Frauen lassen sich häufiger von Sterbehilfeorganisationen in den Tod begleiten als Männer. Ebenso nehmen alleinstehende und gut gebildete Menschen überdurchschnittlich oft eine Freitodbegleitung in Anspruch. Das zeigt eine Studie.
Uneigennützige Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz legal. Hier ist es Ärzten erlaubt, Patienten auch in Situationen zu unterstützen, in denen es keine Heilung gibt und in denen das Leiden unerträglich wird. Gegner der Freitodbegleitung befürchten, dass mit der Zeit die Hemmschwelle sinken könnte und verletzliche Bevölkerungsgruppen vielleicht sogar dazu gedrängt würden, auf diese Weise ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Ob diese Befürchtungen begründet sind, haben nun Forscher um Matthias Egger vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern untersucht.
Die Sterbehilfeorganisationen Exit Deutsche Schweiz, Exit Suisse Romande und Dignitas übermittelten dem Bundesamt für Statistik anonymisierte Angaben zu den insgesamt 1301 Fällen, in denen sie in den Jahren 2003 bis 2008 in der Schweiz wohnhaften Menschen Beihilfe zum Suizid geleistet hatten. Diese Angaben verknüpften die Forschenr mit den Daten der Swiss National Cohort – einer Kohortenstudie der Schweizer Bevölkerung, die in anonymisierter Form auf Volkszählungsdaten basiert. So konnten sie zum Beispiel ausfindig machen, wo diese Menschen wohnten, wie hoch ihre Bildung war, ob sie alleine lebten oder ob sie Kinder hatten. Die soeben publizierte Studie zeigt, dass Suizidbeihilfe bei Frauen deutlich häufiger ist als bei Männern (740 Frauen gegenüber 561 Männer). Der Anteil der Frauen ist auch höher, wenn berücksichtigt wird, dass es mehr ältere Frauen als Männer gibt. Auch wer alleine lebt und wer geschieden ist, lässt sich eher in den Freitod begleiten als Verheiratete und sozial integrierte Personen. Jüngere Menschen mit Kindern nehmen seltener als Kinderlose die Suizidbeihilfe in Anspruch; bei älteren Menschen dagegen scheinen Kinder kein Schutzfaktor mehr zu sein. "Die Resultate deuten darauf hin, dass es tatsächlich verletzliche Bevölkerungsgruppen geben könnte", sagt Matthias Egger. "Soziale Isolation und Einsamkeit sind bekannt als Risikofaktoren für nicht begleiteten Suizid, das gilt wohl auch für begleiteten Suizid."
Andererseits ist die Freitodbegleitung gemäss der Studie aber auch bei besser gebildeten Menschen, in urbanen Gebieten und in wohlhabenden Wohngegenden überdurchschnittlich häufig. "Diese Befunde sprechen gegen die Theorie, dass der Druck auf sozial Schwächere zu einer Ausweitung der Suizidbeihilfe führt", sagt Egger. "Allerdings können natürlich auch gebildete und finanziell gut situierte Menschen isoliert und einsam sein." Möglich wäre auch, dass Gebildete und Wohlhabende einfacheren Zugang zur Suizidbeihilfe haben – zum Beispiel aus finanziellen Gründen. Bei 1093 von 1301 begleiteten Freitoden lagen den Forschern zusätzliche Krankheitsangaben zu den Personen vor, die Suizidbeihilfe in Anspruch genommen hatten. Diese waren in fast der Hälfte der Fälle an Krebs erkrankt. Besonders hoch war der Anteil der Personen, die an unheilbaren degenerativen Nervenkrankheiten wie Multiple Sklerose, Parkinson oder Amyotrophische Lateralsklerose (ALS) litten.
In rund 200 der gemeldeten 1301 Fälle fehlte in den amtlichen Sterbeurkunden ein Hinweis darauf, an welcher tödlichen Krankheit die betroffene Person zum Zeitpunkt der Freitodbegleitung gelitten hatte. Die Forscher empfehlen die Erstellung eines Registers, in dem Sterbehilfeorganisationen anonymisierte Daten eintragen müssen. "Bei einem solch heiklen Thema sollte der Staat genau hinschauen", sagt Egger. Originalpublikation Suicide assisted by Right-to-Die Associations: Population based cohort study. Nicole Steck et al.; International Journal of Epidemiology online. doi: 10.1093/ije/dyu010