MMS steht für „Miracle Mineral Supplement“ und soll gegen ziemlich alle lebensbedrohlichen Krankheiten wirksam sein. Dessen Erfinder, Jim Humble, warb kürzlich auf der „Spirit of Health 2014“ in Hannover für sein Produkt. Mit der Zahl seiner Anhänger wächst aber auch die seiner Gegner.
„Jim Humble war lange bei Scientology. Die Manipulation von Menschen dürfte ihm daher nicht fremd sein“, kommentierte Spiegel-Online den Auftritt des selbsternannten Wunderheilers aus Texas auf der „Spirit of Health 2014“, der Internationalen Konferenz für alternative Heilmethoden im April in Hannover. Dort berichtete der ehemalige Ingenieur Humble von seinen zahlreichen Heilungserfolgen bei Malaria: „Ich hatte fast zu 100 Prozent Erfolg“, erzählte er. Auch gegen Autismus, Krebs, Hepatitis, Tuberkulose, Borreliose und AIDS soll sein Wundermittel mit dem Namen MMS (Miracle Mineral Supplement) helfen. Neben lebensbedrohlichen Erkrankungen kann man damit auch harmlose Zipperlein wie beispielsweise Warzen und Erkältungen bekämpfen. MMS besteht aus zwei Fläschchen: einer etwa 25%igen Natriumchloritlösung und einem sogenannten Aktivator, meist einer 50%iger Zitronensäurelösung, auch Weinsäure und Salzsäure werden als Aktivatoren angeboten. In Onlineshops erhält man das MMS-Set für etwa 20 Euro (2x 100 mL).
Das Miracle Mineral Supplement (die Natriumchloritlösung) ist ein starkes Oxidationsmittel. Beim Kontakt mit einer Säure entsteht Chlordioxid, dem die MMS-Anhänger eine heilende Wirkung zuschreiben – für Jim Humble „ein schwaches Oxidationsmittel mit großartigen Fähigkeiten“. Doch ist MMS wirklich so harmlos? „Der Stoff kann Verätzungen auf Haut und Schleimhäuten hervorrufen. Das ist vergleichbar, wie wenn Sie ein Reinigungsmittel für den Sanitärbereich oral zu sich nehmen würden“, so Dr. Guido Kaiser vom Giftinformationszentrum Nord in Göttingen gegenüber dem NDR. Humble dementiert diese Vorwürfe heftig. „Auch Kochsalz beinhaltet Chlorid. Das bedeutet noch lange nicht, dass es deshalb ein Bleichmittel ist“, sagte er in einem Interview. Das Giftinformationszentrum Nord erfasste schon mehrere Anrufe, die auf den Gebrauch von MMS zurückzuführen sind. Die Patienten berichteten dabei von Luftnot, Übelkeit, Erbrechen oder anderen Magen-Darm-Problemen.
Auf der „Spirit of Health 2014“ in Hannover sprach Humble vor etwa 1000 Menschen. Viele von ihnen waren eigens wegen des Heilers angereist. Einige Besucher der Messe berichten vor den Kameras des NDR von ihren erstaunlichen Heilungserfolgen mit MMS. Ein Mann will in drei Monaten 90 % seines Krebses damit besiegt haben, eine Frau heilte ein hautkrebsähnliches Gebilde auf der Hand ihrer Mutter in nur zwei Tagen. Vor dem Messegebäude demonstrierten die MMS-Gegner. Für sie ein Fall von Körperverletzung, Kinder mit Einläufen von Chlorbleiche von Autismus oder ADHS heilen zu wollen.
Sucht man im Internet nach MMS-Erfolgsstorys, wird man schnell fündig. Auf YouTube berichtet eine Mutter, wie sie mit MMS den Autismus ihres Sohnes geheilt hat. Sie habe die Tropfen zunächst an ihrem Mann ausprobiert und als dieser keine schweren Nebenwirkungen davontrug, therapierte sie ihren Sohn. Nach einigen Wochen sei aus dem verschlossenen Jungen „ein normales Kind geworden, das eine Regelschule besucht und mit Freunden spielt“, so Kerri Rivera im Interview. Auf die Frage, wie sie sich den Erfolg des Mittels bei ihrem Sohn erkläre, antwortet sie: „MMS tötet gezielt Pathogene im Körper und die sind ja der Auslöser von Autismus.“ Die wissenschaftliche Gemeinschaft sieht das zwar etwas anders, aber das stört Kerri Rivera wenig. Ihr Sohn habe erst nach einer Impfung seinen Autismus entwickelt. Weil der Heilungserfolg so verblüffend war, hat Kerri Rivera auch andere Familien von MMS überzeugt. In 20 Monaten habe die engagierte Mutter nach eigenen Aussagen außerdem weitere 38 Kinder von Autismus geheilt.
