Zur Behandlung der chronischen Hepatitis-C-Infektion steht seit Januar 2014 auch der Wirkstoff Sofosbuvir zur Verfügung. Das IQWiG hat nun bei einer frühen Nutzenbewertung überprüft, ob der neue Wirkstoff gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Zusatznutzen bietet.
Zwar liefere das vom Hersteller vorgelegte Dossier Hinweise auf einen Zusatznutzen für nicht vorbehandelte Patienten, deren Virus vom Genotyp 2 ist. Allerdings lasse sich das Ausmaß nicht quantifizieren. Für Patienten, die mit anderen Virustypen (Genotyp 1 und 3-6) oder zugleich mit HIV infiziert sind, fehlen im Dossier geeignete Daten.
Hepatitis-C-Viren befallen die Leber und können dort eine Entzündung auslösen. Wird diese chronisch, kann sie zu einer Zirrhose führen, bei der die Leber zunehmend schlechter arbeitet. Zudem steigt das Risiko für Leberkrebs. Sofosbuvir hemmt die Vermehrung der Hepatitis-C-Viren und wird ergänzend zu den bisher verfügbaren Wirkstoffen Peginterferon alfa und Ribavirin verabreicht, in bestimmten Fällen auch nur ergänzend zu Ribavirin. Gemäß Zulassung werden dabei einzelne Patientengruppen unterschiedlich lang behandelt. Die Zweierkombination von Peginterferon alfa und Ribavirin ist der bisherige Therapiestandard, beim Genotyp 1 gilt dies bei den meisten Patienten auch für eine Dreierkombination mit Boceprevir oder Telaprevir (Triple-Therapie). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat dementsprechend Peginterferon alfa und Ribavirin als zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt, beim Genotyp 1 als zusätzliche Option die Triple-Therapie.
Für die Infektionen mit Viren vom Typ 1 sowie Typ 3-6 und für die HIV-Koinfektion lege der Hersteller keine angemessenen Analysen vor. Zwar habe er Ergebnisse aus Studien ausgewertet, in denen in mindestens einem Studienarm die jeweilige Vergleichstherapie untersucht wurde, und diese in einem „historischen“ Vergleich gegenüber gestellt. Dabei beziehe er auf der Seite von Sofosbuvir sowohl randomisiert kontrollierte (RCT) als auch einarmige Studien ein, auf der Seite des Komparators aber ausschließlich RCT. Als Begründung führe er an, er habe die Anzahl der Treffer seiner Recherche reduzieren wollen. Damit sei aber die Datenbasis für den Vergleich unterschiedlich und der Vergleich selbst ungeeignet. Eine erste Recherche des IQWiG zeige, dass im Dossier eine ganze Reihe von Studien unberücksichtigt blieb.
Anders beim Genotyp 2: Hier führe der Hersteller im Dossier eine offene, randomisierte kontrollierte Studie (FISSION) an, in der therapienaive, also noch nicht vorbehandelte Erwachsene mit einer Hepatitis-C-Infektion vom Genotyp 2 und 3 untersucht wurden. Im Interventionsarm erhielten sie 12 Wochen Sofosbuvir plus Ribavirin, im Kontrollarm 24 Wochen Peginterferon alfa plus Ribavirin. Damit sei die Anwendung von Sofosbuvir aber nur für die Indikation Genotyp 2 zulassungskonform; folglich seien nur ihre Daten für die Nutzenbewertung verwertbar. Denn für Genotyp 3 schreibt die Fachinformation eine Behandlungsdauer von 24 Wochen vor. Der Hersteller selbst habe die FISSION-Studie in seinem Dossier für Patienten mit Genotyp 3 nicht berücksichtigt.
Das Verzerrungspotenzial der FISSION-Studie schätzt das IQWiG insgesamt als hoch ein. Das liege vor allem daran, dass der Hersteller für die Auswertung nur diejenigen Teilnehmer herangezogen habe, die mindestens eine Dosis der ihnen mittels Randomisierung zugeteilten Medikation erhalten hatten. Gerade im Kontrollarm, wo nicht der neue Wirkstoff, sondern die herkömmlichen Medikamente verabreicht wurden, ließen sich aber einige Patienten nicht so behandeln wie vorgesehen. Dies ist ein generelles Problem von offenen Studien, bei denen bekannt ist, wer welche Therapie erhält. Dadurch besteht das Risiko, dass Patienten abhängig davon, welcher Therapie sie zugeordnet wurden, die Studie früh beenden. In der Folge ist das, was man durch die Randomisierung erreichen will, gefährdet: Die Vergleichbarkeit der Behandlungsgruppen. Genau das sei in der FISSION-Studie passiert, was zu (hoch) verzerrten Ergebnissen führen könne.
