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Man sollte meinen, dass in angemischten Medikamenten das drin ist, was draufsteht. Aber Menschen machen Fehler. Wie eine unaufmerksame Sekunde in der Rezeptur fast ein Leben gekostet hätte, lest ihr hier.
Man fasst es nicht: In Stuttgart hat eine Patientin beim oralen Glukosetoleranztest (oGTT) statt einer Glukoselösung Methadon verabreicht bekommen – mit schwerwiegenden Folgen. Sie kollabierte, musste intensivmedizinisch behandelt werden, entwickelte eine Lungenentzündung und einen Darmverschluss. Die Ursache? Ein falsch etikettiertes Behältnis aus der abgebenden Apotheke.
Der Fehler lag nicht etwa in der Rezepturqualität oder der Dosis, sondern im letzten, aber entscheidenden Schritt: Das richtige Etikett wurde auf das falsche Präparat geklebt. Offenbar wurde dieser Fehler bei der Endkontrolle nicht bemerkt. Die Folge: ein lebensgefährlicher Vorfall. Leider kein Einzelfall von schlampiger Arbeit in der Rezeptur.
Ich muss hier unweigerlich an einen Fall in Köln denken, wo 2020 durch solch eine Verwechslung eine Schwangere und ihr ungeborenes Kind ums Leben kamen, weil beim (völlig unnötigen) Umfüllen von Wirkstoffen aus einem Originalgebinde in ein Standgefäß (weil es „hübscher“ aussieht) Lidocain mit Glukose verwechselt wurde. Man sollte meinen, dass wir gerade auf diesem Gebiet nun verstanden haben, wie sorgfältig wir bei allen Rezepturvorgängen sein müssen – gerade bei Dingen, die eingenommen werden. Und trotzdem ist es wieder passiert. Schlampigkeit hätte beinahe wieder ein Menschenleben gekostet.
Wie kann das sein? Anders als oft kolportiert, sind es nicht technische Mängel oder fehlende Digitalisierung, die hier versagen. Digitale Plausibilitätsprüfungen gibt es. Endkontrollen sind vorgeschrieben. Auch die Verpackung war korrekt – das Problem war die fehlerhafte Zuordnung von Inhalt und Etikett. Wurde gleichzeitig hergestellt? Wurde die Herstellende unterbrochen?
In der Rezeptur herrscht oft hoher Druck: Telefonklingeln, Kunden, Rückfragen vom Team – und manchmal auch parallele Herstellung unterschiedlicher Rezepturen. Wenn dann Methadon und Glukose nebeneinander produziert oder abgefüllt werden, kann ein Moment der Unachtsamkeit reichen, damit ein Etikett falsch zugeordnet wird. Und das in einem Arbeitsumfeld, in dem oft keine zweite Person zur Verfügung steht, die kontrollieren kann.
Natürlich ist die Apotheke verantwortlich. Die Schuldfrage ist in diesem Fall klar. Auch wenn der Fehler menschlich ist – er war vermeidbar. Was man allerdings auch sagen muss: Die Arztpraxis hätte die Einnahme sofort stoppen müssen, als die Patientin über ein Kratzen im Hals klagte. Eine Glukoselösung „kratzt“ nicht. Sie ist schlicht süß.
Was wir jetzt brauchen, ist mehr Bewusstsein für reale Risiken im Apothekenalltag. Wir müssen offen über Unterbrechungen, Arbeitsdruck und fehleranfällige Situationen sprechen. Und wir müssen Prozesse schaffen, die dem Rechnung tragen – nicht theoretisch, sondern unter den echten Bedingungen einer Rezeptur, in der täglich alles gleichzeitig passiert. Unnötige Dinge wie das Umfüllen in Schmuckdosen müssen verboten werden. Und wer gerade in der Rezeptur arbeitet, der muss in Ruhe gelassen werden. Der DARF einfach nicht telefonieren, quatschen, Musik hören, nach vorne in den HV gehen müssen.
Herstellende können mit guter Arbeit Leiden lindern und Leben retten – unter Stress und Ablenkung aber auch das Gegenteil verursachen, nämlich Leid und Tod. Und das verzeiht einem schlussendlich niemand. Passiert ist passiert, und möglicherweise beendet man ein Leben für immer. Das ist es einfach nicht wert.Bildquelle: Rodion Kutsaiev, Unsplash