Unzählige Studien beweisen: Stress belastet Herz und Kreislauf. Auf der anderen Seite zeigen erste Untersuchungen, dass sich Glückliche besser gegen Mikroben und Tumoren wehren können – oder umgekehrt. Dabei kommt es darauf an, was glücklich macht.
Die typischen Herpesbläschen auf der Lippe sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass es dem Körper wieder einmal zuviel geworden ist. Nicht immer sind es nur Belastungen für Muskeln oder Kreislauf, die der Organismus mit Stresssymptomen beantwortet, sondern allzu oft auch psychischen Stress am Arbeitsplatz oder in der Familie. Die Viren auf der Lippe beweisen, dass die Immunabwehr zwar kurzzeitig auf Bedrohungen von außen reagiert, aber bei chronischer Überlastung einknickt. Die Verbindungen zwischen Psyche und Abwehr sind bisher jedoch nur im Groben verstanden.
Psychoneuroimmunologie ist eine recht junge Wissenschaft, die viele konservative Mediziner immer noch als institutionalisiertes Halbwissen abqualifizieren. Dabei gibt es mehr und mehr starke Hinweise darauf, wie intensiv Gehirn und Infektabwehr zusammenspielen. Patienten mit multipler Sklerose brechen nicht selten ihre Interferontherapie ab, weil sie Störungen des Gedächtnisses und Denkvermögens an sich beobachten. Bei Patienten mit chronischer Hepatitis geht ein erhöhter Zytokinspiegel mit Gedächtnis- und Lernproblemen einher. Schließlich fand vor einigen Jahren eine amerikanische Forschergruppe Hinweise darauf, dass virale Infektionen nicht nur mit Stimmungsschwankungen zusammenhängen, sondern möglicherweise sogar mit ernsthaften Depressionen und Suizidversuchen. Aber auch umgekehrt ist das Immunsystem von Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen nicht selten deutlich geschwächt. Eine wichtige Rolle im Leitungsnetz zwischen Nervensystem und der Verteidigungsabteilung im Körper übernimmt das Stresshormon Kortisol. Eine kanadische Studie zeigte vor etwa fünf Jahren, dass Kinder, die im frühen Leben missbraucht wurden, auch später weniger Rezeptoren für dieses Hormon ausbilden. In der Folge schafft es der Körper nicht mehr so gut, Entzündungsreaktionen zu regulieren und bei Bedarf wieder herunterzufahren.
Steven Cole von der University of California in Los Angeles interessieren ganz besonders die Genexpressionsmuster von Menschen mit emotionalen Tiefs und Hochs, nicht die kurzfristigen Stimmungsschwankungen, sondern die chronische psychische Belastung oder die Situation, mit sich ganz im Reinen zu sein. So sind etwa bei Menschen, die sich über lange Zeit hinweg einsam fühlen, viele Entzündungsgene angeschaltet. Eher umgekehrt sieht es bei rund 200 Genen jener Probanden aus, die gut vernetzt waren und viele Bekanntschaften hatten. Während also Stress deutliche Spuren im Hormonspiegel wie auch bei der Genexpression hinterlässt, ist die Sache mit dem Glück etwas komplizierter. Schon vor etwa zehn Jahren zeigte Carol Ryff und ihre Kollegen von der University of Wisconsin bei einer Gruppe älterer Frauen, dass sich der Level an Zufriedenheit mit ihrem Leben im Kortisolgehalt widerspiegelte. Bei ihnen fand Ryff weniger proinflammatorische Zytokine und dementsprechend auch ein niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch ihr Schlaf hatte eine deutlich bessere Qualität mit längeren REM-Phasen. Optimisten, so fand Suzanne Segerstrom von der University of Kentucky heraus, besitzen ein besonders gutes Immunsystem. Impfungen schlagen bei ihnen besser als bei schwermütigen Menschen an.
