Viel Aufregung um Neuraminidase-Hemmer: Nach Veröffentlichung einer Studienauswertung der Cochrane Collaboration fanden Forscher kaum Anhaltspunkte zur Wirksamkeit. Jetzt könnten Gesundheitspolitiker Pandemiepläne überarbeiten.
Tom Jefferson und Peter Doshi von der Cochrane Collaboration hatten viel Geduld. Ihnen gelang es doch noch, bislang unveröffentlichte Studien über Neuraminidase-Hemmer einzusehen. Jetzt kommen die Forscher bei Oseltamivir (Tamiflu®) zu wenig schmeichelhaften Resultaten: Der oral zu applizierende Wirkstoff verkürzt Jefferson zufolge Grippesymptome gerade einmal um knapp 17 Stunden. Die Hospitalisierungsrate verringerte sich nicht signifikant. Auch müssen statistisch gesehen 100 Erkrankte mit dem Arzneistoff therapiert werden, um eine Pneumonie zu verhindern. Hinsichtlich der Prophylaxe profitierten Menschen, die ein erkranktes Familienmitglied pflegen, geringfügig. Hier sank das Risiko einer Erkrankung um 13,6 Prozentpunkte. In einer Stellungnahme widerspricht Roche mit Hinweis auf Daten aus der Anwendungspraxis. Auch bei Zanamivir (Relenza®) ist die Sachlage nicht besser.
Politiker diskutieren jetzt, ob Regierungen das Pharmakon überhaupt bevorraten sollten. Während der Pandemie 2009 hatten Experten zumindest gehofft, Lungenentzündungen zu vermeiden und eine stärkere Ausbreitung der Viren einzudämmen. In diesem Zusammenhang ermahnt Professor Dr. Karl Lauterbach (SPD) alle Beteiligten, schnell zu handeln: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass die hoch relevanten Ergebnisse der Cochrane-Untersuchung in die derzeitige Überarbeitung unseres Pandemieplans einfließen.“ Der Gesundheitspolitiker befürwortete ehemals selbst, Tamiflu einzulagern, hat seine Meinung aber geändert. Von pharmazeutischen Herstellern fordert er, Studienergebnisse künftig umgehend zu veröffentlichen. Und Kathrin Vogler von der Linken ergänzt: „Die jahrelangen Zweifel an der Wirksamkeit von Tamiflu® sind vollauf bestätigt worden.“ Sie will Bund und Länder bewegen, „endlich diesen Wahnsinn zu stoppen und nicht noch weitere Hunderte von Millionen Euro auszugeben, um dieses weitgehend nutzlose Grippemittel einzulagern“.
Jetzt preschen Gesundheitspolitiker von Bündnis 90 / Die Grünen vor. Im Rahmen einer kleinen Anfrage wollen sie wissen, seit wann die Bundesregierung von wissenschaftlichen Zweifeln hinsichtlich der Wirksamkeit erfahren hat. Und weiter: „Ist die Bundesregierung trotz der aktuell vorliegenden Auswertungsergebnisse weiterhin der Auffassung, dass Tamiflu® und Relenza® geeignete Mittel darstellen, um während einer Influenzapandemie die Mortalität und Morbidität in der Bevölkerung zu reduzieren, bis ein für das aktuelle Influenzavirus spezifischer Impfstoff zur Verfügung steht?“ Früher oder später müssen Regierungsvertreter den nationalen Pandemieplan ohnehin überarbeiten.