In einem menschlichen Auge gibt es rund 120 Millionen lichtempfindliche Sinneszellen. Forschern ist es nun gelungen, bei lebenden Personen einzelne dieser Zellen gezielt zu stimulieren. Die Methode verspricht neue Antworten auf die Frage, wie das Auge Lichtreize zu Bildern verarbeitet.
Die Funktion einzelner Lichtsinneszellen ließ sich bislang nur an Gewebepräparaten studieren. Welcher Sinneseindruck im Menschen entsteht, wenn man ganz gezielt bestimmte Zellen stimuliert, lässt sich so jedoch nicht erforschen. Das deutsch-amerikanische Forscherteam hat diese Frage nun erstmals beantwortet. Mit einer Apparatur konnten die Wissenschaftler bei vier Testpersonen einzelne Zapfen im Auge stimulieren. Die Sinneszellen in der Netzhaut sind durch Nervenzellen miteinander verschaltet. Hier finden bereits grundlegende Schritte der Bildverarbeitung statt – die Netzhaut ist also streng genommen schon Teil des Gehirns. Mit der neuen Methode lässt sich untersuchen, auf welche Weise die Signale einzelner Zapfen miteinander verrechnet werden. In der Studie nahmen die Probanden schon dann einen Lichtreiz wahr, wenn bei ihnen ein einzelner Zapfen mit Laserlicht stimuliert wurde. Das galt aber nur, wenn die Lichtintensität eine bestimmte Schwelle überschritt. Zudem sind die Zapfen keineswegs überall gleich empfindlich. An ihrem Rand, also dort, wo sie mit anderen Zapfen zusammenstoßen, nimmt ihre Sensitivität deutlich ab. „Wir konnten zudem zeigen, dass die Wahrnehmungsschwelle am Rande des Sehfeldes erheblich höher liegt“, erklärt Erstautor Dr. Wolf Harmening von der Universitäts-Augenklinik Bonn. „Das war auch zu erwarten. Man weiß, dass in der Netzhaut-Peripherie die Reize mehrerer Sinneszellen miteinander verrechnet werden, bevor sie weiter geleitet werden. Im Zentrum der Netzhaut ist das anders. Wir konnten diese Verschaltung nun erstmals auf der Ebene einzelner Zellen direkt untersuchen.“ Forschern der Universität Bonn ist es zusammen mit US-Kollegen erstmals gelungen, gezielt einzelne Zapfen im Auge mit Laserlicht zu stimulieren und so ihre Funktion zu testen. © Lawrence Sincich
Hohe Erwartungen weckt die neue Methode für die Erforschung von Augenkrankheiten. „Bislang konnten wir nur sehen, wie sich die Netzhaut auf Zellebene verändert – ob beispielsweise die Zahl der Zapfen abnimmt“, erklärt Dr. Harmening. „Nun können wir prüfen, ob die Funktion der Zellen bereits im Vorfeld beeinträchtigt ist.“ Auch die Wirkung von Medikamenten lässt sich so direkt sichtbar machen – etwa, ob diese den Funktionsverlust der Sehzellen aufhalten oder zumindest bremsen können. Bislang ist man für derart detaillierte Untersuchungen auf Präparate aus verstorbenen Patienten oder auf Tiermodelle angewiesen.
Einzelne Lichtsinneszellen zu stimulieren, ist alles andere als trivial. Einerseits sind unsere Augen nie wirklich ruhig, auch wenn wir einen Punkt fixieren. Die Sehzelle, die stimuliert werden soll, bewegt sich also ständig hin und her. Diese Bewegung – Wissenschaftler sprechen von Mikrosakkaden – lässt sich willentlich nicht unterbinden. Andererseits ist das Auge aus optischer Sicht keineswegs perfekt: So ist die Linse nicht so geformt, dass sie ein absolut scharfes Bild erzeugen würde. Zudem wird das einfallende Licht wie durch ein Prisma in alle Regenbogenfarben aufgefächert und beim Weg durch den Augapfel weiter gestreut. Aus einem scharfen Punkt wird so auf der lichtempfindlichen Netzhaut ein verschmierter Fleck. Mit Computerhilfe lässt sich für jede Testperson individuell bestimmen, wie der Laserstrahl zu fokussieren ist, damit er trotz dieser optischen Schwächen nicht verschmiert. Dabei kommt ein biegsamer Spiegel zum Einsatz – ähnlich wie bei Hightech-Teleskopen in der Astronomie. Ein weiteres Computerprogramm überwacht die Augenbewegung. Es schießt den Laserstrahl immer dann ab, wenn sich die gewünschte Zelle an der passenden Position befindet. „So stellen wir sicher, dass wir genau eine Zelle wiederholt stimulieren“, betont Dr. Harmening. „Nur so können wir sie individuell untersuchen.“ Originalpublikation: Mapping the Perceptual Grain of the Human Retina Wolf M. Harmening et al.; The Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.5191-13.2014; 2014