Steven Cole tat sich sich vor einigen Jahren mit der „Glücksforscherin“ Barbara Fredrickson aus North Carolina zusammen, um die Zusammenhänge zwischen Glück und Infektabwehr auf Genom-Ebene genauer zu studieren. Zusammen publizierten sie im Sommer letzen Jahres einen vielbeachteten Bericht in der renommierten Fachzeitschrift PNAS: „A functional genomic perspective on human well-being“, zu deutsch: „Wie menschliches Wohlbefinden mit dem Genom zusammenhängt.“ Fredrickson und Cole suchten sich 80 Teilnehmer für ihre Studie und befragten sie intensiv nach dem, was für Glücksmomente ihrem Leben sorge. Dabei unterschieden sie zwei Arten des Wohlgefühls: Zum einen das hedonistische Streben nach Befriedigung, etwa durch Sex oder ein gutes Essen, zum anderen sollte der Fragebogen besonders eudaimonische Menschen entdecken, die das Glück in einem höheren Ziel eines erfüllten Lebens mit liebevollem Austausch zu anderen sehen. Je nachdem, wie die Antworten ausfielen, ließen sich diese beiden Arten von Wohlbefinden auch in den angeschalteten Genen finden. Während Teilnehmer mit ausgeprägter eudaimonischer Einstellung in ihrem Genprofil eine starke Abwehr mit aktiver Antikörperproduktion zeigten, waren diese Faktoren bei den Hedonisten eher schwach ausgeprägt. Hier beherrschten vor allem Entzündungsgene das Bild, die bei der anderen Gruppe kaum in Erscheinung traten. Faktoren für den Kampf gegen Virenattacken, wie etwa Typ 1-Interferon, waren eher bei der eudaimonischen Gruppe zu finden. In der untersuchten Gruppe gab es keine Teilnehmer, denen entweder Hedonismus oder Eudaimonie völlig fremd war, jedoch waren die Anteile daran unterschiedlich stark. Die Unterschiede in der Genexpression zeigten sich bei jenen am deutlichsten, die die ausgeprägtesten Ausschläge nach der einen oder anderen Seite aufwiesen.
In ihren Untersuchungen im Jahr 2010 fand eine andere amerikanische Gruppe heraus, dass mit dem eudaimonischen Glück das Alzheimer-Risiko sinkt. Auch die Gefahr eines Schlaganfalls und frühzeitiger Verschlechterung des Gedächtnisses ist bei jenen am geringsten, die in ihrem Leben einen ganz besonderen Sinn sehen. Aus diesen Studien mit eher geringer Teilnehmerzahl ergibt sich noch nicht zwangsläufig die Kausalität. Sorgt ein waches Immunsystem für Glück oder umgekehrt? Aus der Sicht der Evolution könnte die enge Verbindung von erfülltem Sozialleben und starker Abwehr wichtig für das Überleben des Menschen sein. In der Gruppe mit enger Vernetzung bedrohen Infektionen ständig die Gesundheit ihrer Mitglieder. Deswegen benötigt der Herdenmensch scharfe Waffen gegen Mikroben. Für den Einzelgänger ohne soziale Bindung war jedoch die Gefahr von Verletzungen in der Wildnis des frühen Menschen deutlich größer. Damit stieg die Bedeutung von Entzündungsfaktoren, damit eine solche Verletzung bald wieder verheilte. Erst die neuere Zeit, so spekuliert Jo Marchant in seinem Beitrag in Nature vom November 2013, machte aus den heilsamen Entzündungsfaktoren bei Stress eine chronische Belastung. Ständige psychische Belastung ohne Ausgleich in der Familie oder Freunden schlägt aufs Herz und Kreislauf und sorgt damit für die bekannten Zivilisationskrankheiten. Noch gibt es etliche Kritiker, die aus diesen Versuchen keine allgemeinen Schlussfolgerungen ableiten möchten. Auch eine Bestätigung der Cole'schen Ergebnisse steht bisher noch aus.
Gutes Stressmanagement kann Leben retten. Das beweist auch eine Studie von Michael Antoni aus Miami/Florida. Bei Frauen mit Brustkrebs im frühen Stadium schaltete ein 10-wöchiger Anti-Stress-Kurs Entzündungs- und Metastasen-Gene weitaus effektiver ab als ein eintägiges Aufklärungsseminar. Umgekehrt sorgte das Stress-Training für eine starke Expression von Genen für Typ I-Interferon, notwendig für eine starke Tumor-Immunabwehr. „Wenn wir die Psyche verändern“, so der Kommentar von Antoni zu seinen Beobachtungen, „reagiert die Physiologie parallel dazu.“ Psyche verändern, das funktioniert entsprechend der Angabe von Christian Schubert von der Universität Innsbruck sogar mit Suggestion. Bei Patienten mit Genitalherpes können manche Patienten unter Hypnose die Zahl ihrer NK-Zellen steigern und damit die Krankheitssymptome lindern. Welche Bedeutung die Psyche für den gesunden Körper hat, symbolisiert auch das Statement von Peter Henningsen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der TU München: „Für die Gesundheit sind soziale Beziehungen viel wichtiger als beispielsweise die Frage wie man sich ernährt.“