Arzt ist man, bis der Deckel draufgemacht wird. Frei nach diesem Motto setzt man in Bayern eine neue Beitragsordnung um und will den ärztlichen Ruheständlern in die Tasche greifen. Die gehen auf die Barrikaden – und klagen.
Einmal Arzt, immer Arzt. Für viele Mediziner geht ihr Berufsethos weit über Feierabend, Wochenende oder Ruhestand hinaus. Auf diesen Trichter kam nun auch die Bayerische Landesärztekammer und witterte die Chance, ihr ambitioniertes Digitalprogramm finanziell noch etwas zu unterfüttern. Gesagt, getan – folgte zu Beginn dieses Jahres eine geänderte Kammerbeitragsordnung, die nicht nur eine Erhöhung des Prozentsatzes von 0,38 auf 0,46 % vorsah, sondern erstmals auch die Alterseinkünfte von Ärzten im Ruhestand antasten sollte. In Bayern pendelt man damit irgendwo zwischen Absurdität und Alleinstellungsmerkmal. Denn es ist keineswegs so, dass man sich damit einer „bereits gelebten Realität in anderen Landesärztekammern“ anpasst, wie die BLAEK postuliert: Zwar erheben auch andere Kammern einen Beitrag von ihren Mitgliedern – allerdings sind dies eher symbolische Werte zwischen 13 und 84 Euro. In Bayern steht man hingegen nun bei einem möglichen Maximalbeitrag für Rentner von 15.000 Euro.
Kammerbeiträge für Rentner nach Bundesländern. Credits: Dr. Sigrid Dold
Es braucht nicht viel Berufserfahrung, um eine Vorstellung davon zu haben, dass in der Rente weniger übrig bleibt als im aktiven Berufsleben. Auch braucht es nicht viel, um sich vorzustellen, wie entsprechende Änderungen aufgenommen werden. Aber man wäre ja nicht Demokrat, wenn man dazu in Bayern nicht vorab eine Abstimmung gestartet hätte. Das Meinungsbild nach der entsprechenden Mitgliederbefragung sei „vielfältig“, erklärt die Kammer gegenüber DocCheck: „Viele Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand zeigen Verständnis dafür, dass die BLÄK ihre Beitragsbasis erweitern muss, um auch künftig ihre gesetzlichen Aufgaben verlässlich wahrnehmen sowie Anfragen effizienter und transparenter bearbeiten zu können.“
Wie hocherfreut entsprechende Ruheständler tatsächlich sind, hat DocCheck in Papierform vorliegen – einerseits als Popularklage ebendieser gegen die Pflichtmitgliedschaft von Ärzten im Ruhestand. Zum anderen erwartet die Kammer eine Normenkontrollklage gegen die neue bayerische Kammerbeitragsordnung. Kläger in beiden Fällen ist der Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie sowie Rechtsanwalt Dr. Alexander von Paleske – wobei der Arzt und Jurist gemeinsam mit Kollegen als Kläger auftritt. Im Gespräch mit DocCheck bringt er es auf den Punkt: „Die neue Beitragsordnung verstößt gegen die Bayerische Verfassung.“
Sein Kollege, der ehemalige Kardiologe Dr. Harald Pless, der sich der Klage bereits angeschlossen hat, formuliert das Unverständnis in einem offenen Brief ein wenig emotionaler: „[Es ist das] Versagen im Menschlichen, das vor allem die neue Beitragspflicht für Rentner(innen) und die Rechtfertigungsversuche der BLAEK-Führung prägt. […] Mit Kalkül hat die BLAEK zur Geldeintreibung eine Zielgruppe gewählt, die kaum resilient ist. Die wenigsten der Rentner wollen sich streiten, viele sind dazu auch nicht mehr in der Lage.“
Mit Emotionen versucht es die Kammer selbst derweil auch – und appelliert an Solidarität und (Generationen)Gerechtigkeit, wie sie gegenüber DocCheck vorgibt: „Mit der Einbeziehung von Rentnerinnen und Rentnern […] wird die Beitragsbasis verbreitert, wodurch die Finanzierung der Kammerarbeit gerechter verteilt wird.“ Man will meinen, dass sich diese Solidarität bestenfalls auch in der entsprechenden Rechtsgrundlage wiederfindet, namentlich dem in der Normenkontrollklage angefochtenen Äquivalenzprinzip und Gleichheitssatz. Während ersteres juristisch klarstellt, dass die Höhe eines Beitrags immer mit dem Nutzen für das Mitglied in Verbindung stehen muss, regelt der Gleichheitssatz, „niemanden im Vergleich zu anderen Adressaten anders zu behandeln, ohne dass zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen. […] Aus dem Gleichheitssatz ergibt sich insbesondere, dass die Beiträge im Verhältnis der Beitragspflichtigen zueinander grundsätzlich vorteilsgerecht bemessen werden müssen.“
