Forscher untersuchten nun den Umgang des österreichischen Justizsystems mit straffällig gewordenen Suchtkranken. Seit Jahren gibt es für die dortigen Gerichte die Möglichkeit, diese statt einer Gefängnisstrafe einer therapeutischen Behandlung zuzuführen.
Die Forschungsgruppe der MedUni Wien unter der Leitung von Gabriele Fischer, Zentrum für Public Health und Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, hat medizinische, psychologische und juristische Daten Opiatabhängiger untersucht, die in Zusammenhang mit drogenbezogenen Delikten zu Gefängnisstrafen verurteilt oder mit gesundheitsbezogenen Maßnahmen („Therapie statt Strafe“) belegt wurden. Die Ergebnisse bestätigen, dass österreichische Gerichte jenen Suchtkranken mit leichteren Delikten (Besitz von Suchtmitteln allein und/oder Handel) die Möglichkeit einer gesundheitsbezogenen Maßnahme einräumen und jene mit schweren Vergehen (Eigentums- oder Gewaltdelikte in Kombination mit Drogenbesitz/-handel) zu Gefängnisstrafen verurteilen. Doch dieses System hat nach Ansicht der Forschungsgruppe Schwachstellen. „Besorgniserregend ist das Ergebnis, dass Suchtkranke in der gesundheitsbezogenen Maßnahme bereits zu über achtzig Prozent strafrechtliche Vorverurteilungen aufweisen und neben der Opiatabhängigkeit an schweren psychiatrischen Grunderkrankungen leiden, die offensichtlich nicht entsprechend erkannt werden“, sagt Gabriele Fischer. Dabei handelt es sich um Depressionen (63 Prozent), Angststörungen (58 Prozent) oder Suizidgedanken (46 Prozent). Wird die psychiatrische Grunderkrankung nicht behandelt, kann auch die Suchterkrankung nicht stabilisiert werden. Das führt in Folge dazu, dass Suchtkranke nicht aus dem Kreis der Drogenkriminalität ausbrechen können, sondern rückfällig werden und dann in Folge wegen schwerer Delikte ins Gefängnis kommen.
Richter stützen ihre Entscheidungen über Therapie oder Gefängnis häufig auf Fachgutachten zur Beurteilung der Schwere der psychiatrischen Suchterkrankung. Eine Qualitätssicherung sowohl in den Gutachten, die die technische Entscheidungshilfe für Richter liefern, als auch in der Durchführung der gesundheitsbezogenen Maßnahmen scheint aus Sicht von Fischer dringend notwendig, um Betroffenen professionell und frühzeitig, nämlich bereits beim Erstkontakt mit dem Justizsystem, helfen zu können. Eine Optimierung, die sich auch finanziell auszahlen würde. Für Österreich betragen die Kosten für ambulante medizinische Behandlung der Opioidabhängigkeit rund 4.000 Euro pro Patient und Jahr, während ein suchtkranker Häftling die Justizanstalten im Jahr 34.500 Euro kostet (ohne Berücksichtigung der Kosten für das Rechtssystem wie Richter, Anwälte oder Exekutive). „Investitionen in die qualitätsgesicherte Ausbildung von Therapeuten und die Schaffung notwendiger Therapieplätze kosten den Staat weniger als die Inhaftierung von Menschen, die aufgrund einer Krankheit kriminell geworden sind“, erklärt Gabriele Fischer. Die Forscherin empfiehlt eine Intensivierung des Dialoges zwischen Justiz und Fachexperten (Psychiater), was nicht zuletzt dem Justizsystem und der Gesellschaft viel Geld sparen würde, denn die Zahl der Inhaftierungen dieser Gruppe nahm im letzten Jahrzehnt deutlich zu. Wenn psychiatrische Grunderkrankungen beim ersten Kontakt mit der Justiz frühzeitig erkannt und behandelt werden, erspart sich die Allgemeinheit jede Menge Geld, so das Fazit. Originalpublikation: Health-related and legal interventions: A comparison of allegedly delinquent and convicted opioid addicts in Austria Gabriele Fischer et al.; Drug Science, Policy and Law, doi: 10.1177/2050324514528449; 2014