Mediziner bringen sich laut einer älteren Analyse des Gießener Psychiaters Professor Christian Reimer bis zu 3-mal häufiger um als Nicht-Mediziner. Eine neue Studie ging nun der Frage nach, welche Merkmale Ärzte aufweisen, die sich umbringen und welche Methoden sie wählen.
Anhand des „US-Nationalen Registers über gewaltsame Tode“ (National Violent Death Reporting System, NVDRS) analysierten die Autoren um die Familienmedizinerin Katherine J. Gold der Universität Michigan, USA, die Daten von 31.636 Suizid-Opfern. 203 dieser Opfer (0,64%) waren Ärzte. Aus den Auswertungen ausgeschlossen waren Medizinstudenten. Gold et al. stellten fest, dass die suizidierten Ärzte etwa genauso häufig an psychischen Störungen und Depressionen litten wie die Opfer anderer Berufe: 46% der Ärzte und 41% der Menschen anderer Berufe wiesen eine psychische Erkrankung auf. Zum Zeitpunkt des Suizids waren 42% der Ärzte und 39% der Nicht-Ärzte in einer depressiven Stimmung. Bei den verstorbenen Ärzten waren Antidepressiva nicht häufiger nachweisbar als bei den verstorbenen Menschen anderer Berufe. Deutlich häufiger als bei den Nicht-Ärzten konnten bei den Ärzten jedoch Antipsychotika, Benzodiazepine oder Barbiturate nachgewiesen werden (OR: 28,7 bzw. 21,0 bzw. 39,5; p jeweils < 0,0005). Christian Reimer und Kollegen kamen zu dem Ergebnis, dass 23–31% der jungen Assistenzärzte Depressionen aufweisen, aber nur etwa 15% der gleichaltrigen Allgemeinbevölkerung, was einen signifikanten Unterschied darstellt.
In der Studie von Gold et al. wiesen Ärzte signifikant seltener eine Alkohol- oder andere Substanzabhängigkeit auf als Nicht-Ärzte: 14% der Ärzte und 23% der Nicht-Ärzte waren substanzabhängig (p = 0,004). 66% aller Todesopfer litten zumindest entweder an einer psychischen Störung, an einer Alkohol- oder anderen Substanzabhängigkeit oder an einer depressiven Verstimmung. 31% der Suizid-Opfer litten an mindestens zwei dieser Störungen und 6% an allen drei Störungen. Hier gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen Ärzten und Nicht-Ärzten.
Sowohl die Ärzte als auch die Nicht-Ärzte brachten sich am häufigsten durch den Gebrauch einer Schusswaffe um (48% bzw. 54%). Hier wird vielleicht besonders deutlich, dass es sich um eine US-amerikanische Studie handelt. Am zweithäufigsten starben die Ärzte infolge einer Vergiftung: 23,5% der Ärzte waren betroffen. Hier vermuten Katherine Gold und ihre Kollegen, dass sich die Ärzte ihr Wissen um die Wirkungen und Dosierungen der verschiedenen Medikamente und Giftstoffe zunutze machen. Außerdem haben die Ärzte einen leichten Zugang zu Medikamenten. Im Gegensatz hierzu starben „nur“ 18% der Nicht-Ärzte infolge einer Vergiftung. Jeweils etwa 14% der Ärzte starben an einem Aufpralltrauma bzw. infolge einer Asphyxie durch Erhängung. Bei den Nicht-Ärzten stand der Tod durch Asphyxie an zweithäufigster Stelle (22%), gefolgt von Vergiftung (18%) und Aufpralltrauma (6%). Waren die Verstorbenen älter oder verheiratet, so waren sie mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit Ärzte (Odds Ratio [OR] = 1,04 bzw. 1,7). Besonders stark wies das Merkmal „Probleme im Beruf“ darauf hin, dass der Verstorbene ein Arzt war (OR: 3,12, Konfidenzintervall [CI]: 2,10–4,63, p < 0,005). Das Merkmal „Krise in den letzten zwei Wochen“ wies hingegen eher darauf hin, dass der Verstorbene kein Arzt war (OR 0,61, p = 0,014).
Die Studien von Katherine Gold und Christian Reimers weisen darauf hin, dass besonders die berufsbedingten Probleme zu einem erhöhten Selbstmordrisiko führen. Gold et al. erklären, dass die Identität und das Selbstwertgefühl der Ärzte eng mit dem Beruf zusammenhängen. Unzufriedenheit im Beruf könne daher eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Suizidalität spielen. Warum in der Studie von Gold et al. das Verheiratetsein für Ärzte typisch war und warum sich die Ärzte „dennoch“ suizidiert haben, bleibt fraglich. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Ehe eigentlich als protektiver Faktor gilt. Doch man müsse differenzieren, denn die Datenlage sei komplex: Einige Studien zeigten, dass die Ehe ein protektiver Faktor für Männer, aber nicht für Frauen sei. Außerdem gebe es Daten, die darauf hinweisen, dass ein hohes Einkommen, ein hoher Bildungsstand sowie der Familienstand „verheiratet“ mit einer erhöhten Suizidalität zusammenhängen. Die Scheidungsraten seien bei Ärzten besonders gering. Die Autoren weisen darauf hin, dass gezielte Hilfs- und Präventionsprogramme für Ärzte eingerichtet werden müssten, um die Situation zu verbessern.