Man muss nun kein Raketenwissenschaftler sein, um einzusehen, dass Rentner und Arbeitende nicht das Gleiche verdienen. Gleichzeitig habe die Kammer zudem laut Vorstand ohnehin solide Finanzen, brauche die Extraeinnahmen nicht für den Regelbetrieb. „Die BLAEK [habe] einen ausgeglichenen Haushalt. Es geht nicht darum, Finanzlöcher zu stopfen, sondern die Transformation der Kammer zu finanzieren“, so Rogenhofer. „Die Befragung [der Mitglieder] zeigt aber auch, dass sich über 80 Prozent der Befragten wünschen, per Telefon informiert zu werden. Dafür braucht es gutes Personal, und das gibt es gerade heute nicht zum Nulltarif. Gleichzeitig müssen wir für die Servicequalität unsere internen Prozesse digitalisieren.“ Zurecht mag man sich als Arzt fragen, wozu mehr Geld benötigt wird, wenn denn ausreichend vorhanden ist – und wie es gerecht ist, dass diejenigen mitbezahlen, die kaum bis keinerlei Nutzen aus den erkauften Funktionen ziehen – und genau hier setzt auch die Normenkontrollklage von Paleske an.
„Die Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand haben hingegen nicht nur deutlich weniger Vorteile aus ihrer Mitgliedschaft: Sie haben gar keine. […] De facto ist der neue Mitgliedsbeitrag daher eine rechtswidrige Steuer, die an die Tatsache des Arztberufs anknüpft.“
Aber wenn man schonmal dabei ist – warum nicht gleich die gesamte Mitgliedschaft in Frage stellen? Auch hier steht die Kammer samt Ordnung auf wackligen Füßen, wie sich die juristische Begründung von Paleskes Popularklage liest: So ist eine Pflichtmitgliedschaft zwar aus übergeordneten Gründen zu rechtfertigen, aber: „Die Approbation als Arzt ist eine Ermächtigung, ärztlich tätig zu werden, die Aufnahme ärztlicher Tätigkeit aber keine sich daraus ergebende Zwangsläufigkeit. Nur wenn davon Gebrauch gemacht wird, lässt sich die Zwangsmitgliedschaft rechtfertigen, aber eben gerade dann nicht, wenn der Arzt/Ärztin sich im Ruhestand befindet, oder sonst wie keine ärztliche Tätigkeit mehr ausübt. In diesem Fall kommt wieder der Art. 2 I GG bzw. Art. 101 der bayerischen Verfassung voll zum Tragen: Es gibt keinen rechtfertigenden Grund mehr für einen derartigen Grundrechtseingriff durch eine Zwangsmitgliedschaft, daher ein Verstoß gegen diese Verfassungsnormen.“
Ob der Arztjurist damit eine Lawine losgetreten hat oder die Kammer ihre Schafe wieder eingefangen bekommt, zeigen nun einerseits die nächsten Verhandlungstage. Auf der anderen Seite sind auch spätere Klagen denkbar, wie der Fall von Dr. Sigrid Dold zeigt, die im Berufsleben Ärztin mit Wirkungsbereich in Forschung und Pharmaindustrie war: „Als Ärztin, die bereits während ihrer Berufstätigkeit keinerlei Gegenleistung für den jährlich zu entrichtenden Kammerbeitrag erhalten hat, ist mit der erneuten Beitragspflicht nun endgültig eine Grenze überschritten. Nachdem ich die Veranlagung zum Kammerbeitrag erhalten hatte, habe ich zunächst mit der zuständigen Sachbearbeiterin telefoniert. Ich habe nun netterweise einen Aufschub der Nachweispflicht bis Jahresende erhalten und somit keinen offiziellen Beitragsbescheid – und damit auch keine Möglichkeit, rechtlich dagegen vorzugehen.“
Zuletzt ist es auch eben jenes Ethos und das ärztliche Selbstverständnis, weshalb Paleske nicht davon ausgeht, dass die Mediziner ihre letzte Karte ziehen, um den Gebühren zu entkommen – und die Approbation abgeben. „Ich war über 30 Jahre Arzt – vor allem in Afrika. Medizin und Arztsein ist damit ein Lebensinhalt, den ich mir nicht von der Kammer nehmen lasse. Ich gehe aber ohnehin von einem erfolgreichen Ausgang der Klagen aus.“
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