Viele Patienten überlegen sich genau, welche Psychotherapiemethode sie wählen. Doch entscheiden sie sich für die "richtige" Therapie? Macht der Therapeut das, was er machen soll? Forscher untersuchten, wie sehr sich Therapeuten der verschiedenen Richtungen an ihre Methode halten.
Der Psychologe Volker Tschuschke und seine Schweizer Kollegen kamen zu einem überraschenden Ergebnis: Bei Therapien entstammen lediglich 4 bis 28% aller Interventionen der eigenen Methode. Einzelne Psychotherapierichtungen lassen sich eigentlich nur erforschen, wenn sie jeweils eindeutige Merkmale haben. Nur, wenn sich der Therapeut an seine „Richtung“ hält, lässt sich auch erfassen, wie wirkungsvoll eine bestimmte Therapiemethode ist. Volker Tschuschke und Kollegen wollten wissen: Wie sehr hält sich der Therapeut an sein Verfahren? Welchen Einfluss hat seine Methodentreue auf das Befinden des Patienten? Die Studie ist Teil der „Praxisstudie Ambulante Psychotherapie Schweiz“ (PAP-S). Einige Studien weisen darauf hin, dass die Methodentreue nur wenig Einfluss auf das Therapieergebnis hat. Andererseits wird die Methodentreue auch vom Patienten beeinflusst: Therapeuten halten sich Studien zufolge umso strenger an ihr Manual, je weniger der Patient sich auf die Therapie einlässt.
Spezifische Techniken sind die entscheidenden „Zutaten“ einer Therapierichtung, doch auch nicht-spezifische Maßnahmen sind hilfreich, besonders für Patienten, deren Leiden nicht allzu ausgeprägt ist. Um die Methodentreue zu messen, entwickelten Volker Tschuschke und Kollegen ein Rating-System, mithilfe dessen sich 100 Interventionstechniken und 25 Kategorien erfassen lassen, so z.B. die Technik „Konfrontation mit Abwehr und Widerstand“, die charakteristisch für psychodynamische Verfahren ist. Eine typische Aussage des Therapeuten hierfür wäre: „Ich glaube, dass Sie unbewusst verhindern wollen, etwas Wichtiges zu erkennen.“ In den Jahren 2007–2012 untersuchten die Wissenschaftler 8 verschiedene Psychotherapierichtungen. Hierbei lagen von 81 Einzeltherapien komplette Audio-Aufnahmen vor. Leider gehören die Verhaltenstherapie, die klientenzentrierte und die systemische Therapie nicht mit zu den untersuchten Verfahren. Zu den untersuchten Therapierichtungen gehören: 1. die Analytische Psychotherapie nach Jung und die Psychoanalyse nach Freud (psychodynamische Verfahren) 2. die Bioenergetische Analyse nach Lowen (körperorientiertes Verfahren) 3. die Existenzielle Analyse und die Logotherapie nach Frankl (humanistisches Verfahren) 4. die Gestalttherapie nach Perls (humanistisches Verfahren) 5. die Integrative Körper-Psychotherapie nach Rosenberg, Rand und Asay 6. die Kunst- und Expressionsorientierte Psychotherapie nach Knill, Fuchs und Barba (integratives Verfahren) 7. die Prozessoriente Psychotherapie nach Mindell (integratives Verfahren) 8. die Transaktionsanalyse nach Berne (humanistisches Verfahren) Die 81 Patienten (46 Frauen und 35 Männer) wiesen insgesamt 147 Diagnosen nach DSM-IV auf, wobei Stimmungsstörungen (23,8%) und Ängste (34%) zu den häufigsten Störungen gehörten. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 39,6 Jahren (17–71 Jahre). An der Studie nahmen 30 Therapeuten (18 Frauen und 12 Männer) teil. Sie waren durchschnittlich 50,4 Jahre alt (38–64 Jahre). 27 der Therapeuten waren Psychologen, einer war Arzt und zwei Therapeuten hatten andere Universitätsabschlüsse absolviert. Die Wissenschaftler ermittelten das Befinden der Patienten mit verschiedenen Messinstrumenten zu Beginn und am Ende der Therapie. Dazu gehörten unter anderem der Global Severity Index des Brief Symptom Inventory, die Symptom Check List SCL-90-R, das Outcome Questionnaire OQ-45.2 sowie die Global Assessment of Fuctioning Scale (GAF). Die therapeutische Allianz des Patienten zum Therapeuten wurde mithilfe des Helping Alliance Questionnaires (HAQ nach Luborsky) ermittelt.
Die Autoren konnten zeigen: Nur 4,2–27,8% aller Interventionen waren therapiespezifisch. 49,6–72,9% der Interventionen waren nicht-spezifisch. 15,9–26,9% der Interventionen waren anderen Therapieverfahren entlehnt. Die Therapeuten schwankten in ihrer Methodentreue teilweise extrem: Ein Therapeut war in einer Sitzung zu 100% methodentreu und in einer anderen zu 0%. Bei einigen Therapierichtungen konnten die Autoren eine höhere Methodentreue feststellen als bei anderen Richtungen, z.B. waren die Therapeuten der Gestalt- und der Bioenergetischen Therapie besonders methodentreu. Wenig spezifische Interventionen wiesen die Therapeuten der Integrativen Körperpsychotherapie auf. Die besten Behandlungsergebnisse erzielten sehr erfahrene Therapeuten, die schwerer erkrankte Patienten behandelten. Schwerer Erkrankte wiesen allerdings auch eine bessere Therapieallianz auf als leichter Erkrankte. Auffallend war, dass erfahrene Therapeuten seltener therapiespezifisch intervenierten als weniger erfahrene Therapueten. Mit der Methodentreue allein ließ sich das Behandlungsergebnis jedenfalls nicht voraussagen. Die Autoren vermuten, dass die Therapeuten ihren Therapiestil auf den jeweiligen Patienten abstimmen und daher einmal mehr und einmal weniger methodenspezifisch arbeiten. Vieles weist darauf hin, dass der richtige Zeitpunkt einer Intervention entscheidend ist. Interessant hierzu ist auch der Beitrag des Psychotherapieforschers Jonathan Shedler, der fragt: "Where is the Evidence for Evidence-Based Therapies?" Auch er weist darauf hin, dass erfahrene Therapeuten häufiger von ihrer Therapierichtung abweichen, sodass Erfolge in der Verhaltenstherapie unter anderem darauf zurückzuführen seien, dass erfahrene Therapeuten relativ häufig psychodynamische Elemente nutzten.