Rettungskräfte werden im Einsatz immer häufiger Opfer von körperlicher oder verbaler Gewalt. Oft werden die Vorfälle nicht gemeldet. Eine aktuelle Studie liefert Zahlen: 13 Prozent der Befragten gaben an, im letzten Jahr mindestens ein Mal körperlich angegriffen worden zu sein.
Die ersten Ergebnisse der Studie „Gewalt gegen Einsatzkräfte“ liegen vor: 810 Personen haben sich im Mai und Juni 2017 an einer Umfrage beteiligt, die das Team des Lehrstuhls Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (RUB) unter Einsatzkräften der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen zu ihren Gewalterfahrungen im Einsatz durchgeführt hat. 13 Prozent der Befragten gaben an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal Opfer von körperlicher Gewalt im Einsatz geworden waren. Noch häufiger kommt es zu verbaler Gewalt. 60 Prozent der Befragten hatten entsprechende Erfahrungen gemacht.
„Es ist wichtig, zwischen verbaler und körperlicher Gewalt zu unterscheiden. Viele Studien tun das nicht, und dann werden Häufigkeiten genannt, die für die Bürger erschreckend sind“, betont der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Thomas Feltes, der für die Studie verantwortlich war. Die Studie soll in Zukunft helfen, die richtigen Maßnahmen zu treffen, um verschiedenen Formen von Gewalt im Rettungsdienst zu begegnen.
Am stärksten von Gewalt betroffen sind mit rund 85 Prozent die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rettungseinsatz. Die Mehrheit der Helfer gab an, dass die Übergriffe während der Diagnosestellung oder der Therapie erfolgten. „Es trifft die Einsatzkräfte auch persönlich, wenn sie in einem Notfall alles tun, um Kranken und Verletzten zu helfen und dabei dann Gewalt erleben“, sagt der Jurist Marvin Weigert, der die Studie durchgeführt hat. So gaben 39 Prozent derjenigen, die körperliche Gewalt erlebt hatten, an, dass sie körperliche Schäden davongetragen haben. Bei 21 Prozent waren es psychische Beeinträchtigungen.
Mehr als die Hälfte der Vorfälle ereigneten sich in den Abend- und Nachtstunden – ein Hinweis darauf, dass Alkohol und Drogen oft eine Rolle spielen. In 55 Prozent der Fälle körperlicher Gewalt berichteten die Befragten von erkannter Alkoholintoxikation. Die Autoren der Studie betonen, dass dies wahrscheinlich auf deutlich mehr Fälle zutrifft, aber nicht immer erkannt wird. So schätzen Autoren anderer Studien, dass bis zu 95 Prozent der Täter unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehen.
Gewaltsame Übergriffe finden der Studie zufolge besonders häufig in Großstädten mit über 500.000 Einwohnern statt. Die Täter sind in rund 90 Prozent der Fälle männlich und zwischen 20 und 39 Jahre alt. Gewalttätige Übergriffe sind selten vorhersehbar: 80 Prozent der körperlichen Übergriffe kamen ohne Vorwarnung und plötzlich. Feltes betont, dass die Einsatzkräfte daher noch stärker als bisher auf diese Situationen vorbereitet werden müssten. Zudem sollte die Einsatzleitstelle in die Lage versetzt werden, möglichst viele Informationen zu den Bedingungen des Einsatzes zusammenzustellen. „Auch eine intensive Kooperation mit der Polizei kann weiterhelfen“, so Feltes.
In 73 Prozent der Fälle ging die körperliche Gewalt von den Patienten selbst aus. „Auch hier müssen Fortbildungsmaßnahmen ansetzen, damit die Rettungskräfte die notwendigen Maßnahmen noch intensiver erklären und so Widerstände abbauen können“, sagt Feltes, der schon vor einigen Jahren eine vergleichbare Studie mit ähnlichen Ergebnissen geleitet hat. Dem entspricht auch, dass etwa 70 Prozent der Befragten sich mehr Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Deeskalationstraining und Selbstverteidigung wünschen. „Wenn die Politik diese Studie zum Anlass nimmt, geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, dann kann man dies nur begrüßen“, so Feltes. Zusätzlich solle aber auch sichergestellt werden, dass vor allem die Fälle von körperlicher Gewalt gemeldet und entsprechend ausgewertet werden. Der Studie zufolge wird nur etwa die Hälfte der Fälle körperlicher Gewalt der Einsatzleitstelle gemeldet oder im Einsatzbericht vermerkt – wohl auch, weil fast die Hälfte der Betroffenen angab, den genauen Meldeweg nicht zu kennen. „Die Analyse solcher Fälle ist aber wichtig, um zukünftige Übergriffe zu verhindern“, so der Wissenschaftler. Die komplette Auswertung der Studie wird im Januar 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Text basiert auf einer Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum.