Jährlich befördern die Fluggesellschaften weltweit knapp 2 Milliarden Passagiere. Diese werden immer älter und damit auch multimorbider. Statistisch gesehen kommt es bei einem von 5.000 Passagieren zu einem medizinischen Zwischenfall.
Eine Flugzeugkabine ist nicht einfach nur ein fliegender Transportbehälter in dem bequem gereist wird und Speisen und Getränke serviert werden. In 10.000 Metern Höhe wirken geänderte Verhältnisse auf den Körper ein. Der Sauerstoffpartialdruck sinkt um etwa 25 Prozent und die Sauerstoffsättigung auf 90 Prozent. Der geringe Umgebungsdruck bewirkt eine Volumenzunahme eingeschlossener Luft in Körperhöhlen wie Mittelohr, Nasennebenhöhlen, im Darm und im Thorax. Außerdem belasten die geringe Luftfeuchtigkeit von nur 15 Prozent und die beengten Sitzverhältnisse den Organismus.
Besonders Patienten mit koronaren Erkrankungen leiden unter den Flugbedingungen. Die Koronarreserve kann sich bei Herzinsuffizienz bis in den kritischen Bereich vermindern. Bei Hypoxie steigt der Druck in der Lungenstrombahn. Ein gesunder Fluggast hat damit keine Probleme, wohl aber ein Patient mit pulmonaler Hypertonie oder Herzinsuffizienz. Die Sauerstoffsättigung sollte mindestens 85 Prozent, der pO2 70 mmHg, die Ventilationskapazität 3 l und die FEV1 mindestens 70 Prozent betragen, damit ein Patient zum Fluggast werden darf. Werden die Grenzwerte unterschritten, muss während des Fluges Sauerstoff verabreicht werden. Der Gesetzgeber verbietet die Verwendung von patienteneigenen Geräten in Luftfahrzeugen bei Flügen nach Kanada, Mexiko und den USA. Die Lufthansa beispielsweise stellt für alle anderen Reiseziele Flaschen zur Verfügung, die bis zu 150 Minuten 4 Liter Sauerstoff abgeben. Einige Gesellschaften stellen Sauerstoffflaschen oder Konzentratoren zur Verfügung. Dies sollte rechtzeitig vorher abgeklärt werden. Die Air Emergency Task Force der American Medical Association hat Richtlinien zur Flugtauglichkeit herausgegeben. Dabei wurde empfohlen, dass alle Patienten mit Emphysem, pulmonaler Fibrose oder Mukoviszidose nur mit zusätzlichem Sauerstoff fliegen. Keine Flugreisetauglichkeit besteht außerdem, wenn während des Fluges eine Sauerstoffgabe von mehr als 4 l/min notwendig ist, ein Pneumothorax innerhalb der letzten 6 Wochen oder ein akuter Asthmaanfall vor weniger als 48 Stunden aufgetreten ist. Bei einer Herzinsuffizenz der Stärke I nach NYHA besteht keine Einschränkung der Flugreisetauglichkeit. NYHA III ist bedingt reisetauglich und sollte Sauerstoff erhalten und NYHA IV sollte nur ausnahmsweise und mit Arzt- und Sauerstoffbegleitung in den Flieger steigen. Bei der dekompensierten Form verbietet sich ein Flug gänzlich.
Zirkuläre Gipsverbände dürfen wegen der verstärkten Ödemneigung in folge der Enge nicht angewendet werden. Gipsschienen oder gespaltene Gipse sind hingegen kein Problem. Außerdem ist nach traumatologischen oder orthopädischen Eingriffen zu berücksichtigen, dass eventuelle Turbulenzen zu starken Belastungen führen können. Da eingeschlossene Luft sich besonders beim Steigflug extrem ausdehnt, muss nach einem operativen Eingriff im Augen- und HNO-Bereich der Flieger vorerst gemieden werden. Nach einer Kataraktoperation ist der Patient beispielsweise einen Monat nicht flugtauglich.
