dieser Immunreaktion Patienten mit Lebererkrankungen sehr früh zu erkennen und somit rechtzeitig zu behandeln, bevor schwere Infektionen auftreten. „Da nicht alle Patienten gegen sämtliche untersuchte Darmbakterien Antikörper bilden, könnten ergänzende Impfungen sie davor bewahren, durch eben diese Bakterien krank zu werden.“ Originalpublikation: The liver may act as a firewall mediating mutualism between the host and its gut commensal microbiota Maria Luisa Balmer et al.; Science Translational Medicine, DOI: 10.1126/scitranslmed.3008618; 2014