Jim Humbles sieht das genauso. In einem Video auf seiner Webseite erklärt er: „MMS ist ein zu schwaches Oxidationsmittel, um gesunde Zellen im Körper oxidieren zu können. Es kann daher auch die nützlichen Bakterien im Körper nicht schädigen, dafür sind sie zu stark. Es kann nur schwächere Dinge im Körper oxidieren und das sind die Pathogene, die aus schwächeren Konstruktionen bestehen.“ Warum Krankheitserreger per se „schwächere Konstruktionen“ sind als für den Menschen nützliche Mikroorganismen, bleibt offen. MMS verursache keine Nebenwirkungen und sei nach zwei Stunden wieder vollständig aus dem Körper verschwunden. Man müsse allerdings auf die korrekte Verabreichung des Mittels achten, damit es seine volle Wirkung entfalten könne. Auf der deutschen Webseite von Jim Humble lassen sich je nach zu therapierender Krankheit und Zustand des Patienten verschiedene Behandlungsprotokolle nachlesen.
Auch zu den Heilungserfolgen von Malaria kursiert ein Video im Internet. Dokumentiert wird eine Studie in einer kleinen Klinik in Uganda mit 154 Malaria-Kranken, die angeblich allesamt durch MMS geheilt wurden. Mit der Wahrheitsfindung scheint es schwierig zu werden, denn eine kontrollierte, randomisierte Studie zur Wirksamkeit von MMS in Gang zu bringen, sei aus ethischen Gründen nicht möglich. Denn es gebe keine Hinweise darauf, dass MMS wirklich wirksam sei. So äußerte sich im Oktober letzten Jahres Jürgen May vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg in der Tagesschau zum Thema: „Es gibt kein Wundermittel gegen Malaria. Chlordioxid ist sicherlich sehr gut geeignet, Trinkwasser von Keimen zu befreien. Aber es gibt bisher keine einzige Studie, dass dieses Mittel gegen Malaria hilft.“
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rät von der Einnahme von MMS ab. In seiner Stellungnahme vom 2. Juli 2012 heißt es:
„Miracle Mineral Supplement“ („MMS“) wird als Lösung in zwei kleinen Flaschen im Internet zum Verkauf angeboten. Nach Meldungen aus dem Ausland kann dieses Produkt die Gesundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinträchtigen. Berichtet wurde von gastrointestinalen Störungen wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, teilweise mit Blutdruckstörungen und erheblichen Flüssigkeitsverlusten. Direkter Kontakt der unverdünnten oder falsch gemischten gebrauchsfertigen Lösung kann zu Haut- und Schleimhautreizungen bis hin zu Verätzungen führen. Inzwischen sind auch in Deutschland Einzelfälle von unerwünschten Wirkungen nach dem Verzehr von „MMS“ bekannt geworden. Ein Teil der Angebote enthält den Hinweis, dass dieses Mittel zur Desinfektion von Wasser dienen kann. Auf einigen Webseiten weisen Befürworter der Verwendung von „MMS“ auf die Möglichkeit einer oralen Einnahme des Produkts hin. Das BfR rät von der Einnahme und der Verwendung von „Miracle Mineral Supplement“ („MMS“) dringend ab.
2006 erschien Jim Humbles erstes Buch über MMS. Seitdem wächst seine Anhängerschaft, aber auch die Gruppe seiner Gegner. Auf einer Pressekonferenz in Hannover verteidigte sich der selbsternannte Wunderheiler gegen die wachsende Kritik folgendermaßen: „Chlordioxid ist bekannt als etwas … es zerstört …“ Der Heiler sucht nach Worten und wendet sich zur Frau an seiner Seite … „was verursacht AIDS?“