Nach einer Fusion deiner Klinik darfst du einen wichtigen Teil deiner Arbeit nicht mehr machen – klingt wie ein schlechter Film? Das ist jetzt einem Gynäkologen passiert. Der Streitpunkt: Schwangerschaftsabbrüche. Sein Gegner: Die katholische Kirche.
In Lippstadt fusionierten zum ersten Februar das evangelische Krankenhaus (EVK) und das katholische Dreifaltigkeit-Hospital (DFH) zu einem christlichen Klinikum. Beide Seiten betonten, der Zusammenschluss sei unumgänglich gewesen, damit die Krankenhausstandorte auf Dauer überleben könnten. So weit, so praktisch.
Dabei änderte sich für die Mitarbeiter einer der beiden Kliniken ein entscheidender Punkt, der bei den Fusionsverhandlungen seitens der katholischen Klinik durchgesetzt wurde. Einigen Berichten zufolge war er sogar Voraussetzung für eine Fusion: Schwangerschaftsabbrüche dürfen von den Ärzten beider Kliniken nur noch vorgenommen werden, wenn sich die Mutter in Lebensgefahr befindet.
Der Eingriff darf seitdem nicht mehr aus anderen medizinischen Indikationen durchgeführt werden, wenn die Schwangerschaft beispielsweise das Resultat sexueller Gewalt ist oder bei bekannten schwersten Behinderungen des Kindes – wenn also z. B. die seelische Gesundheit der Mutter durch das Austragen ernstlich gefährdet ist. Das war vorher am evangelischen Krankenhaus möglich und wurde durch ein erfahrenes Team rund um Chefarzt Prof. Joachim Volz durchgeführt, teilweise mit Beratung durch eine Ethikkommission.
Der Punkt sei seitens des katholischen Erzbistums nicht verhandelbar gewesen, berichtet der WDR. Auch laut Geschäftsführung des evangelischen Krankenhauses hätte es ohne dieses Eingeständnis keine Fusion gegeben. In einer Pressemitteilung heißt es: „Die [...] im Zuge der Fusionsverhandlungen zwischen EVK und DFH getroffene Vereinbarung hinsichtlich der zukünftig sehr eingeschränkten Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen im Klinikum Lippstadt war eine Voraussetzung unserer katholischen Partner, um Fusionsgespräche aufzunehmen. Insoweit war es aus Sicht unserer evangelischen Gesellschafter [...] nicht zu verantworten, die für die zukünftige Gesundheitsversorgung Lippstadts existenzielle Fusion beider Häuser schon an diesem Punkt scheitern zu lassen.“
Und die praktizierenden Behandler? Sie sind nicht begeistert. In einem offenen Brief haben Ärzte aus der Umgebung im März ihre Solidarität bekundet. Darin heißt es: „Wir Ärztinnen und Ärzte mit einem Versorgungsauftrag für Lippstadt und Umgebung bekunden mit unserer Stellungnahme den betroffenen Frauen und Paaren sowie den in der Lippstädter Frauenklinik Tätigen unsere Solidarität. Die Verantwortlichen der beiden Krankenhäuser rufen wir zum Dialog und zum Überdenken des Standpunktes auf.“ Bisher sollen an der Klinik jährlich etwa 15 Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischer Indikation durchgeführt worden sein. Die Ärzte prangern an, die gesetzlich vorgegebenen Kriterien dürften nicht durch die katholische Kirche ausgehebelt werden.
Genau das scheint aber gerade zu passieren. DocCheck sprach dazu mit Chefarzt Volz. Er bekam Mitte Januar ein Schreiben der Geschäftsführung, mit der Ansage, ab Februar keine Schwangerschaftsabbrüche – außer bei Lebensgefahr der Mutter – mehr durchzuführen.
„Wir haben bisher allen Frauen geholfen, die im Rahmen der Pränataldiagnostik ein Problem hatten – sei es bei Vorliegen einer Trisomie 21, psychologischer Indikation oder schweren medizinischen Indikationen bei nicht lebensfähigen Feten beispielsweise“, erzählt der Arzt am Telefon. „Wir sind hier in der Gegend Maximalversorger und haben da eine tolle und erfolgreiche Versorgung aufgebaut. Und jetzt dürfte ich nur noch helfen, wenn die Mutter wirklich im Sterben liegt – also eine Situation, die wir heutzutage sowieso mit allen Mitteln versuchen, zu vermeiden. Es ist ein rein theoretisches Konstrukt und medizinisch nicht akzeptabel.“ Sollte er dieser Weisung widersprechen, werde ihm gekündigt, heißt es im Schreiben der Geschäftsführung. Er ging ins Gespräch, aber ein Kompromiss schien nicht in Sicht.
