Die Therapien vieler Erkrankungen basieren auf einer Theorie, beispielsweise bei der COPD. Dumm nur, wenn die Theorie falsch ist. Wissenschaftler haben eine seit Jahrzehnten gefestigte Hypothese über Makrophagen aufheben können und ermöglichen dadurch erstmals passende Therapien.
Seit langem herrscht in der Immunologie die Meinung vor, dass es zwei Arten von Makrophagen gibt: pro-inflammatorische M1- und anti-inflammatorische M2-Makophagen. Makrophagen spielen als Teil des angeborenen Immunsystems eine wichtige Rolle bei vielen Krankheiten und kommen in großer Zahl in allen Geweben vor. Aufgrund dieser These wurden beispielsweise COPD-Patienten behandelt. Man postulierte, dass die Makrophagen für den pro-inflammatorischen Zustand verantwortlich seien und versuchte, die Reaktion mit anti-entzündlichen Medikamenten zu unterdrücken. Der gewünschte Erfolg blieb aus. Die Forscher und Mediziner konnten sich das nicht erklären.
Doch Wissenschaftler um Prof. Joachim L. Schultze vom Life & Medical Sciences (LIMES) Institut der Universität Bonn haben nun herausgefunden und nachgewiesen, dass die Anfangshypothese falsch ist, nämlich das Dogma, dass es nur zwei Typen von Makrophagen gibt. In einem umfassenden Experiment zeigte die Arbeitsgruppe, dass Makrophagen auf unterschiedliche Stimuli auch mit unterschiedlichen Programmen reagieren. Prof. Schultze erklärt: „Makrophagen funktionieren wahrscheinlich wie ein Kleincomputer. Sie bekommen ein Eingangssignal, also z.B. eine Mischung von Signalmolekülen, und berechnen daraus ein spezifisches Effektorprogramm, damit die Situation in dem Gewebe optimal gelöst werden kann.“ Diese Hypothese ziehen die Wissenschaftler aus den genomweiten Analysen, die sie gemacht haben. Mit 30 unterschiedlichen Stimuli haben sie Makrophagen behandelt und anhand der Genexpression gemessen, welches Programm in den Makrophagen abläuft. Die Messungen wurden dann unvoreingenommen analysiert. „Die Daten haben gesprochen. Es sind nicht zwei Arten von Makrophagen, es sind ganz viele verschiedene“, erläutert Prof. Schultze. „Das ist auch nicht verwunderlich, denn Makrophagen kommen in allen Geweben vor und müssen sich schnell und spezifisch auf verschiedenste Bakterien, Viren und Entzündungsreaktionen einstellen können.“ Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Immunity veröffentlicht worden.
Die Erkenntnisse aus Bonn verkomplizieren natürlich alles, was bisher als selbstverständlich und sicher galt. Manche Kollegen seufzen daher schwer über diesen plötzlichen Komplexitätszuwachs. Die meisten jedoch sind erleichtert, dass das Dogma nun widerlegt ist, wie Prof. Schultze berichtet. Denn schon seit Jahren gab es Forschungsergebnisse, die sich mit der bisherigen Theorie nicht erklären ließen. Außerdem ist nun der Weg frei, für neue Ansätze in Diagnostik und Therapie verschiedenster Erkrankungen, bei denen Makrophagen beteiligt sind.
Die Bonner Wissenschaftler wollen sich nun intensiv mit der COPD beschäftigen. In ihren Analysen konnten sie zeigen, dass Makrophagen bei COPD-Patienten ein völlig eigenes Muster aufweisen. Die „klassischen“ Marker spielen bei dieser entzündlichen Reaktion keine Rolle. Damit wird auch verständlich, warum die bisherigen therapeutischen Ansätze unwirksam waren: die Medikamente haben auf die bei der COPD aktiven Makrophagen keine Wirkung. Aus den Transkriptomanalysen der Makrophagen in verschiedenen Geweben können die Wissenschaftler nun herauslesen, welche Wirkmechanismen zu welcher Makrophagen-Charakteristik gehören. Diese können dann therapeutisch angegangen werden. Dafür sind mitunter nicht einmal neue Medikamente notwendig – die vorhandenen müssen nur bei den richtigen Erkrankungen eingesetzt werden. Eine Entzündung in der Leber kann also eine ganz andere Therapie benötigen, als eine Entzündung in der Lunge oder im Gehirn.
Doch nicht nur das. „Jede Krankheit hat zu jedem Zeitpunkt ein eigenes Profil“, erläutert Prof. Schultze. Kann bei einer chronischen Erkrankung die ursprüngliche Noxe durch das Immunsystem nicht behoben werden, so setzt mitunter eine Reaktion ein, die das Krankheitsgeschehen für den Körper aushaltbar macht. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Gewebe fibrotisch wird. Zuerst versuchen u.a. Makrophagen, den inflammatorischen Herd stillzulegen. Gelingt das nicht, können Makrophagen aber auch ein anderes Programm fahren und Fibroblasten stimulieren, welche die Umwandlung in inaktives Bindegewebe bewirken.
Die Bonner Arbeitsgruppe kann sich vor Kooperationsanfragen kaum noch retten. Pharmafirmen möchten die im humanen System gewonnenen Daten verwenden, um für ihre Entwicklungen Nutzen zu ziehen und Forscher aus den verschiedensten Gebieten bitten darum, bei der Auswertung der eigenen Daten zu helfen. Prof. Schultze und sein Team aus experimentell arbeitenden Forschern und Bioinformatikern möchte sich nun auf drei Themenbereich konzentrieren. Zum einen ist das, wie bereits erwähnt, die COPD. Zum anderen ist das die Arteriosklerose, die in Zusammenarbeit mit Prof. Latz untersucht wird. Auch bei der Arteriosklerose gibt es Hinweise, dass die typischen anti-inflammatorischen Medikamente nicht im gewünschten Umfang wirksam sind. Die Wissenschaftler haben in einer Zusammenarbeit bereits herausgefunden, dass es einen zentralen Schalter gibt, der für die Umprogrammierung der Makrophagen von einer sinnvollen Tätigkeit als Säuberungszellen in den Gefäßen in eine entzündungsfördernde Tätigkeit verantwortlich ist. Dieser Schalter ist das Protein ATF3. HDL bewirkt durch das Anschalten von ATF3, dass sich Makrophagen wieder auf ihre ursprüngliche Funktion zurück besinnen und die Entzündung zum Stillstand kommt. Weitere Untersuchungen sollen zeigen, ob auch andere Moleküle und Wirkstoffe dazu in der Lage sind. Der dritte Themenkomplex sind Makrophagen im Zusammenhang mit Tumorgeschehen. Auch hier führte die bestehende Lehrmeinung bisher dazu, dass die eigentlich wirkenden Mechanismen übersehen wurden. In einem europäischen Kooperationsnetzwerk sollen hier neue Erkenntnisse gewonnen werden. „Es ist gut, dass das Dogma jetzt gefallen ist. Es hat uns im freien Denken und Forschen behindert. Nun können wir vollkommen unvoreingenommen auf die Daten blicken und uns daran orientieren“, freut sich Prof. Schultze.