Mit Drogen assoziiert man jugendliche Kiffer oder heroinkonsumierende Junkies – so die Klischees. Erstmalig ist es einer Droge gelungen, aus der Schmuddelecke in die Arbeits- und Studentenwelt zu gelangen: Crystal Meth. Aktuelle Studienergebnisse zeichnen ein erschreckendes Bild.
Crystal hat noch viele weitere, umgangssprachliche Namen: Meth, Chalk, Bambinos, Dixies, Diamonds, Mao, Mollies, Jugs, Tina, Ups oder Crank. Je mehr Namen eine Droge in der Szene hat, desto skeptischer sollte man sein. Wenn „Ups“ zu vielen aufsehenerregenden Todesfällen geführt hat, benennen die Dealer die Substanz einfach um. Die Droge erinnert in reiner Form an Eiskristalle oder Glassplitter. Deshalb die Namen „Ice“ bzw. „Quarz“ und „Glass“. Der Name „Ice“ hat dabei eine Doppeldeutigkeit: Zum einen aufgrund des Aussehens und zum anderen aufgrund der Tatsache, dass in der Anflutungsphase nach dem Inhalieren den Körper ein starkes Kältegefühl durchzieht.
Crystal-User nehmen bei der ersten "Line" rund 100 mg der Substanz nasal auf, Abhängige bis zu 1,5 g. Laut Bundeskriminalamt wurden 2012 insgesamt 2.556 Menschen erstmals wegen der Droge bei den Behörden auffällig, das waren 51 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Sicherheitsbehörden warnen vor der Ausbreitung der Droge, die häufig in Tschechien hergestellt wird und deshalb bislang vor allem in Sachsen und Bayern ein großes Problem ist. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), will entschlossen gegen die Modedroge Crystal Meth vorgehen. „Die Gefahren von Crystal dürfen nicht verharmlost werden“. Methamphetamin wurde 1919 in Japan hergestellt. In den 1930er Jahren ersetzte Amphetamin Kokain als Aufputschmittel. Traurige Berühmtheit erlangte das methamphetaminhaltige Pervitin® im 2. Weltkrieg als Wachhalte- und Aufputschmittel für Piloten. 1941 wurde die Substanz als Betäubungsmittel eingestuft. Seit den 1990er Jahren ist Meth auch in den USA ein großes medizinisches und soziologisches Problem. In einigen Landstrichen werden 70 Prozent der Straftaten im Crystal-Rausch verübt. Methamphetamin gehört zwar zur Gruppe der Amphetamine, ist aber viel neurotoxischer als das übliche D-Amphetamin. Kleinste Molekülveränderungen können das pharmakokinetische und pharmakodynamische Verhalten einer Substanz komplett verändern. Der Austausch einer kleinen Molekülgruppe macht aus Testosteron Progesteron. Heroinkonsumenten bleiben oft sozial integriert, während Crystal Meth nach kürzester Zeit den User radikal verändert. Die Hirnzellen "lechzen" nach der Droge, das Craving wird unerträglich und der ganze Tagesablauf dreht sich nur noch um die Beschaffung und den Konsum der Droge.
Meth wird aus Glaspfeifen geraucht, kann geschluckt, geschnupft oder gespritzt werden. Geschnupft tritt die Wirkung nach ca. 10-20 Minuten, geschluckt nach 30-45 Minuten, geraucht nach einigen Sekunden ein. Die Wirkungsdauer beträgt dosisabhängig 6 bis 70 (!) Stunden. Bei der Aufnahme durch Inhalation werden die Kristalle auf Aluminiumfolie oder in einer Glaspfeife erhitzt und die dabei frei werdenden Dämpfe eingeatmet. Erfolgt die Aufnahme der Droge durch Schnupfen, werden die Kristalle zu feinem Pulver zerkleinert. Häufig werden diesem Pulver noch feine Glassplitter zugesetzt, die Schnittwunden in der Nasenschleimhaut verursachen. Dadurch wird die Substanz schneller resorbiert. Folgende Wirkungen werden immer wieder festgestellt:
Amphetamine sind starke Psychostimulantien. Die Auswirkungen auf das Verhaltensmuster des Konsumenten sind denen von Kokain sehr ähnlich. Wenn ein weiterer Konsum keine Wirkung mehr zeigt, schlägt die Stimmung des Konsumenten um, man spricht nun von „tweaking“. Dabei kommt es zu extrem negativen Wahrnehmungen, paranoiden Vorstellungen und ähnlichen Phänomenen.
Die Einnahme von Crystal Meth setzt im Körper zwei Botenstoffe frei: Noradrenalin und Dopamin. Beim Konsumenten schnellt die Herzfrequenz hoch, der Blutdruck steigt und die Pupillen werden weit. Kein Hunger, kein Durst, kein Schlafbedürfnis – der Körper ist auf Hochleistung und Angriff oder Flucht eingestellt. Dadurch wird der Konsument wach und aggressiv. Wer flieht, muss Leistungsreserven freisetzen, kann nicht Essen und entwickelt Aggressivität. Im dopaminergen System setzt Methamphetamin Dopamin aus seinen Speichern frei. Wird es freigesetzt, empfindet man ein "Gefühl der Zufriedenheit". Auch eine Manie mit Zwangshandlungen kann die Folge eines Dopaminüberschusses sein. Außerdem wirkt Crystal Meth extrem neurotoxisch, d. h. es zerstört Nervenzellen ohne dass sie sich regenerieren können. Der Konsument verliert seine Merkfähigkeit, er verblödet.
