Log in and see more.
Von Intelligenzminderung bis Autismus-Spektrum-Störung: Bei Kindern diabetischer Mütter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit neurologischer Entwicklungsstörungen. Besonders gefährlich scheint ein Diabetes vor der Schwangerschaft zu sein.
Am Ende des Beitrags findet ihr eine Zusammenfassung.
Die Prävalenz von Diabetes nimmt weltweit zu und gefährdet auch die Gesundheit von Schwangeren und deren Kindern. Wird eine Störung im Glukosestoffwechsel erstmals während der Schwangerschaft diagnostiziert, spricht man von einem Gestationsdiabetes mellitus (GDM). Davon abzugrenzen ist ein mütterlicher Diabetes mellitus, der bereits vor der Schwangerschaft bestand. Laut RKI waren im Jahr 2021 mehr als 63.000 schwangere Frauen (8,5 %) von einem Gestationsdiabetes betroffen, der mit 80 % die häufigste Form der Hyperglykämie in der Schwangerschaft ausmacht.
Gründe sieht man einerseits in der Zunahme wesentlicher Risikofaktoren wie einem erhöhten mütterlichen Alter und Adipositas, zum anderen in der Veränderung des Screeningverfahrens und der Einführung neuer diagnostischer Grenzwerte. Um einen GDM rechtzeitig zu erkennen, wird seit März 2012 jeder Schwangeren zwischen der 25. und 28. SSW ein zweizeitiges Screening im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien angeboten.
Eine Reihe von Risikofaktoren und Komplikationen in Zusammenhang mit GDM sind bereits gut beschrieben und erforscht. Prinzipiell besteht bei einem mütterlichen Diabetes z. B. ein erhöhtes Risiko für hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Depression, Frühgeburtlichkeit, Infektionen und kindliche Fehlbildungen. Die Rate an Geburtsverletzungen, Kaiserschnitten und postpartalen Blutungen ist ebenfalls höher als im Normalkollektiv. Frauen, bei denen ein Gestationsdiabetes bestand, haben zudem zukünftig ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und die Ausbildung eines metabolischen Syndroms.
Beim Neugeborenen kann es zur Ausbildung einer sogenannten diabetischen Fetopathie kommen, einem komplexen Krankheitsbild mit unterschiedlichsten Anpassungsstörungen. Spätere Adipositas und Diabetes beim Kind scheinen ebenso wahrscheinlicher zu sein. Das Wiederholungsrisiko nach GDM ist in den Folgeschwangerschaften europäischer Frauen bis zu 50 % erhöht.
Auch kindliche Entwicklungsstörungen, die das neurologisch-psychiatrische Spektrum betreffen, werden schon länger mit mütterlichem Diabetes in Zusammenhang gebracht. Um speziell die neurologisch-psychiatrischen Risiken und Folgen eines GDM für die Kinder besser zu quantifizieren und zu verstehen, führten chinesische Forscher kürzlich eine groß angelegte Metaanalyse durch.
In der Metaanalyse wurden 202 Beobachtungsstudien mit insgesamt 56.082.462 Mutter-Kind-Paaren einbezogen und in Hinblick auf neurologische Entwicklungsstörungen der Kinder untersucht. Hierfür wurden die Datenbanken von PubMed, Web of Science, Embase und EBSCO von Beginn an bis zum 1. Dezember 2024 systematisch durchsucht. Von den 202 Studien wurde in 110 ausschließlich ein GDM analysiert. 80 Studien befassten sich mit einem bereits vor der Schwangerschaft bestehenden Diabetes. Die Mehrzahl der Studien (84 %) untersuchte Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr.
Im Ergebnis hatten Kinder mit einer in utero Diabetes-Exposition ein um 28 % erhöhtes Risiko für alle Arten von neurologischen Entwicklungsstörungen, sowie ein höheres Risiko für niedrigere Intelligenzwerte und psychomotorische Beeinträchtigungen. Insbesondere wurden bei Kindern diabetischer Mütter gehäuft folgende Diagnosen gestellt:
Autismus-Spektrum-Störungen waren das häufigste untersuchte Ergebnis, wobei die Daten darauf hinweisen, dass Kinder, die einem mütterlichen Diabetes ausgesetzt waren, im Vergleich zur Kontrollgruppe ein deutlich erhöhtes Risiko hatten. Die Art des Diabetes spielte dabei keine Rolle.