Wenn Diabetiker während des Fluges auf ihr Insulin in Spritze oder Pen angewiesen sind, sollten sie alle Medikamente in der Originalverpackung inklusive Beipackzettel mitnehmen. Damit der reisende Diabetiker keine Schwierigkeiten bekommt, sollte er sich von seinem Arzt ein Attest (deutsch/englisch) ausstellen lassen, auf dem seine Medikation ersichtlich ist. Erwähnt werden sollte beispielsweise, dass er Insulin-pflichtiger Diabetiker ist, der Spritzenmaterial und weiteres Zubehör im Reisegepäck mit sich führen muss. Die üblichen Diabetikerausweise helfen leider nur bedingt. Sie geben zwar alle Anweisungen für den Notfall, aber nirgends wird dem Diabetiker bestätigt, dass er bei Insulintherapie Spritzen/Pens, Insulin und Messgerät ständig greifbar im Handgepäck mit sich führen muss. Lanzetten für die Blutentnahme dürfen nur gemeinsam mit dem Blutzuckermessgerät an Bord gebracht werden und müssen mit einer Schutzkappe versehen und deutlich als medizinisches Produkt gekennzeichnet sein. Bei Flügen in Richtung Osten verkürzt sich der Reisetag. Dies reduziert die Dosis des Depot-Insulins entsprechend den fehlenden Stunden. Geht die Reise Richtung Westen, verlängert sich der Tag. Kleine Dosen rasch wirkendes Insulin müssen nach vorheriger Blutzuckermessung bei Bedarf vor den Mahlzeiten an Bord zusätzlich verabreicht werden.
Ein Flüssigkeitsverlust während des Fluges kann Venenerkrankungen begünstigen. Die früher oft propagierte Gabe von thrombozytenaggregationshemmenden Medikamenten wie Acetylsalicylsäure ist out. Das liegt unter anderem daran, dass ASS primär im arteriellen Bereich wirkt und nicht im venösen. „Apotheker raten von prophylaktischer ASS-Einnahme ab“, so das klare Statement einer Pressemitteilung der Apothekerkammer Niedersachsen. Ob pflanzliche Venenmittel mit Rosskastanie und anderen Extrakten eine schützende Wirkung haben, ist bisher nicht bewiesen. Bei Hochrisikopatienten senken gut sitzende Kompressionsstrümpfe das Thromboserisiko um fast das Zwanzigfache. Die Weltgesundheitsorganisation führt gegenwärtig das Projekt WRIGHT (World Health Organization’s Research into Global Hazards of Travel) durch, das die Prophylaxemaßnahmen thromboembolischer Ereignisse untersucht. Die Daten des Lufthansaregisters (2000 bis 2011) zeigen, dass von den über 20 000 medizinischen Zwischenfällen an Bord in etwa 1 Prozent der Fälle die Verdachtsdiagnose einer Thrombose gestellt wurde.
Tipps für Ihre Patienten: Maßnahmen zum Vorbeugen von Venenthrombosen
Die IATA (International Air Transport Association) hat Empfehlungen zur Beurteilung der Flugreisetauglichkeit formuliert, die von den meisten Fluggesellschaften anerkannt bzw. in angepasster Form gehandhabt werden.
Grundsätzlich gilt an Bord das Haftungsrecht des Landes, in dem das Flugzeug registriert ist. Manche Fluggesellschaften beziehen Hilfeleistende an Bord generell als Mitversicherte in ihre Haftpflichtpolice ein. In Notfallsituationen kann auf Langstreckenflügen bei Lufthansa, Condor u.a. auch eine Beratung durch einen qualifizierten Arzt am Boden über Satellitentelefon erfolgen. An Bord kann sich ein Arzt das Doctor´s Kit aushändigen lassen. Es ist in die Module „Diagnostik“, „Infusion“, „Blasenkatheter“, „Absaugung“, „Intubation“ und „Beatmung“ unterteilt. Tritt ein Notfall direkt nach dem Start der Maschine ein, ist eine sofortige Landung kaum möglich. Es müssen, je nach Flugzeugtyp, bis zu 100 Tonnen Treibstoff abgelassen werden. Dies ist zeit- und kostenintensiv. Eine außerplanmäßige Landung kann bis zu 200.000 € kosten. Deshalb ist der Medizinische Dienst der jeweiligen Fluggesellschaft daran interessiert, solche Situationen bereits im Vorfeld zu vermeiden. Nach § 12 des Luftsicherheitsgesetzes hat der Kapitän polizeiliches Durchgriffsrecht. Bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten entscheidet der Flugkapitän. Ärzte, die sich vor einem Flug als solche ausweisen, bekommen extra Bonusmeilen gutgeschrieben. Nach Lufthansa und Australian Airlines bietet neuerdings auch Turkish Airlines das kleine Extra. Das Programm „Arzt an Bord“ bietet Medizinern auch Seminare beim medizinischen Dienst der Lufthansa an.