Der Berg hat gekreißt und einen Leitbildentwurf geboren. Bis 14. Mai konnten Apotheker das umfangreiche Dokument kommentieren. Neben allgemeinen Passagen sind einige Schwachstellen zu finden – Wünsche allein reichen kaum aus, um hehre Ziele zu erreichen.
Input von vielen Seiten: Aus einer ersten Online-Befragung, einem Konvent und einer Arbeitsgruppe ist jetzt der neue Entwurf zum Leitbild entstanden. Die ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände beschreibt, wie apothekerliche Tätigkeiten im Jahre 2030 aussehen könnten. Ein Überblick:
Als Zielgruppen adressiert das Leitbild ausschließlich öffentliche Apotheken. Das ist aus ABDA-Sicht nur konsequent, für den Berufsstand an sich aber fragwürdig. Bei Beratungen zu Arzneimitteln werden alle pharmazeutischen Berufsgruppen genannt. Da es perspektivisch um den gesellschaftlichen Wandel geht, inklusive bekannter Folgen für das Gesundheitssystem, sollten zentrale Aspekte bearbeitet werden: Was erwarten Apotheker von Leistungserbringern beziehungsweise Leistungsträgern? Und umgekehrt: Welche Wünsche haben Ärzte, Krankenkassen und Patienten an Apotheker? Input dieser Personenkreise ist nicht in nennenswerten Umfang eingeflossen.
Beim eigentlichen Ziel des apothekerlichen Handelns macht sich ein Paradigmenwechsel bemerkbar. Kollegen orientieren sich künftig nicht mehr am Medikament, sondern am Menschen. Entsprechend der modernen Sichtweise ist von mündigen Patienten und von partnerschaftlichem Umgang die Rede. Am jeweiligen Kenntnisstand des Gegenübers orientieren sich auch Beratungsgespräche – wie in der Apothekenbetriebsordnung vorgesehen. Hinweise auf digitale Medien zur Unterstützung von Information und Kommunikation könnten diesen Bereich aber noch ergänzen. Um mit anderen Heilberuflern zu kooperieren, ist von Netzwerken die Rede. Hier erstaunt der Hinweis auf eine „gesetzliche Definition“ – als Wunsch nach mehr Regulation anstelle berufsständischer Organisation? Ärzte kommen nicht zur Sprache, obwohl Vertreter dieser Berufsgruppe in den letzten Jahren moderne Konzepte ausgebremst haben. Das ABDA-KBV-Modell / ARMIN wurde letztlich durch den Widerstand Kassenärztlicher Vereinigungen verzögert. Auch der Passus „wirtschaftlich wirksamste und patientenorientierte Arzneimittelversorgung“ erschließt sich aus dem Kontext nicht vollständig – ein gewisser Widerspruch liegt auf der Hand. Schon lange klagen Apotheker über das Spannungsfeld zwischen heilberuflichen und kaufmännischen Tätigkeiten, und ihr Leitbild durchtrennt den Gordischen Knoten nicht.
Zum Leistungsspektrum selbst: Neben bekannten Aspekten wie „Beratung und Optimierung der Arzneimitteltherapie“, „Medikationsmanagement“ und „Pharmakovigilanz“ bekennt sich der Textpassus auch zur Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention in apothekerlicher Hand. Das ist sicher ein großer Schritt nach vorne, da auch Krankenkassen zunehmend umdenken. Öffentliche Apotheken punkten durch die Niedrigschwelligkeit ihrer Beratung. „Die in diesem Rahmen erbrachten Dienstleistungen sollen auch im gesetzlichen Leistungskatalog ihren Niederschlag finden", wurde im Entwurf formuliert. Bei Waren und Dienstleistungen außerhalb der Arzneimittelversorgung seien Apotheker „frei in ihrer unternehmerischen Entscheidung“. Ihre heilberufliche Stellung und die Vertrauensbeziehung zum Patienten dürften aber nicht gefährdet werden. Damit haben Inhaber einen relativ großen Ermessensspielraum. Die Selbstmedikation kommt als tragende Säule kaum zur Sprache, obwohl gerade diese Sparte Krankenkassen Jahr für Jahr milliardenschwere Gewinne beschert.
Neben grundlegenden Aussagen lohnt ein Blick auf folgenden Absatz: „Die Apothekerinnen und Apotheker sowie das nicht approbierte pharmazeutische Personal und weitere Mitarbeiter der öffentlichen inhabergeführten Apotheke halten ihr Fachwissen nachweislich stets auf aktuellem Stand“. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. „Nachweislich“ – nur wie, ist die Frage. Bleibt es beim freiwilligen Fortbildungszertifikat oder kommt bald eine Fortbildungspflicht wie bei Ärzten? Um den heilberuflichen Auftrag zu erfüllen, wird es mit Wissen allein nicht getan sein. „Dazu zählt eine leistungsgerechte, dynamisierte und faire Honorierung über eine staatliche und einheitliche Vergütungsordnung“, ist im Leitbild zu lesen.
Ein Fazit: Das Leitbild bleibt in vielen Punkten recht allgemein und schneidet Themen nur an, ohne konkret aufzuzeigen, welchen Weg die Apothekerschaft bis 2030 einschlagen könnte. In den nächsten Jahren wird es kaum ausreichen, Wünsche zu paraphieren. Vielleicht kommen bei der Diskussion noch konkrete Vorstellungen mit hinzu. Darüber hinaus fehlt ein klares Bekenntnis, sich in gesellschaftliche Diskussionen einzumischen. Aktuellstes Beispiel ist das „Apotheker-Bashing“ der Stiftung Warentest, was von Standesvertretern außerhalb der Fachkreise nicht kommentiert wurde. Hier fehlt es an Konfliktbereitschaft. Am Ende des Dokuments sorgt ein Zitat des irischen Schriftstellers George Bernard Shaw (1856-1950) für Irritation: „Wir werden nicht durch die Erinnerung an unsere Vergangenheit weise, sondern durch die Verantwortung für unsere Zukunft.“ Ob das Leitbild dieser Aufgabe gerecht wird, muss sich zeigen.