Seit Jahren wird die Akademisierung von Pflegeberufen hierzulande vorangetrieben. Dies soll den Krankenhausalltag zusätzlich professionalisieren und die Berufe attraktiver für Berufsanfänger machen. Jedoch birgt dieser Prozess auch Risiken bei der Umsetzung in der Praxis.
Inzwischen gibt es schon über über 90 Pflegestudiengänge (darunter Pflegewissenschaft, -management, -pädogik u. v. m.). Einige davon werden an Universitäten angeboten, die meisten an Fachhochschulen. Jedoch deckt die Anzahl der Absolventen, 1.754 im Jahr 2012, noch lange nicht die vom Wissenschaftsrat empfohlene 10–20 %ige Akademisierung eines Ausbildungsjahrgangs ab. Bei vielen handelt es sich um duale Studiengänge, bei denen der Student abwechselnd die Hochschule besucht und die praktische Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger im Krankenhaus absolviert.
Dadurch dass Pflegeberufe als Studiengänge mit Bachelor- und Masterabschluss angeboten werden, erhofft man sich, dass zukünftig mehr Abiturienten Interesse an dem Beruf finden. Es gibt immer mehr Menschen, die Pflege benötigen, da einerseits die Menschen älter werden und anderseits die Bereitschaft der Angehörigen, zu Hause zu pflegen, sinkt. Es besteht schon heute ein großer Mangel an Pflegekräften. Der Notstand in der Pflege ist ein großes gesundheitspolitisches Problem und es müssen unbedingt Nachwuchsinteressenten für die Pflegeberufe im Gesundheitswesen begeistert werden. Außerdem könnte das Ansehen der Gesundheits- und Krankenpfleger, das in Deutschland durchaus ausbaufähig ist, durch ein Studium steigen. Viele Menschen assoziieren mit dem Pflegeberuf immer noch vorrangig oder ausschließlich Bettpfannen und Fäkalien. Heutzutage ist jedoch das, was von den in Pflegeberufen Tätigen verlangt wird, um einiges komplexer. Durch die alternde Gesellschaft gibt es immer mehr multimorbide Patienten, die ein komplexes Behandlungskonzept in der medizinischen und pflegerischen Versorgung benötigen. Auch die Arbeitsbelastung der Ärzte ist sehr hoch. Deshalb wird es immer wichtiger, dass Ärzte mit den Pflegern eng zusammenarbeiten, dass die Pfleger aufmerksam sind, mitdenken und mitentscheiden. Aber nicht nur die älteren Patienten benötigen stärkere Aufmerksamkeit durch qualifizierte Gesundheits- und Krankenpfleger. „Die Uniklinika arbeiten schon heute mit berufsübergreifenden Teams und behandeln besonders komplexe Krankheitsbilder mit innovativen Verfahren. Entsprechend hoch ist unser Bedarf an akademisch qualifiziertem Pflegepersonal, zum Beispiel in der Neonatologie“, sagt Professor Michael Albrecht, Erster Vorsitzender des VUD. Der VUD-Vorsitzende sieht die Zukunft der Pflegestudiengänge jedoch vorrangig an den Unikliniken.
Ein Ziel für die Zukunft ist es sicherlich, dass die studierten Pfleger den Arbeitsablauf im Stationsalltag überprüfen und gegebenenfalls verbessern. Durch Fächer wie Gesundheitsmanagement und Gesundheitsökonomie sollen sie z. B. die Aufgaben einer Stationsleitung besser ausführen können und sich an Problemlösungen beteiligen und neue Ideen einbringen, wie die Arbeit effizienter und ohne Überlastungsspitzen ausgeführt werden könnte. Durch bessere Abläufe könnten auch Kosten eingespart werden. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg wird z. B. der duale Studiengang Pflege im Bachelor und Master angeboten. Die Beschreibung des Studiengangs spricht unter anderem davon, dass eine Aufgabe der Absolventen darin besteht, bei der Weiterbildung und der Einbeziehung der klassisch ausgebildeten Pfleger mitzuwirken. „Als akademisch ausgebildete Pflegende kommt den Absolventen die Verantwortung zu, Pflegende geringerer Qualifikation, aber auch Laienpflegende und pflegende Angehörige zielgerichtet in die Versorgung einzubeziehen, sie anzuleiten und deren Handlungen zu überwachen.“ Ziel der Akademisierung sollte es aber in keinem Fall sein, dass die Studierenden weiter vom Patienten entfernt werden und zu Schreibtischmanagern werden. Die Arbeit muss auch weiterhin sehr nah am Menschen ablaufen und die Studenten sollten lernen, alle Schritte der Pflege durchzuführen und dies auch weiter im Beruf auszuführen. Deshalb erscheinen gerade die dualen Studiengänge sinnvoll. Auch Heinz-Jochen Hinze, Vorsitzender des Ausschusses Medizin des Wissenschaftsrates, begrüßt die Akademisierung des Pflegepersonals. Vor allem seine Erfahrungen in Schweden, wo alle Pfleger ein Studium absolvieren, hätten ihn darin bestätigt. Jedoch sei es für ihn von großer Bedeutung, dass die Studierten weiterhin den Patienten pflegen: „Wir dürfen die nicht vom Patienten wegqualifizieren“.
