Frauen überschwemmen die Medizin — und das wird richtig teuer werden. Denn sie wollen nicht nur flexible Arbeitszeiten und weniger Dienste, auch Kitaplätze stehen auf der Wunschliste. Krankenhäuser werden tief in die Tasche greifen müssen, um nicht bald ohne Personal dazustehen.
Im Bundesdurchschnitt sind nahezu 62 Prozent der Studienanfänger im Fach Medizin weiblich. Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff bezeichnet diesen Umstand als „Feminisierung der Medizin“ und prognostiziert, dass der Überschuss an Ärztinnen die ärztliche Versorgung im Gesundheitssektor und insbesondere die Arbeitsorganisation im Klinikbereich vor eine große organisatorische Herausforderung und kostenmäßige Probleme stellen wird.
Von Eiff ist Akademischer Direktor des Center for Health Care Management and Regulation an der HHL Leipzig Graduate School of Management sowie Leiter des Zentrums für Krankenhaus‐Management an der Universität Münster. Um seine These zu prüfen, hat der Medizinökonom in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Krankenhausmanagement (Universität Münster) und der studentischen Unternehmensberatung move e.V. die Geschäftserwartungen von Institutionen der Gesundheitswirtschaft in Form einer Umfrage erhoben. 46 Entscheidungsträger deutscher Krankenhäuser nahmen an der Befragung teil. Mehr als drei Viertel aller Teilnehmer gaben an, dass es für sie schwierig sei, Stellen im Bereich ärztliches Personal zu besetzen. Über 80 Prozent der befragten Häuser konzentrieren sich der Studie zufolge bei der Personalbeschaffung auf Deutschland, jedes fünfte Krankenhaus berücksichtigt hingegen auch andere Länder bei der Personalakquise. Ärzte werden sowohl im deutschsprachigen Ausland wie Österreich und der Schweiz als auch aus dem nicht deutschsprachigen Ausland wie Lettland, Rumänien, Tschechien, Litauen, Ägypten und Polen, rekrutiert.
Der Aussage „Die Feminisierung der Medizin wird die gesamtärztliche Versorgung im Gesundheitssektor und insbesondere die Arbeitsorganisation im Klinikbetreib vor große organisatorische Herausforderungen und kostenmäßige Probleme stellen“, stimmten mehr als 80 Prozent der Befragten zu. Wie diesen Herausforderungen zu begegnen ist, haben die Befragten auch beziffert. Es geht vor allem darum, familienfreundliche Arbeitsstrukturen zu schaffen, wenn Krankenhäuser einem durch Feminisierung entstehenden Personalmangel entgegenwirken wollen. Dazu gehören das Angebot von Kita‐Plätzen (für 78 Prozent der Befragten wichtig), geregelte Arbeitszeiten (74 Prozent) und die Begrenzung von Diensten (52 Prozent). Zusätzliches Personal bei reduzierten Arbeitszeiten (35 Prozent), Freizeitausgleich für Überstunden (24 Prozent) und geregelte Weiterbildung (20 Prozent) werden als weitere, aber weniger wichtige Charakteristika genannt. Besonders bemerkenswert: Eine höhere Bezahlung wurde nur von 6 Prozent der Entscheidungsträger in 46 deutschen Krankenhäusern als Merkmal einer familienfreundlichen Arbeitswelt gewertet.
Bei der Umsetzbarkeit familienfreundlicher Arbeitsstrukturen herrschte großer Optimismus. Sofern ausreichend Personal und Kitaplätze vorhanden seien, hielten 80 Prozent der Umfrageteilnehmer eine familienfreundliche Arbeitswelt in jedem medizinischen Fachbereich für umsetzbar. Lediglich 9 Prozent sahen diese Rahmenbedingungen im klinischen Alltag für fast nicht möglich an, 7 Prozent begrenzten ihre Zustimmung auf alle „nicht schneidenden Fächer“ und 4 Prozent beschränkten die Umsetzung familienfreundlicher Rahmenbedingungen auf die medizinische Forschung. Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, vakante Positionen im ärztlichen und pflegerischen Bereich zeitnah mit qualifiziertem Personal zu besetzen. Familienfreundlichkeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehören laut von Eiff bei den Medizinern zu den entscheidenden Kriterien bei der Auswahl eines potenziellen Arbeitgebers. Doch familienfreundliche Arbeitsplätze zu schaffen, kostet Geld. Flexible Arbeitszeitmodelle erfordern eine gute Arbeitszeitorganisation und mehr Personal. Auch die Einrichtung von Kinderbetreuungsplätzen ist kostenintensiv.
Dass die Feminisierung der Medizin ein kostspieliges Unterfangen wird, darüber sind sich mit 83 Prozent Ja-Stimmen fast alle Befragten einig. Nahezu derselbe Anteil der Entscheidungsträger in Krankenhäusern ist sich jedoch sicher, dass dieser Kostensteigerungen nicht zu Lasten der Patienten gehen werden. Wie der Mehraufwand finanziert werden könnte, lässt die Studie offen. Besonders bemerkenswert: Große Einigkeit (91 Prozent) herrschte bei den Befragten darüber, dass mehr Frauen in medizinischen Berufen die Versorgung der Patienten nicht verbessern werden. Wie hoch der Anteil der Männer unter den Befragten war, ist nicht bekannt.