Der Reproduktionsmedizin sind riesige Fortschritte gelungen. Dem gegenüber steht ein veraltetes Embryonenschutzgesetz, das wissenschaftliche Realitäten kaum noch abbildet. Verzweifelte Paare sehen oft keine andere Möglichkeit, als bezahlte Leihmütter in Osteuropa zu engagieren.
Olga und Anouschka lächeln in die Kamera. Sie sind gerade Mitte 20 und verkaufen – besser gesagt verleihen – ihren Körper. Über BioTexCom, ein Unternehmen mit Sitz in der Ukraine, kommen solvente Paare vielleicht doch noch an das ersehnte Babyglück. „Es gibt keine absolute Unfruchtbarkeit – wir behandeln sogar die hoffnungslosesten Fälle“, heißt es auf der deutschsprachigen Website. Potenzielle Kunden werden mit „Geld-zurück-Garantien“ nach mehreren Misserfolgen geködert. Und in Foren tauschen sich verzweifelte Paare aus. „Ich bin auf der Suche nach einer sicheren KiWu-Klinik in Osteuropa“, postet eine Frau unter dem Pseudonym little_sweety. Paare, die es sich leisten können, umgehen deutsches Recht. Das könnte sich durch einen neuen Vorstoß bald ändern.
Jochen Taupitz © Leopoldina Zum Hintergrund: „Das Embryonenschutzgesetz von 1990 ist ein reines Strafgesetz. Es kann nicht ohne völlige Umgestaltung seines Charakters zu einem Fortpflanzungsmedizingesetz erweitert werden“, kritisiert Professor Dr. Jochen Taupitz. Der Hochschullehrer ist Mitglied im Ethikrat und Coautor eines neuen Diskussionspapiers. Im Auftrag der Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina hat ein Gremium etliche Schwachpunkte im deutschen Recht aufgedeckt, die sich aus wissenschaftlichen Neuerungen ergeben. Taupitz zufolge hinke das Embryonenschutzgesetz dem naturwissenschaftlichen Fortschritt „erheblich hinterher“. Während Österreich und die Schweiz umfassende Regelungen verabschiedet haben, gilt hierzulande ein Werk, das etliche Bereiche nicht abdeckt.
Dazu gehören in erster Linie In-vitro-Fertilisationen (IVF). Dabei benutzten Ärzte Eizellen künstlich im Labor. Nach der Kultur und der Qualitätskontrolle werden zwei bis maximal drei Embryonen in den Uterus transferiert, um eine Schwangerschaft wahrscheinlicher zu machen. Leopoldina-Wissenschaftler schreiben: „Die medizinische Praxis der In-vitro Fertilisation in zahlreichen europäischen Staaten folgt dem allgemein anerkannten internationalen Stand des Wissens, wonach von mehreren Embryonen geplantermaßen nur derjenige mit der größten Entwicklungsfähigkeit übertragen wird.“ Ziel des Transfers einzelner Embryonen ist, risikobehaftete Mehrlingsschwangerschaften zu vermeiden, ohne die Erfolgsaussichten zu schmälern. Bei uns ist dieses Verfahren strafbar. „Im Gegensatz zu anderen Ländern werden deswegen in Deutschland Mehrlingsschwangerschaften mit Frühgeburten in Kauf genommen, die erhebliche Gesundheitsrisiken insbesondere für die Kinder mit sich bringen“, heißt es weiter. Äußerst umstritten ist auch die Regelung, Samenzellen nach dem Tod eines Mannes nicht mehr einzusetzen.
Claudia Wiesemann © Universitätsmedizin Göttingen Als weiteren Schwachpunkt im deutschen Recht identifizierten Forscher ungleiche Regelungen für Frauen und Männer. Die Spende von Samenzellen ist in Deutschland seit Jahren gängige Praxis, während der Gesetzgeber Eizellspenden verbietet. Aktuell sieht die Medizinethikerin Professor Dr. Claudia Wiesemann aus Göttingen eine „große Ungleichheit zwischen Männern und Frauen“: „Beide können aus biologischen Gründen beispielsweise unfähig sein, Keimzellen zu produzieren, die Frau zum Beispiel nach einer Chemotherapie, und warum sollen dann Frauen weniger das Recht haben, eine Familie zu gründen mithilfe der Eizellspende, als Männer eben mithilfe einer Samenspende?“ Diese Ungleichbehandlung der Geschlechter lässt sich schwerlich rechtfertigen. Vorgaben, wie sie bei der Lebendorganspende gelten, könnten der Kommerzialisierung entgegenwirken. Das Transplantationsgesetz, Paragraph 8, beschränkt entsprechende Transfers auf „Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“. Dem stehen unbefriedigende Möglichkeiten im Ausland gegenüber: Bei anonymen Eizellspenden haben Kinder keine Möglichkeit, ihre Abstammung nachzuvollziehen. „Jeder Mensch muss das Recht haben, seine Erzeuger zu kennen“, konstatiert der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf.
Auch die bundesweit verbotene Leihmutterschaft ist Gegenstand des Diskussionspapiers. Dabei tragen Frauen gegen eine Entschädigung befruchtete, fremde Eizellen aus. „Unabhängig von der stark umstrittenen Frage einer rechtlichen Zulassung in der Zukunft besteht aber schon heute Regelungsbedarf für die im Ausland von einer Leihmutter geborenen und dann in Deutschland aufwachsenden Kinder“, schreiben Leopoldina-Experten. Das betrifft vor allem die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung. Aspekte aus den Bereichen Sorgerecht, Unterhalt oder Staatsbürgerschaft sind eng damit verbunden. Am richtigen Weg scheiden sich die Geister. CDU-Rechtsexperte Dr. Stephan Harbarth fordert zusammen mit Kollegen, „die kommerzielle Leihmutterschaften national wie international zu unterbinden“. Jochen Taupitz kann sich eher einen „vernünftigen politischen Kompromiss“ vorstellen.
Bei der Kryokonservierung ist die Lage ebenfalls juristisch unklar. Ärzte haben das Verfahren ursprünglich entwickelt, um Eizellen vor der Chemotherapie zu entnehmen, bei tiefen Temperaturen aufzubewahren und später per IVF zu übertragen. Daraus ist das „Social Freezing“ entstanden. Passen Babys nicht zur aktuellen Lebensplanung, lassen Frauen Eizellen für spätere Schwangerschaften einfrieren – eine laut Taupitz „bedenkliche Entwicklung“. Rahmenbedingungen für die Aufbewahrung, Befruchtung und Übertragung von Eizellen sucht man bislang vergebens.
Damit wären die Hausaufgaben für Berlin klar verteilt. Ob sich Union, die Grünen und die FDP mit der Thematik bald befassen, ist mehr als fraglich. Falls sie das Thema überhaupt in ihren Koalitionsvertrag packen, wird es bei unverbindlichen Bekenntnissen bleiben. In der Zwischenzeit packen Medizintouristen ihren Koffer.