Da in der FISSION-Studie bei der Indikation Genotyp 2 keine Todesfälle auftraten, könne es beim Endpunkt Sterblichkeit auch keine Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen und somit auch keinen Beleg für einen Zusatznutzen geben. Letzteres gelte auch für die gesundheitsbezogene Lebensqualität, hier allerdings deshalb, weil das Dossier für diesen Endpunkt keine verwertbaren Daten enthielt.
Anstelle des patientenrelevanten Endpunkts „Auftreten hepatozellulärer Karzinome (HCC)“ führt der Hersteller das dauerhafte virologische Ansprechen oder SVR an (Sustained Virological Response). Er kann zeigen, dass es hier einen statistisch signifikanten Gruppenunterschied zugunsten von Sofosbuvir gibt. Aufgrund des hohen Verzerrungspotenzials hat das IQWiG zusätzlich eigene Sensitivitätsanalysen durchgeführt. Dabei hat es getestet, wie es sich auswirkt, wenn man die fehlenden Werte mit unterschiedlichen Strategien ersetzt. Die Wissenschaftler stellten dabei fest, dass das für Sofosbuvir vorteilhafte Ergebnis robust sei.
Zwar sei SVR per se kein patientenrelevanter Endpunkt und daher nicht mit „Heilung“ gleichzusetzen. Und Studien, in denen SVR als Surrogatendpunkt nach den üblichen Kriterien des IQWiG abgesichert wurde, gebe es nicht. Dennoch akzeptiere das Institut hier SVR als Ersatzkennzeichen für das verminderte Auftreten von Leberkrebs. Denn Patienten, bei denen das Hepatitis-C-Virus nicht mehr nachweisbar ist, haben nach derzeitigem Stand des Wissens ein geringeres Risiko für Leberkrebs. Allerdings sei nicht geklärt, bei wie vielen Betroffenen Sofosbuvir tatsächlich Leberkrebs verhindern kann. Das IQWiG sieht deshalb beim Endpunkt Folgeerkrankungen einen Hinweis auf einen Vorteil von Sofosbuvir.
Die Bewertung der im Dossier enthaltenen Daten zu Nebenwirkungen sei nur eingeschränkt möglich gewesen. Der Hersteller stelle diese anhand der Patientenanteile mit mindestens einem Ereignis dar. Da die Patienten in den beiden Studienarmen jeweils unterschiedlich lange beobachtet wurden, sei diese Art der Auswertung jedoch nur eingeschränkt geeignet. Schwere unerwünschte Ereignisse seien in beiden Studienarmen jeweils nur einmal aufgetreten. Ein statistisch signifikanter Unterschied beim Endpunkt Therapieabbruch wegen unerwünschter Ereignisse zugunsten Sofosbuvir erwies sich bei den vom IQWiG durchgeführten Sensitivitätsanalysen als nicht robust. Das IQWiG sieht deshalb bei den Nebenwirkungen einen Zusatznutzen als nicht belegt an.
Für therapienaive Patienten mit chronischer Hepatitis C vom Genotyp 2 verbleibe in der Gesamtschau ein positiver Effekt von Sofosbuvir gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie in Hinblick auf schwerwiegende Folgekomplikationen. Das Ausmaß dieses – über das Surrogat SVR bestimmten – Zusatznutzens sei jedoch nicht quantifizierbar, da unklar sei, wie häufig tatsächlich das Auftreten von Leberkrebs vermieden werden könne. Bei den Nebenwirkungen sei eine Bewertung nur eingeschränkt möglich gewesen. Ein größerer Schaden von Sofosbuvir sei aber unwahrscheinlich, weshalb es nicht gerechtfertigt wäre, den Zusatznutzen herabzustufen, so IQWiG.