Zwar mag für die deutschen Ärzte und Pfleger oder für die Bevölkerung die Akademisierung der Pflege noch Unstimmigkeiten aufwerfen, jedoch ist die Situation in den meisten europäischen Ländern seit langem klar. Bettina H. studiert an der Fachhochschule Bielefeld im Master „Berufspädagogik Pflege und Gesundheit“ und arbeitet neben dem Studium als Honorardozentin in der Ausbildung von Gesundheits- und Krankenpflegern sowie Altenpflegern und hat sich auch mit dem Thema befasst. „Es muss eine Veränderung in der Ausbildung geben. Vor allem in der Altenpflege wäre besser qualifiziertes Personal wertvoll. In anderen Ländern wie beispielsweise Frankreich, Skandinavien und den Niederlanden genießen die Krankenschwestern und –pfleger eine akademische Ausbildung und haben anspruchsvollere Aufgaben im Krankenhausalltag, eine verantwortungsvollere Zusammenarbeit mit den Ärzten, ein besseres Ansehen und dadurch insgesamt eine größere Zufriedenheit.“ Doch laufen wir nicht auch Gefahr, dass unsere neu qualifizierten Pflegekräfte ins besser bezahlte Ausland abwandern könnten, genau wie es auch viele Ärzte schon vorgemacht haben? In der Schweiz ist das Gehalt der Krankenpfleger viel höher (66 %) als in Deutschland, in Norwegen der Personalschlüssel um einiges besser (vier Patienten auf einen Pfleger, verglichen zu zehn zu einem in Deutschland), in den Niederlanden sind die Pfleger gesünder und zufriedener (ein Drittel der deutschen Pflegekräfte sind Burnout gefährdet, in den Niederladen nur ein Zehntel). Bei solchen Aussichten und der heutigen Situation in Deutschland, kann man die potentiellen Auswanderer sicherlich nicht verurteilen.
Da die Akademisierung der Pflegeberufe hierzulande erst so langsam ins Rollen kommt und die Erfahrung mit studierten Pflegern somit gering ist, gibt es noch Unklarheiten beim Einsatz in der klinischen Praxis. Die erste Problematik besteht in der Frage des Gehalts. Es gibt noch keine eigene Tarifgruppe für die Pfleger mit Uni-Abschluss, die verständlicherweise mehr Gehalt erwarten, als wenn sie den Ausbildungsweg eingeschlagen hätten. Die Krankenhäuser stellen sie wiederum wegen Angst vor höheren Kosten zum Teil ungerne ein oder bieten das gleiche Gehalt, wie sie es nach einer Ausbildung zahlen würden. Nur in einigen Privatkliniken werden die studierten Krankenpfleger mehr wertgeschätzt und bekommen auch schon ein höheres Gehalt. Hinzu kommt, dass es Ungewissheit in der Aufgabenverteilung gibt. Viele fragen sich, welche zusätzlichen Aufgaben die studierten Pfleger aufnehmen sollen bzw. können. Einige Ärzte und ausgebildete Pfleger könnten sich in ihrer Autorität eingeschränkt fühlen. Außerdem haben viele motivierte Krankenschwestern und -pfleger jahrelange Erfahrung auf einer Station und dadurch großes Wissen in ihrem Gebiet und in der Fachrichtung und arbeiten heute schon sehr gut mit den Ärzten zusammen. Wenn dann ein frischgebackener Student, der einen akademischen Abschluss in der Pflege anstrebt, meint, er könnte die Stationsarbeit neu erfinden, kommt dies möglicherweise nicht ganz so gut an. Es stellt sich auch die Frage, ob sich weniger Jugendliche für Pflegeberufe entscheiden würden, wenn in Zukunft bevorzugt Abiturienten in den Kliniken angestellt würden oder aber, ob der Lernaufwand eines Studiums junge Menschen abschrecken könnte, den Weg einzuschlagen. Möglicherweise auch Menschen, deren persönliche Eigenschaften ideal wären, um in einem Pflegeberuf zu arbeiten. Denn ein Abitur zu haben, bedeutet sicherlich nicht im Umkehrschluss, dass man für einen solchen sozial, körperlich und psychisch anspruchsvollen Beruf besser geeignet sei als ohne.
Eine zunehmende Akademisierung der Pflegeberufe kann viele Vorteile mit sich bringen, wie eine steigende Anzahl an Interessenten, ein höheres Ansehen des Berufsfeldes, die Verbesserung alltäglicher Arbeitsabläufe und eine reibungslosere Zusammenarbeit mit den Ärzten. Das zeigen auch die gut funktionierenden Gesundheitssysteme anderer Länder. Jedoch muss die Zukunft zeigen, wie gut die Umsetzung in Deutschland funktioniert und ob es wirklich mehr Menschen zu dem Beruf zieht, was natürlich ein sehr großer Zugewinn wäre.