Wissenschaftler zeigten nun, dass Blutstammzellen von Patienten mit Myelodysplastischem Syndrom in der Lage sind, die Zellen im Knochenmark gemäß ihren Bedürfnissen umzuprogrammieren: So schaffen sie sich selbst eine „Nische“, die ihr eigenes Überleben fördert.
Bei Patienten, die am Myelodysplastischen Syndrom (MDS) leiden, gerät das gesamte Blutbild außer Kontrolle. Ein Defekt der Blutstammzellen verhindert, dass funktionstüchtige Blutzellen ausreifen. In der Folge leiden die Patienten an allgemeiner körperlicher Schwäche, inneren Blutungen und schweren Infekten. In etwa einem Drittel der Fälle entwickelt sich die MDS weiter zu einer schwer behandelbaren akuten myeloischen Leukämie. Um die Erkrankung besser untersuchen zu können, haben Forscher vielfach versucht, defekte Blutstammzellen von MDS-Patienten auf Mäuse zu übertragen, um sie dort zu vermehren – was jedoch nie dauerhaft gelang. „Wir hatten Hinweise darauf, dass die Blutstammzellen von MDS-Patienten im Knochenmark bestimmte Bedingungen benötigen, um sich dort stabil einnisten zu können. In Zusammenarbeit mit Kollegen um Prof. Dr. Wolf-Karsten Hofmann und PD Dr. Daniel Nowak von der III. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim konnten wir das nun beweisen“, sagt Prof. Dr. Andreas Trumpp, Leiter der Abteilung für Stammzellen und Krebs im DKFZ.
Der Trick der Stammzellforscher: Sie transplantierten die blutbildenden Zellen von MDS-Patienten gemeinsam mit „Nischen-Zellen“ von derselben Person. Die Nischen-Zellen, von den Wissenschaftlern als „mesenchymale Stromazellen“ bezeichnet, siedeln überwiegend im Knochenmark und produzieren eine Reihe von Proteinfaktoren, die für das Überleben von blutbildenden Stammzellen notwendig sind. Sie bilden eine Art Mikroumgebung der Stammzellen. Nur die patienteneigenen, nicht aber die Nischen-Zellen gesunder Spender förderten das Gelingen der Transplantation. Ein molekulargenetischer Vergleich gesunder und patienteneigener Nischen-Zellen zeigte zahlreiche Unterschiede auf: Die Zellen der Patienten bilden mehr und andere Faktoren, die das Einnisten der transplantierten MDS-Blutstammzellen fördern. Dysplastische MDS-Zellen aus dem Knochenmark einer transplantierten Maus. © dkfz.de
Wie kommt es zu diesem Unterschied? Wird er möglicherweise sogar von den erkrankten Blutstammzellen selbst hervorgerufen? Die Forscher hielten beide Zelltypen gemeinsam in einer Kulturschale und entdeckten dabei: Die kranken MDS-Blutstammzellen können die Nischen-Zellen gesunder Spender umprogrammieren: Diese bilden dann vermehrt Wachstumsfaktoren, die wiederum das Überleben von MDS-Stammzellen fördern. „MDS-Blutstammzellen und ihre Nische beeinflussen sich also offenbar gegenseitig, was die Störung der Blutbildung weiter verstärkt. Wir haben inzwischen sogar erste Hinweise darauf, dass die Proteinfaktoren der umprogrammierten Nischen-Zellen insbesondere die erkrankten MDS-Stammzellen fördern, nicht aber gesunde Blutstammzellen. Das werden wir jetzt näher untersuchen“, so Dr. Hind Medyouf, die Erstautorin der Arbeit. Kranke MDS-Blutstammzellen und Nischen-Zellen bilden also eine funktionelle Einheit, die wie in einem Teufelskreis die Krankheit immer weiter vorantreibt.
Das Verständnis dieser Zusammenhänge eröffnet den Forschern die Möglichkeit, die Wachstumsfaktoren, die von den umprogrammierten Nischen-Zellen im Übermaß produziert werden, mit Medikamenten oder Antikörpern zu blockieren. So wollen sie den Teufelskreis durchbrechen und das Fortschreiten der MDS bis hin zur Leukämie frühzeitig unterbinden. Originalpublikation: Myelodysplastic cells in patients re-program mesenchymal stromal cells to establish a transplantable stem cell-niche disease unit. Hind Medyouf et al.; Cell Stem Cell, doi: 10.1016/j.stem.2014.02.014; 2014