Bilder stark abgemagerter Menschen prägen die Antidrogen-Kampagnen in den USA. Im Tierexperiment an Fruchtfliegen haben K. R. Walters und Kollegen untersucht, wie der Energiestoffwechsel auf Methamphetamin reagiert. Nach der Gabe von Crystal Meth verbrauchten die hyperaktiven Fruchtfliegen mehr Energie als sie zu sich nahmen und verhungerten. Die Fliegen nahmen bis zu 80 Prozent weniger Nahrung auf, ihre motorische Aktivität nahm aber um das 2-fache zu. Die Fliegen schwirrten hektisch hin und her und verweigerten die Nahrungsaufnahme. Die körpereigenen Energiedepots der Fliegen wurden innerhalb von 48 Stunden nach dem Konsum kontinuierlich entleert. Die durch Methamphetamin verursachte negative Energiebilanz wird bei den Fruchtfliegen nicht durch einen beschleunigten Stoffwechsel verursacht, sondern ist vor allem Folge eines Verhaltens, dass der Anorexie bei Menschen ähnelt, so die Autoren. Humane Meth-User ähneln auch Anorektikern. Ein weiterer Grund für den drastischen Gewichtsverlust sind die Verunreinigungen der Droge. Häufig ist Schwefelsäure enthalten, die beim Rauchen die Zähne innerhalb kürzester Zeit komplett zerstört. Dies schreckt die Konsumenten nicht ab.
Priv.-Doz. Dr. med. Ingo Schäfer und sein Team vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg haben im Auftrag der Bundesregierung eine Studien über Methamphetamin durchgeführt und diese im März 2014 veröffentlich. Die Befragung von 400 Drogenkonsumenten ergab, dass Meth-User überwiegend in der Nähe zur tschechischen Grenze leben, wo die Droge billig produziert wird: in Nordbayern, Sachsen, Thüringen, zum Teil auch in Sachsen-Anhalt. Innerhalb der Gruppe der Methamphetamin-Konsumenten gab ein Drittel an, im letzten Monat nahezu täglich (an 20 bis 31 Tagen) konsumiert zu haben. In der Gruppe der Amphetamin-Konsumenten wurde dies deutlich seltener berichtet. Für die Amphetamin-Konsumenten war hingegen ein ein- bis fünfmaliger Konsum im letzten Monat charakteristisch. Die Studie belegt, dass Crystal zunehmend als Leistungssteigerung im Berufsleben angewendet wird, besonders in Berufen, wo körperliche Leistung benötigt wird. Die Angaben der Befragten belegen den Wunsch nach Wachheit und Leistungsfähigkeit:
„Im Rahmen der Befragungen konnte gezeigt werden, dass insbesondere in Bezug auf Methamphetamin (ca. 50 Prozent), aber auch in Bezug auf Amphetamin (ca. 20 Prozent) berufliche Konsumgründe eine erhebliche Rolle spielen könnten“, so ein Ergebnis der Studie. Besonders Berufe aus der Gastronomie oder solche, die mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden sind, sind auffällig häufig vertreten. Aber auch die, die durch Fristen bedingte lange Arbeitszeiten haben, Schichtarbeit oder monotone Arbeitsabläufen durchführen müssen. Unter den Usern waren aber auch Handwerker, Floristen, Angehörige medizinischer Berufe und Studenten.
Hilfeangebote für Meth-Konsumenten sind rar, die Gruppe hat kaum eine Lobby. Dr. Peter Jeschke, Halle (Saale) hat eine anonyme Crystal-Sprechstunde etabliert, die von einer überwiegend jungen Zielgruppe mit Illegalem Drogenkonsum tatsächlich angenommen wird. Mitarbeiter sind insbesondere junge Menschen, die als geschulte Gesprächspartner akzeptiert werden: Studenten der Medizin und Sozialarbeit, die unter Experten-Anleitung arbeiten „Konsumenten konfrontieren mit sehr spezifischen Problemlagen das gesamte psychosoziale Hilfesystem, das mit seinen bisherigen Routinen nicht angemessen auf diesen neuen Bedarf reagieren kann“, so Jeschke auf dem Forum Sucht in Kassel im März 2014. Unter Crystal-Konsumenten lassen sich sehr unterschiedliche Konsumentengruppen differenzieren. Es existiert auch eine große Gruppe, die lange Zeit sozial unauffällig bleibt, sich mit dem Konsum jedoch einem hohen Risiko von Schäden an ihrer physischen und psychischen Gesundheit. aussetzt. Diese gilt es rechtzeitig zu erreichen, zu Änderungen zu motivieren und ggf. zu behandeln. Kristallines N-Methylamphetamin ist eine der gefährlichsten Drogen, auch weil sie so leicht herzustellen ist. Fünf Tonnen, schätzt die EU-Drogenbeobachtungsstelle, drückt Tschechien jährlich in den Markt. Erkältungs- oder Allergiemedikamente mit Ephedrin, die Kochanleitung aus dem Internet und legale Chemikalien, mehr braucht man nicht um Drogenchefkoch einer Giftküche zu werden. Meth ist kein lokales Problem mehr, die Droge hat nahezu Gesamtdeutschland erreicht. --- Wunschthema Dieses Thema erreichte bei einem Leservoting die meisten Stimmen und wurde nun in den DocCheck News veröffentlicht. Haben auch Sie ein Thema, dass Ihnen unter den Nägeln brennt? Dann schicken Sie Ihren Themenvorschlag an: feedback_news@doccheck.com. Die Redaktion prüft alle Vorschläge, ausgewiesene Vorschläge werden zur Abstimmung an alle Leser weitergegeben. Das Thema mit den meisten Stimmen wird von unseren Medizinjournalisten für Sie recherchiert und anschließend in den DocCheck News veröffentlicht.