Die Idee ist gut: Damit Antibiotika eingespart und Resistenzbildungen vermieden werden, soll der Procalcitonin-Test zuvor klären, ob es sinnvoll ist, ein Antibiotikum zu verordnen. Hausärzte sind von dem Labortest trotzdem nicht überzeugt. Woran liegt es?
GOP 32459. Unter dieser Gebührenordnungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) verbirgt sich der Procalcitonin- oder PCT-Test, der seit Juli von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Durch Anwendung eines solchen Tests kann geklärt werden, ob es sich um einen bakteriellen oder viralen Infekt handelt. Je nachdem ist eine Gabe von Antibiotika dann sinnvoll oder nicht. Könnte dieser Test ein gezielteres Verschreiben ermöglichen und damit ein wichtiges Element im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen sein? Tatsächlich verschrieben werden Antibiotika bekanntlich auch häufig, wenn es nicht sinnvoll ist. Bestes Beispiel sind Atemwegserkrankungen, obwohl sie zu 40 % viral bedingt sind. Der medizinische Nutzen des PCT-Tests wird kaum in Frage gestellt. Warum er trotzdem wenig genutzt wird, hat einen anderen Grund: Hausärzte beklagen, dass die Umsetzung einen deutlichen Mehraufwand mit sich bringt und vor allem zu lange dauert. Dr. Bernhard von der Heyden-Rynsch, Facharzt für Allgemeinmedizin in Frellstedt
So auch Dr. Bernhard von der Heyden-Rynsch, Facharzt für Allgemeinmedizin in Frellstedt: „Der Test soll dem KV-Rundschreiben nach vor allem für die Differenzierung unterer Atemwegsinfektionen und Sepsis genutzt werden. Bei Verdacht auf eine Sepsis möchte man aber nicht eineinhalb Tage auf den Labortest warten. Dann würde man bei schlechtem Allgemeinzustand auf das klinische Bild hin ein Antibiotikum verordnen.“ Auch für den Einsatz bei Atemwegsinfektionen sieht er den Test eher kritisch: „Ein wesentlicher Punkt ist die Anamnese. Die Auswurffarbe spielt entgegen der allgemeinen Annahme eine eher untergeordnete Rolle und soll laut Leitlinie gar nicht beachtet werden. Aber bei schmerzhaftem Husten, entsprechender Krankheitsdauer, evtl. Fieber und klarem Hinweis auf eine Lungenentzündung beim Abhorchen, würde ich ohne Blutuntersuchung ein Antibiotikum verschreiben und auch kein Röntgen anfordern.“ Unter bestimmten Bedingungen untersucht Heyden-Rynsch besonders umfassend: „Wenn hingegen das Abhorchen keinen klaren Befund ergibt, jedoch schmerzhafter Husten und ein schweres Krankheitsgefühl vorliegen, dann würde ich Labor und Röntgen veranlassen. Bisher mache ich es so, dass ich ein Differenzialblutbild und den CRP-Wert anfordere. Bei immunsupprimierten Patienten nach Chemotherapie könnte dies unzuverlässig sein, aber wenn diese Patienten Fieber bekommen oder ein entsprechendes Krankheitsbild zeigen, dann behalte ich sie nicht zu Hause, sondern überweise sie dorthin, wo sie die Chemotherapie bekommen haben. Anders wäre es, wenn ich kostenneutral einen Schnelltest hier vor Ort machen könnte.“ Der wäre sogar verfügbar, er ist aber zu teuer und überschreitet den Betrag, der von den Krankenkassen übernommen wird, um mehr als das Dreifache.
Procalcitonin ist eine Vorstufe des Schilddrüsenhormons Calcitonin. Bei bakteriellen Infekten wird es in vielen Geweben produziert und ins Blut abgegeben. Die Serumkonzentration von Procalcitonin ist bei Gesunden kaum nachweisbar und liegt unter 0,1 µg/l. Bei bakteriellen Entzündungsreaktionen steigt sie binnen 24–48 Stunden an. Bei einer typischen bakteriellen Pneumonie beträgt der Median ca. 2,5 µg/l, während virale Infektionen einen Median von 0,09 µg/l zeigen. Bei leichten oder lokal begrenzten Bakterieninfektionen und nicht infektiösen entzündlichen Erkrankungen bleibt der Anstieg aus oder liegt unterhalb der Entscheidungsgrenze: Algorithmus für die Einordnung gemessener Procalcitonin-Konzentrationen und Ableitung von Handlungsvorschlägen bei Verdacht auf untere Atemwegsinfektionen und Sepsis. ©K. Zoufal, erstellt nach Informationen von Dr. M. Haddad und gesundheits-lexikon.com Der Test ist in Krankenhäusern auf Intensiv- und Infektionsstationen seit vielen Jahren im Einsatz und hat sich dort bewährt. