Zahnmediziner haben eine neue Klassifikation von schweren parodontalen Erkrankungen auf Basis von genomischen Profilen entwickelt. Diese auf den molekularen Ursachen der Erkrankung basierende Klassifikation eröffnet Wege zu einer früheren Diagnose und gezielteren Behandlung.
Bislang wurden parodontale Erkrankungen in zwei Hauptgruppen, die chronische sowie die aggressive Parodontitis, aufgeteilt. Der Begriff "aggressive Parodontitis" kennzeichnet ein Krankheitsbild, was von sehr raschen Verlust von zahntragenden Gewebe gekennzeichnet ist und für den behandelnden Zahnmediziner eine besondere Herausforderung darstellt. Allerdings sind die Kriterien, welche Zahnfleischerkrankung "aggressiv" sei und welche eben nicht, sehr unscharf. „Im klinischen Bild gibt es zwischen den beiden Hauptformen der Parodontitis deutliche Überschneidungen. Wir können leider aber erst dann eine aggressive Parodontitis diagnostizieren, wenn bei dem Patienten bereits ein erheblicher irreversibler Schaden eingetreten ist“, so der Bonner Zahnmediziner Dr. Moritz Kebschull, Erstautor der aktuellen Studie. Um zu einer besseren, biologisch sinnvollen Einteilung der Parodontitis zu gelangen, bedienten sich die Wissenschaftler Erkenntnissen aus der Krebsforschung. Die Aggressivität des Wachstums einiger Tumorformen mit sonst sehr ähnlichem Erscheinungsbild konnte nämlich aufgrund unterschiedlicher charakteristischer Muster der Genaktivierung der Krebszellen vorhergesagt werden.
Um herauszufinden, ob solch eine Klassifikation auch bei Zahnfleischerkrankungen funktioniert, untersuchte die Arbeitsgruppe die Aktivität aller Gene im erkrankten Zahnfleisch von 120 nichtrauchenden und sonst gesunden Patienten mit chronischer oder aggressiver Parodontitis im Alter von elf bis 76 Jahren. Kebschull und Kollegen konnten die Präsenz von zwei Gruppen von Parodontitispatienten mit charakteristischen genomischen Daten feststellen. „Die beiden Gruppen zeigten allerdings keine Übereinstimmung mit der derzeit gängigen Klassifikation in chronische und aggressive Parodontitis“, betonte Seniorautor Panos Papapanou. Auf der anderen Seite zeigten die beiden neuidentifizierten Gruppen von Patienten ausgeprägte Unterschiede sowohl in der klinischen Präsentation als auch im mikrobiologischen Bild. Die Gruppe, die durch einen erhöhten Schweregrad und eine größere Ausdehnung der Parodontitis sowie einer ausgeprägteren Infektion mit bekannten parodontalen Bakterien gekennzeichnet war, zeigte einen deutlich höheren Anteil an männlichen Patienten. Diese Beobachtung passt zu der heute als etabliert geltenden Feststellung von im Mittel schwererer Parodontitis bei Männern als bei Frauen.
Die neue ‚molekulare‘ Klassifikation könnte zu einer verbesserten Diagnose und Therapie gegenüber der derzeitigen klinischen Routine beitragen. Bei Nachweis der schwereren Parodontitisform könnte darauf schon frühzeitig eingegriffen werden – idealerweise schon bevor signifikanter, irreversibler Schaden entstanden ist. Originalpublikationen: Molecular differences between chronic and aggressive periodontitis Moritz Kebschull et al.; Journal of Dental Research, doi: 10.1177/0022034513506011; 2013 Gingival Tissue Transcriptomes Identify Distinct Periodontitis Phenotypes Moritz Kebschull et al.; Journal of Dental Research, doi: 10.1177/0022034514527288; 2014