Vielversprechende Studienergebnisse: 9 von 10 Kindern mit einer Erdnussallergie konnten nach einer oralen Immuntherapie wieder bis zu 5 Erdnüsse pro Tag verzehren. Dennoch sei die Therapie noch lange nicht marktreif, warnt ein Experte.
„Kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ – dieser Warnhinweis auf zahlreichen Lebensmittelverpackungen ist für etwa 15 Millionen Amerikaner und 17 Millionen Europäer von großer Bedeutung, denn sie leiden unter einer Erdnussallergie. Etwa 1 Prozent der Kinder in den Industrienationen soll betroffen sein. Bisher gibt es keine wirksame Therapie, außer konsequent auf Erdnüsse zu verzichten. Doch selbst Spuren von Erdnüssen, die in zahlreichen Fertigprodukten und Süßwaren vorkommen, können zu allergischen Reaktionen bis hin zu einem anaphylaktischen Schock führen. Erdnussmehl wird gerne als Bindemittel verwendet und ist in vielen Waren, denen es nicht beigemischt wird, produktionsbedingt in Spuren enthalten. Wissenschaftler der Universität Cambridge berichteten nun im Fachmagazin The Lancet von einer oralen Immuntherapie, die Hoffnung macht. 99 Kinder, die alle unter einer Erdnussallergie leiden, im Alter von sieben bis 16 Jahren nahmen an der Studie teil.
Zunächst wurden die Studienteilnehmer in zwei Gruppen geteilt. Während der ersten sechs Monate erhielten 49 Probanden eine orale Immuntherapie, bei der Erdnussmehl unter die Nahrung gemischt wurde. Die erste Dosis von 2 Milligramm Erdnussmehl erhielten die Kinder und Jugendlichen stets im Krankenhaus unter ärztlicher Überwachung und mit bereitstehender Notfallmedikation. Dieselbe Dosis erhielten die Studienteilnehmer dann im Anschluss täglich zu Hause. Über den Versuchszeitraum von einem halben Jahr steigerte sich die beigemengte Erdnussmenge in einem zweiwöchigen Rhythmus von zwei auf 800 Milligramm. Das entspricht etwa fünf Erdnüssen, der 25-fachen Menge, die die Studienteilnehmer vor der Immuntherapie zu sich nehmen konnten.
91 Prozent der so behandelten Probanden tolerierten nach dieser Immuntherapie immerhin die Menge von 800 mg Erdnussmehl. 62 Prozent dieser Gruppe (24 von 39 Teilnehmern) vertrugen am Ende der sechs Monate sogar 1.400 mg Erdnussmehl, was etwa 10 Erdnüssen entspricht. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die nach wie vor strikt auf Erdnüsse verzichtet hatten, reagierten erwartungsgemäß sogar auf kleinste Erdnussmengen allergisch. Im Anschluss erhielt auch die zweite Gruppe dieselbe orale Immuntherapie. Auch in dieser Gruppe vertrugen am Ende der Behandlung 84 Prozent der Probanden 800 Milligramm des Hülsenfruchtmehls. Mehr als die Hälfte (54%) der Kinder und Jugendlichen tolerierten 1.400 Milligramm Erdnussmehl. Untersuchungen der Wissenschaftler zeigten, dass die orale Immuntherapie die Aktivierung der Basophilen reduzierte. Diese weißen Blutzellen lösen eine akute Entzündungsreaktion und Schwellungen beim Kontakt mit dem Erdnussprotein aus.
„Die Lebensqualität der Kinder und deren Eltern wurde durch die Immuntherapie signifikant verbessert“, schreibt Prof. Matthew Greenhawt von der Abteilung für Allergien und Klinische Immunologie des Nahrungsmittelallergie Zentrums der University of Michigan in einem Kommentar. Zuhause nachahmen sollte man so eine Gewöhnungsstrategie jedoch auf keinen Fall, warnen die Studienautoren. Denn gerade zu Beginn der Therapie könne es zu schweren, allergischen Schocks kommen. Außerdem traten bei den Kindern und Jugendlichen häufig Nebenwirkungen in Form von allergischen Reaktionen auf. 81 Prozent der Studienteilnehmer klagten mindestens einmal über Halskratzen, mehr als die Hälfte war von Bauchschmerzen geplagt. Knapp ein Drittel litt unter Übelkeit und jeder dritte Studienteilnehmer musste sich übergeben. Jeder fünfte Proband reagierte mit Niesen, entwickelte Haut- oder Schleimhautschwellungen. 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen litten unter Nesselsucht. Vier Probanden mussten die Studie wegen mehrfach auftretender allergischer Reaktionen ganz abbrechen.
Dennoch ist der Studienausgang ein großer Erfolg: „Vor der Behandlung mussten Kinder und deren Eltern akribisch jedes Nahrungsmitteletikett studieren. Nun können die Kinder unbeschwert auch auswärts essen, ohne gleich befürchten zu müssen, auf Spuren von Erdnüssen allergisch zu reagieren“, so Studienleiter Andrew Clark vom Addenbrooke's Hospital in Cambridge, England. Als vielversprechend stuft auch Kommentator Prof. Matthew Greenhawt die Studie ein. Dennoch gibt er zu bedenken, dass es noch einige offene Fragen zu klären gibt, bevor eine derartige Immuntherapie als Standardtherapie eingesetzt werden kann. „Es gibt bisher nur unzureichende Erkenntnisse zum Wirkmechanismus der Therapie“, schreibt der Experte für Nahrungsmittelallergien in seinem Kommentar. Auch Langzeitnebenwirkungen seien in dieser Studie nicht berücksichtigt worden. Ungeklärt sei ebenfalls, von welcher Dauer die vielversprechende Toleranz der Probanden sei. Andere Studien, an denen auch Milch- und Ei-Allergiker teilgenommen hatten, kämen diesbezüglich zu kontroversen Ergebnissen: Bei manchen Allergikern blieb die Toleranz bestehen, auch wenn sie zwischenzeitlich über einen längeren Zeitraum keinen Kontakt zum betreffenden Allergen hatten. Bei anderen verschwand sie nach Monaten oder Jahren wieder. „Diese Umstände müssen noch genauer untersucht werden“, betont Greenhawt in seinem Kommentar. Ebenso müsse untersucht werden, warum die orale Immuntherapie bei manchen Allergikern nicht anschlägt. Greenhawt fasst zusammen: „Es ist wichtig zu verstehen, dass die orale Immuntherapie vom klinischen Routineeinsatz noch Jahre entfernt ist. […] All diese Fragen müssen mit Bedacht geklärt werden, ohne den Druck, möglichst schnell eine marktfähige Therapie entwickeln zu müssen.“