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf werden laut Dr. Munif Haddad, Oberarzt der Laboratoriumsmedizin, jährlich mehr als 10.000 PCT-Analysen durchgeführt. Er beschreibt, dass der Nutzen des PCT-Wertes außer Frage steht und sich aufgrund seiner Halbwertszeit von 16 Stunden auch gut für Verlaufskontrollen eignet: „Neben der Diskrimination von primären Atemwegsinfektionen lässt sich bei Patienten mit komplizierten oder Vorerkrankungen anhand des PCT-Wertes gut abschätzen, ob eine Infektion hinzugekommen ist oder nicht. Auch die Kontrolle des Therapieerfolgs ist eine wichtige Anwendung. Im Klinikum hat das u. a. Konsequenzen für den Personaleinsatz, wenn Patienten anhand der Verlaufskontrollen eher von der Intensiv- auf eine periphere Station verlegt werden können.“ Neben bakteriellen Infekten gibt es einige Auslöser, die zu einer Erhöhung des PCT-Wertes führen:
Der Nachweis eines erhöhten PCT-Wertes allein soll deshalb keine Indikation für eine Antibiotikatherapie darstellen, sondern muss immer im klinischen Kontext betrachtet werden. Beispielsweise ist der PCT-Wert 48 Stunden nach größeren OPs erhöht und sollte dann wieder abfallen. Eine physiologische Erhöhung findet sich während der ersten beiden Lebenstage bei Neugeborenen. Niedrige Werte treten in der Frühphase einer bakteriellen Infektion, bei lokalen Infektionen oder subakuter infektiöser Endokarditis auf. Wird eine Lungenentzündung durch atypische Erreger wie Chlamydien, Rickettsien, Mykoplasmen oder Legionellen ausgelöst, so beträgt der PCT-Wert im Median nur 0,2 µg/l. Einer großen Meta-Analyse zufolge war das Therapieversagen bei Atemwegserkrankungen unter PCT-Monitoring geringer als in der Kontrollgruppe ohne PCT-Monitoring (OR 0,9; 95 % CI: 0,81 – 0,99; p = 0,068), die Einnahmedauer verringerte sich um durchschnittlich 2,43 Tage (95 % CI: -2,71 – 2,15; p < 0,0001), und Antibiotika-assoziierte Nebenwirkungen traten seltener auf (OR 0,68; 95 % CI: 0,57 – 0,82; p < 0,0001).
Was ist eigentlich mit dem CRP-Test? Die Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP) gibt ebenfalls Hinweise darauf, ob eine Infektion viraler oder bakterieller Ursache ist. Viele Ärzte können deshalb nicht recht nachvollziehen, warum zur Abklärung von Atemwegsinfekten und Sepsis dem PCT-Test Vorrang gegenüber der CRP-Methode gegeben wurde. Inwiefern unterscheiden sich die Tests? Auch CRP ist bei Patienten mit Lungenentzündung erhöht und ermöglicht z. B. eine Unterscheidung von Pneumonie und Exazerbation bei COPD oder Herzversagen. Die CRP-Bestimmung kostet nur einen Bruchteil des PCT-Testes. Sie belastet im Gegensatz zum PCT-Test jedoch das Praxis-Budget für Laborkosten, da sie nicht unter die Ausnahmeziffer 32004 fällt, deren Leistungen nicht angerechnet werden, wenn es um die Ermittlung des Wirtschaftlichkeitsbonus Labor geht. Die Kosten des PCT-Tests sind hoch und liegen weit über 10 Euro pro Test, sagt Dr. Haddad: „Mit einer breiteren Anwendung wird sich der Preis verringern. Für Hausärzte wäre ein Schnelltest vor Ort sehr schön, aber dieser ist deutlich teurer und erlaubt im unteren Bereich noch keine so gute Quantifizierung, d. h. zwischen 0,25 und 0,5 µg/l trifft der Schnelltest im Prinzip nur eine halbe Aussage. Deshalb setzen wir auf den hochsensitiven Test, der auf Laborautomaten läuft.“ Er hält den PCT-Wert für wesentlich geeigneter als eine CRP-Bestimmung, um virale von bakteriellen Atemwegsinfektionen sowie Sepsis zu unterscheiden: „Der PCT ist viel spezifischer als das CRP, das häufiger auch bei lokalen Infektionen ansteigt.“ Während der H1N1 Pandemie 2009 wurden beide Marker verglichen: Für den Nachweis einer gemischten bakteriellen Infektionspneumonie betrug die Sensitivität eines PCT-Wertes über 1,5 μg/l 56 % und die Spezifität 84 %. Die Sensitivität eines CRP über 100 mg/l lag bei 69 %, die Spezifität bei 63 %.
Welche Rolle diese Tests in der Zukunft spielen werden, ist im Moment schwer zu sagen. In Sachsen-Anhalt wird das CRP-Verfahren schon länger unterstützt: Dort ersetzt die AOK Vertragsärzten die Kosten, wenn sie vor einer Antibiotikaverordnung einen CRP-Schnelltest in ihrer Praxis durchführen. Dr. Haddad geht davon aus, dass die PCT-Analyse in Zukunft häufiger durchgeführt werden wird, da seitens der KV das größte Hindernis – das Budget – nun zumindest teilweise beseitigt ist. Bisher hat er noch keine vermehrten Anforderungen des PCT-Tests feststellen können. „Die Saison für Grippe und Atemwegserkrankungen hat noch nicht begonnen. Im Januar oder Februar kann man mehr erwarten.“