Volz reichte also Klage gegen diese Dienstanweisung ein und möchte nun gerichtlich prüfen lassen, ob das Verbot durchgesetzt werden darf – sowohl arbeits- als auch verfassungsrechtlich. Denn das Verbot gilt, so erklärte man es ihm am Gericht, für seine Person – auch außerhalb des christlichen Klinikums. Das würde zum Beispiel auch für Behandlungen oder Beratungen gelten, die er an dem von ihm mit seiner Frau geleiteten Kinderwunschzentrum FROG mit kassenärztlicher Zulassung in Bielefeld durchführt.
Zunächst gibt es nun eine Güteverhandlung, für die Volz bereits mit dem zuständigen Richter sprechen konnte. Ziel einer solchen Verhandlung ist es, eine einvernehmliche Lösung zu finden und einen Vergleich zwischen den Parteien zu erreichen, bevor ein Urteil gefällt wird. Volz’ Eindruck war, dass auch das Gericht in dieser Sache überfordert ist. Man erklärte ihm, dass die katholische Kirche nun mal Religionsfreiheit habe, nach der ein Schwangerschaftsabbruch als Mord gelte. In Volz’ Arbeitsvertrag stehe zwar explizit, dass er Mitspracherecht in seiner ärztlichen Tätigkeit habe und nur seinem Gewissen unterworfen sei. Am Gericht sei ihm aber wörtlich gesagt worden: „Egal, was in Ihrem Vertrag steht, das Recht der katholischen Kirche geht immer vor.“
Volz argumentiert, dass Arbeitgeber bei Ärzten ein anderes Mitspracherecht hätten, als in anderen Branchen. „Ein Arbeitgeber darf schon entscheiden, wie ich seinen Betrieb zu führen habe. Aber wir haben als Ärzte andere Rechte und Verpflichtungen als in anderen Berufen, sei es der gesetzlichen Krankenkasse gegenüber und natürlich auch den Frauen, die ja einen Anspruch auf Versorgung haben.“ Auch die Therapiefreiheit sei ihm genommen worden und er fühle sich fremdbestimmt: „Es werden viele Grundrechte von mir eingeschränkt“, so Volz. „Muss ich dann meinen Sitz in Bielefeld aufgeben, weil die KV sagt, dass ich nicht mehr unabhängig therapieren kann? Das ist doch alles ganz schwierig.“ Noch weniger verständlich ist diese Sonderstellung der Kirche, wenn man bedenkt, dass kirchliche Krankenhäuser nicht aus Kirchensteuermitteln finanziert werden, sondern die Kosten für Bau und Behandlungen wie bei anderen Kliniken von den Bundesländern und den Krankenkassen übernommen werden.
Was bleibt nun? Die Güteverhandlung läuft noch, der Richter müsse sich in einigen komplexen Punkten belesen. Dann wird es ein Urteil geben, aber Volz befürchtet, dass das Gericht seine Klage abweisen wird. Deshalb aufgeben? Für ihn keine Option. Er würde das Urteil anfechten. „Die Frauen sind bei diesen Fällen wirklich hochbelastet, die ganze Familie mit dazu. Es ist nicht akzeptabel, sie im Stich zu lassen – für mich als Mensch, wie ich zu Frauengesundheit und zu Frauenrechten stehe“, sagt Volz. Er selbst hätte nie bei einem katholischen Arbeitgeber angefangen. „Wer auch nur ein kleines bisschen Ahnung von der Materie hat, minimale Menschlichkeit und nicht so als Theoretiker von außen draufguckt – man muss sich nur vorstellen, seine Tochter sei in so einer Lage – dann kann man das so nicht wollen, wie es jetzt gefordert wird“, sagt der Arzt.
Unter seinen Kollegen an der Klinik hat Volz nach eigener Aussage „einen unglaublichen Rückhalt“ – gerade unter den weiblichen Kollegen teilweise hochemotional und sehr entschieden. Da das Ganze mittlerweile öffentlich bekannt ist, bekomme er auch Anrufe von ehemaligen Patientinnen, die weinen und schluchzen würden und völlig außer sich seien, dass anderen Frauen jetzt dieses Recht genommen werden soll.
Das alles bestärke Volz darin, dranzubleiben und sich nicht unterkriegen zu lassen. „Ich liebe meinen Job und ich werde nicht aufgeben und weiter für die Frauen kämpfen. Weglaufen kommt nicht infrage. Ich möchte etwas ändern und werde versuchen, das auch hinzubekommen. Hoffentlich mit einer großen Gruppe von Menschen.“
Er selbst kenne niemanden persönlich, auch von denen, gegen die er jetzt vor Gericht zieht, die das Verbot gut fänden. „Alle sehen sich als Opfer einer Doktrin, inklusive des Richters und meines Geschäftsführers. Denn wenn man ein bisschen Respekt vor dem Leben einer Frau hat, dann kann man nicht dagegen sein. Aber man muss kein Opfer sein, man kann sich auch dagegen stemmen und auf seine eigene Menschlichkeit hören. Und vielleicht schafft es die katholische Kirche ja doch noch, zumindest die medizinische Indikation anzuerkennen.“
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney