Calciferole sollen zur Prophylaxe maligner Erkrankungen, Gefäßleiden oder Depressionen beitragen, heißt es immer wieder in der Laienpresse. Jetzt entmystifizieren Forscher vermeintliche Wundermittel. Haben Hersteller Resultate so mancher Studie geschönt?
Ein Vitamin-D-Mangel, der sich klinisch als Rachitis oder Osteomalazie manifestiert, tritt in Deutschland nur noch selten auf. Nichtsdestotrotz brachten epidemiologische Studien Calciferole mit etlichen Erkrankungen in Verbindung – vom Stoffwechsel bis hin zur Neoplasie.
Jetzt haben Mediziner um Philippe Autier vom International Prevention Research Institute in Lyon mögliche Zusammenhänge untersucht. Die aktuelle Metaanalyse schloss 300 Studien mit ein. In ihrer Veröffentlichung räumen die Autoren mit etlichen Fehlvorstellungen auf. Sie fanden keinen Hinweis, dass Patienten durch Vitamin-D-Supplementation vor Gefäßerkrankungen, Krebs oder Diabetes geschützt werden. Autier kritisiert, dass Interventionsstudien fehlten. Der Forscher vermutet, oftmals würden Ross und Reiter verwechselt. Möglicherweise gingen niedrige Vitaminspiegel auf eine bestehende Krankheit zurück – der Umkehrschluss träfe aber nicht zu.
Mit seiner aktuellen Metaanalyse bestätigt Autier ältere epidemiologische Veröffentlichungen. Jakob Linseisen, München, kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass Vitamin-D-Supplementationen etwa bei Brustkrebs keinen protektiven Effekt haben. Von Calciferolen profitieren lediglich Menschen jenseits des 65. Lebensjahrs. Bei ihnen verringert eine Supplementation tatsächlich verschiedene Krankheitsrisiken – speziell Knochenbrüche und Stürze und damit auch die Mortalität. Linseisen formulierte auf dieser Basis eine Empfehlung für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Doch warum galt Vitamin D über Jahrzehnte hinweg als Wundermittel? Die Frage ist komplexer als landläufig vermutet. Immerhin kannten Menschen der Kriegsgeneration, auch Ärzte und Apotheker, noch zahlreiche Kinder mit Rachitis. Darüber hinaus lassen sich Daten aus molekularbiologischen Experimenten, Tierversuchen oder epidemiologischen Studien nicht einfach in praxistaugliche Empfehlungen transformieren. Autier vermutet in seiner Veröffentlichung, dass findige Werbestrategen am Werke waren.