Nun von Wissenschaftlern entwickelte molekulare optische Schalter können Nervenzellen gezielt beeinflussen. Dies eröffnet der Medizin auf vielen Gebieten neue Chancen – etwa in der Schmerztherapie oder auch bei bestimmten Sehstörungen.
Alle Sinneseindrücke beruhen auf der Kommunikation zwischen Nervenzellen. Bei der Signalübertragung von Zelle zu Zelle spielen in die Zellwand eingebaute Neurorezeptoren eine entscheidende Rolle. Diese zellulären Kommunikationsschnittstellen über Licht steuerbar zu machen und so künstlich zu beeinflussen, ist das Ziel von Dirk Trauner, Professor für Chemische Biologie und Genetik an der LMU. „Wir kombinieren dabei synthetische molekulare Schalter, die auf Licht reagieren, mit natürlichen Rezeptoren“, sagt Trauner. „Diese hybriden Fotorezeptoren machen dann die entsprechenden Nervenzellen für Licht ansprechbar – langfristig wollen wir so neue Behandlungsmöglichkeiten bei Fehlfunktionen des Nervensystems etablieren“. Gleich zwei neue Studien berichten nun über wichtige Fortschritte auf diesem Weg, und zwar bei Sehstörungen und beim Schmerzsinn.
Um Schmerzen zu unterdrücken, sind schon seit Jahrtausenden Opioide in Gebrauch. Auch körpereigene „Schmerzmittel“ wie Endorphine gehören zu dieser Substanzgruppe. Trauner und seinem Team ist es nun gelungen, die Schlüsselschalter der Schmerzwahrnehmung – die Opioidrezeptoren – durch Licht steuerbar zu machen, indem sie das synthetische Opioid Fentanyl chemisch modifizierten. Fentanyl wird von Medizinern als Narkose- oder als extrem starkes Schmerzmittel benutzt. Dockt das modifizierte Fentanyl an einen Opiodrezeptor an, kann diese ursprünglich blinde molekulare Maschine durch Lichtreize gezielt aktiviert oder deaktiviert werden, wie die Wissenschaftler im Journal Angewandte Chemie berichten.
Das Geheimnis aller optischen Schalter liegt in ihrer besonderen Struktur: Die synthetischen Schalter aus Trauners Labor enthalten eine charakteristische chemische Doppelbindung, an der sich das Molekül abhängig von der Wellenlänge des Lichts strecken oder abknicken kann. „Licht ist sehr genau kontrollierbar, sodass wir die Zellen ganz gezielt ansprechen können. Außerdem ist die Reaktion reversibel“, erläutert Trauner die Vorteile der Methode. „Dieser Erfolg ist besonders spannend, weil Opioidrezeptoren zur großen Familie der sogenannten G-Protein-gekoppelten Transmembranrezeptoren (GPCRs) gehören, die einen Großteil der pharmazeutischen Zielmoleküle ausmachen“, sagt Matthias Schönberger, der Erstautor der Studie. „Die Möglichkeit, einen Opioidrezeptor mit Licht zu steuern, wird nun neue Einblicke in diese ausgesprochen wichtige Rezeptorklasse liefern und stellt eine Chance für neuartige Schmerztherapien dar.“
Auch die Sehpigmente in den Zapfen und Stäbchen der Netzhaut gehören zu den GPCR und sind die einzigen Vertreter dieser Familie, die von Natur aus auf Licht reagieren. Sind die Fotorezeptoren im Auge defekt, kann der Lichtreiz nicht aufgenommen werden – die Folge sind Sehstörungen und bestimmte Formen erblicher Blindheit. Wissenschaftler der US-amerikanischen Universität Berkeley und Dirk Trauner konnten nun erstmals defekte Fotorezeptoren mithilfe eines synthetischen Schalters quasi kurzschließen und die – immer noch funktionsfähigen – Nervenzellen, die den Fotorezeptoren nachgeschaltet sind, direkt lichtsensitiv machen. „Wir konnten bereits vor einiger Zeit zeigen, dass das sogenannte AAQ-Molekül Nervenzellen lichtsensitiv macht, indem es Ionenkanäle in den Nervenzellen beeinflusst“, sagt Trauner. Ihm gelang es nun, eine verbesserte Variante des AAQ-Schalters herzustellen. Die Wissenschaftler in Berkeley konnten mit diesem DENAQ genannten Molekül im Mausmodell nachweisen, dass es eine blinde Retina tatsächlich wieder für Licht empfänglich machen kann, wie die Forscher im Journal Neuron berichten. „DENAQ ist klinisch wesentlich relevanter als AAQ, weil es spezifisch bestimmte Ionenkanäle beeinflusst, die bei der Weiterleitung von Lichtreizen im Auge eine wichtige Rolle spielen“, sagt Trauner. Zudem reagiert es anders als AAQ auf Wellenlängen des Lichts, die gewöhnlichem Tageslicht entsprechen. „Möglicherweise kann dieser Ansatz in der Zukunft helfen, bei bestimmten Formen der Blindheit das Augenlicht wieder herzustellen.“ „Grundsätzlich sind noch viele weitere Anwendungen für die Photopharmakologie denkbar“, sagt Trauner. „GPCRs etwa sind auch Ziele von Neurotransmittern, die mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems in Zusammenhang stehen, daher könnten die Schalter auch für zukünftige Anwendungen etwa bei Depressionen oder Epilepsie interessant sein. Darüber hinaus könnte man die unübertroffene zeitliche und räumliche Präzision von Licht dazu ausnützen, etwa Zytostatika, Analgetika oder Antidiabetika nur dort zu aktivieren, wo sie Ihre Wirkung entfalten sollen.“ Originalpublikationen: A Photochromic Agonist for m-Opioid Receptors Matthias Schönberger et al.; Angewandte Chemie, DOI: 10.1002/anie.201309633; 2014 Restoring Visual Function to Blind Mice with a Photoswitch that Exploits Electrophysiological Remodeling of Retinal Ganglion Cells Dirk Trauner et al.; Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2014.01.003; 2014