Nach einer plastisch-ästhetischen OP beging eine Medizinstudentin als Nachtwache folgenschwere Fehler bei der Medikamentengabe. Ihre Patientin liegt bis heute im Wachkoma. Jetzt haben Richter klargestellt, dass sowohl der Klinikbetreiber als auch die Studentin voll haften.
Aus medizinischer Sicht deutete viel auf erhöhte OP-Risiken hin: Bei einer Patientin, die an Diabetes mellitus litt, sollten Oberlider, Unterlider und der Hals in Vollnarkose gestrafft werden. Neben dem Operateur selbst war ein Anästhesist anwesend. Soweit, so gut – alles verlief ohne Komplikationen. Im Anschluss erhielt die wache, ansprechbare Patientin eine Kochsalz-Infusion. Später kamen Analgetika und Insulin noch mit hinzu. Als Wache war ab 20 Uhr ausschließlich eine Medizinstudentin im zehnten Semester vor Ort.
Um 20.15 Uhr meldete sich die Patientin mit Übelkeit. Sie erhielt etwas Joghurt und auf eigenen Wunsch zwei Einheiten Insulin. Dass es sich um postoperative Beschwerden handeln könnte, zog niemand in Betracht. Auf ihrer Medikationsliste stand zudem als Vermerk „Infusionsrest aus Op i.v.“, was sich auf einen Beutel Kochsalzlösung bezog, der schon verabreicht worden war. Die Studentin vermutete hier ein anderes Arzneimittel. Sie begab sich auf die Suche und fand im OP tatsächlich eine angebrochene Infusion mit milchig-weißem Inhalt, beschriftet als „NaCl“. Da die Patientin unter Erbrechen litt und schon viel Flüssigkeit verloren hatte, bekam sie die ominöse Lösung verabreicht. Kurz darauf trat bei ihr Atem- und Kreislaufstillstand ein. Der Beutel enthielt, wie sich später herausstellte, außer Natriumchlorid noch Propofol.
Um 21.29 Uhr setzte die Studentin einen Notruf ab. Sie selbst war nicht in der Lage, erfolgreiche Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten. Wie weit ihre Kenntnisse in Erster Hilfe reichten, ließ sich später nicht zweifelsfrei klären. Ein klinikinternes Notfallteam gab es jedenfalls nicht. Dem Notarzt gelang es nach anfänglichen Problemen um 21.42 Uhr, seine Patientin zu intubieren und schließlich zu reanimieren. Schließlich wurde sie in ein nahes Klinikum verlegt. Bis zu diesem Zeitpunkt war es ohne ausreichende Sauerstoffversorgung bereits zu irreversiblen Gehirnschädigungen gekommen. Seither liegt die Patientin im Wachkoma – laut Aussage ihrer Rechtsanwältin hat sich der Zustand bis heute nicht verbessert.
Der Ehemann des Opfers klagte gegen alle Beteiligten. Er bekam vom Landgericht Mainz (Az.: 2 O 266/11) jetzt in weiten Teilen Recht. Die zur Nachtwache eingeteilte Medizinstudentin hätte „fatale Fehlentscheidungen“ getroffen, hieß es beim Prozess. Sie sei zur Ausführung dieser Tätigkeit „medizinisch nicht geeignet“ gewesen. Als Sachverständiger argumentierte Professor Dr. Z., eine Fachkraft hätte auf postoperative Übelkeit mit der Verabreichung geeigneter Präparate reagiert; Antiemetika standen zur Verfügung. Bereits damit sei die Studentin überfordert gewesen. Jedenfalls hätte ausgebildetes Personal keinesfalls angebrochene Infusionen aus dem OP verabreicht, allein schon aus Gründen der Sterilität. Eine milchige Lösung passte auch nicht zur Aufschrift „NaCl“. Professor Dr. Z. bewertete die Aussage „Infusionsrest aus Op i.v.“ in diesem Zusammenhang als unmissverständlich. Hinzu kommt, dass die Frau als Risikopatientin postoperativ von erfahrenen Ärzten beziehungsweise Pflegekräften hätte versorgt werden müssen – die Betreuung bei Diabetes sei eine „komplexe Aufgabe“. Im Laufe des Verfahrens zeigte sich, dass die Klinik bei derartigen Aufgaben vergleichsweise geringe Anforderungen hat.
Auch hatten Gutachter zu klären, ob Propofol tatsächlich hinter der Tragödie steckte – alle Beklagten bestritten dies vehement. Wie viel Wirkstoff sich tatsächlich noch in der Flasche befand, ließ sich nicht mehr exakt klären, da eine chemische Untersuchung zu spät vorgenommen wurde. Als weitere Hinweise wertete Z. den muskulären Tonusverlust im Bereich des Unterkiefers inklusive Zurückfallen der Zunge. Operationsbedingte Komplikationen wie Schwellungen oberer Atemwege ließen sich als Ursache ausschließen. Dies sei weder mit dem Einschlafen noch mit plötzlich auftretenden Beschwerden vereinbar, argumentierte Z.
Nach entsprechenden Ausführungen hatten die Richter kaum noch Zweifel. Sie machten sowohl die Klinik als auch den Chirurgen und die Medizinstudentin haftbar. Entsprechende Forderungen des Ehemanns zur Pflege belaufen sich auf mehr als 800.000 Euro, wobei die genaue Summe noch festzulegen ist. Neben zivilrechtlichen Gesichtspunkten prüft die Staatsanwaltschaft Mainz, ob hier auch strafrechtliche Aspekte zum Tragen kommen, sprich fahrlässige Körperverletzung. Dem Anästhesisten wurden keine Verstöße zur Last gelegt. Er ist weder für den ordnungsgemäßen Betrieb besagter Klinik noch für deren Personaleinsatz verantwortlich und muss sich auf geltende Standards verlassen. Ihm sei nur Fahrlässigkeit anzulasten, weil er das Anästhetikum nicht entsorgt hatte, hieß es weiter.