ADHS wurde am zweithäufigsten untersucht. Dabei wurde ebenfalls ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer Diabetesexposition und einem erhöhten ADHS-Risiko festgestellt. Bei Typ-1-Diabetes bestand das höchste Risiko, gefolgt von Typ-2-Diabetes und GDM.
Einen signifikanten Zusammenhang zwischen mütterlichem Diabetes und kindlicher Intelligenzminderung wurde bei allen Diabetessubtypen erhoben, wobei er auch hier beim Prägestationsdiabetes stärker ausgeprägt war als beim Gestationsdiabetes.
Insgesamt fiel auf, dass Kinder von Müttern mit einem Diabetes, der bereits vor der Schwangerschaft bestand, ein höheres Risiko für neurologische Störungen hatten als Kinder von Müttern mit einem Gestationsdiabetes (RR 1,39 vs. 1,18). Je früher und schwerer die diabetologische Stoffwechselstörung in der Schwangerschaft auftritt, desto größer scheint das Risiko.
Die Autoren geben zu bedenken, dass Metaanalysen nicht immer strenge Einschlusskriterien aufweisen – was die Untersuchung spezifischer Diabetestypen und das breite Spektrum neurologischer Entwicklungsstörungen einschränkt.
Um eine mögliche Kausalität zwischen mütterlichem Diabetes und neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern umfassender aufzuklären, sollten zukünftige groß angelegte Kohortenstudien geplant werden, die um bisherige Störfaktoren bereinigt werden. Die Autoren wollen mit ihrer Studie in erster Linie sowohl die Bedeutung proaktiver Maßnahmen für Frauen mit Diabetesrisiko als auch die engmaschige Überwachung von Kindern diabetischer Mütter anregen.
In der S2e-Leitlinie Diabetes in der Schwangerschaft von 11/2021 hieß es: „Es wird spekuliert, dass die transiente intrauterine Hyperglykämie möglicherweise unter anderem über oxidativen Stress oder epigenetische Veränderungen die neurologische Entwicklung der Nachkommen einer Mutter mit präkonzeptionellem Diabetes ungünstig beeinflusst. Diesbezüglich ist die Datenlage aber sehr gering, teils kontrovers und lässt derzeit keine Empfehlungen zu.“
Professor Christoph Bührer, Direktor in der Neonatologie der Charité erklärte am 8. April 2025 gegenüber der ÄrzteZeitung, dass eine Assoziation zwischen mütterlichem Diabetes und neuropsychiatrischen Erkrankungen der Kinder auch durch die gemeinsame Genetik und einen ähnlichen Lebensstil zu betrachten sei und nicht allein durch die diabetologische Belastung in der Schwangerschaft. Dafür bräuchte es für den Kausalzusammenhang neben Populationsstudien auch Geschwisterstudien.
Prof. Alexandra Kautzky-Willer, Leiterin des Bereichs Gender Medicine an der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Uni Wien, kommentiert die chinesische Metaanalyse im österreichischen Standard: „Es wurde bereits vielfach gezeigt, dass Kinder von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes oder Diabetes Typ 1 und Typ 2 in der Schwangerschaft ein höheres Risiko für Adipositas, metabolisches Syndrom und Diabetes im weiteren Verlauf aufweisen. Das wird auch auf eine veränderte fetale Programmierung des kindlichen Stoffwechsels der Mutter in der Schwangerschaft zurückgeführt. Weiters wurde vor kurzem gezeigt, dass eine frühe fetale Exposition für mütterlichen Schwangerschaftsdiabetes auch zu neuralen Veränderungen des Kindes vor allem im Hypothalamus führen kann, was wiederum mit verändertem Energiestoffwechsel, Verhalten und Gewichtszunahme im Kindesalter verbunden war.“
Die biologischen Mechanismen seien dabei noch unklar, jedoch hätten Tierstudien gezeigt, dass ein erhöhter Blutzuckerspiegel während der Schwangerschaft die Hirnentwicklung des Fetus negativ beeinflusst. Weiterhin komme es zu einem entzündlichen Geschehen im Körper, das mit Veränderungen im Immunsystem verbunden sei: „Diese 'Metainflammation' könnte mit frühkindlichen Entwicklungsstörungen verschiedenster Zellfunktionen und Organsysteme in Zusammenhang stehen.“
Zusammenfassend zeige die Metaanalyse eine gewisse Evidenz für Assoziationen, aber noch keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang. Bemerkenswert dabei ist, dass vor allem bei ausgeprägter Hyperglykämie in der frühen Schwangerschaft ein stärkerer Effekt zu bestehen scheint.
Bildquelle: Patrycja Jadach, Unsplash