Während sich immer mehr Länder für die Legalisierung von Hanf aussprechen, entwickeln sich synthetische Cannabinoide zu einer schwer kalkulierbaren Gefahrenquelle. Ärzte und Apotheker berichten von lebensbedrohlichen Effekten einiger Derivate.
Marihuana in aller Munde: Seit Anfang Dezember sind die US-Bundesstaaten Colorado und Washington zum Kifferparadies geworden: Bürger über 21 erhalten die begehrte Pflanze in ausgewählten Shops zu reinen Genusszwecken. Wer entsprechende Naturstoffe unter medizinischen Indikationen konsumiert, hat bereits in 20 Bundesstaaten dieses Möglichkeit. Jetzt plant auch New York eine Legalisierung, um Schwerstkranke mit Cannabis zu versorgen. Dahinter steckt eine nicht zu übersehende Trendwende: Wie das Meinungsforschungsinstitut Gallup berichtet, befürwortet erstmals eine Mehrheit aller Amerikaner die Freigabe von Hanf. Ein gutes Thema, schließlich stehen in 2016 wieder Präsidentschaftswahlen an. Während der Fiskus mit immensen Steuermehreinnahmen spekuliert, befürchten Gegner, dass mehr Konsumenten gesundheitliche Schäden davontragen.
Einige Beispiele aus der Literatur: Matthew J. Smith aus Chicago fand zusammen mit Kollegen heraus, dass der Cannabis-Konsum in jungen Jahren zu Veränderungen im Gehirn führt. Er untersuchte Konsumenten mit bildgebenden Verfahren. Bei ihnen spielen Veränderungen in subkortikalen Zonen eine entscheidende Rolle – das erklärt, warum bei Kiffern oft das Arbeitsgedächtnis nicht mehr richtig funktioniert. Smith schließt nicht aus, dass Naturstoffe aus der Pflanze tatsächlich zu bleibenden Schäden führen. Damit nicht genug: Bereits in 2012 veröffentlichten Ärzte um Victoria K. Cortessis aus Kalifornien Fall-Kontroll-Studien zum Marihuana-Konsum. Verglichen mit abstinenten Probanden hatten Konsumenten der Droge ein doppelt so hohes Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken.
Während Cannabis-Inhaltsstoffe keine allzu großen Überraschungen mehr bieten, stellen synthetische Derivate Ärzte und Apotheker vor Herausforderungen. Immer häufiger tauchen Designerdrogen auf. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) bekam 2012 Hinweise auf 73 neue psychotrope Substanzen – darunter waren 30 synthetische Cannabinoide. Die Zahl unbekannter Stoffe steigt Jahr für Jahr: von 13 (2008), 24 (2009), 41 (2010) und 49 (2011) auf nunmehr 73. Davon bleibt die USA nicht verschont. Andrew A. Monte von der University of Colorado School of Medicine berichtet von 76 Patienten, die zwischen dem 24. August und dem 13. September 2013 in zwei Kliniken stationär behandelt werden mussten. Sie hatten synthetische Cannabinoide unbekannter Herkunft konsumiert. In der Folge litten Betroffene unter starker Unruhe und Krampfanfällen. Teilweise entschlossen sich Notfallmediziner zur Intubation. Nach anfänglicher Tachykardie kam es später zu Bradykardien. So weit, so schlimm – allerdings wunderten sich Toxikologen über die Heftigkeit entsprechender Symptome. Chemiker setzten alle analytischen Möglichkeiten ein und identifizierten schließlich ADB-PINACA – allein bei 263 Proben aus Denver. Nach dem 19. September 2013 verschwand das schädigende Derivat von der illegalen Bildfläche – so plötzlich, wie es auf dem Markt erschienen war. Polizeibehörden gelang es nicht, die Quelle trockenzulegen.
Hinzu kommt, dass momentan wirksame Antidote fehlen. Zumindest beim bekannten Tetrahydrocannabinol (THC) haben Forscher jetzt erste Erfolge erzielt. THC fungiert als Agonist des Cannabinoid-Rezeptors 1 (CB1) – mit den von Konsumenten erwünschten Effekten. Giovanni Marsicano und Pier Vincenzo aus dem französischen Forschungszentrum INSERM berichten, dass Pregnenolon THC-Effekte am Rezeptor verringert. Das Steroidderivat entsteht in vivo, falls CB1-Rezeptoren stimuliert werden. Erhielten Mäuse THC, reagierten sie laut den INSERM-Forschern mit typischen Symptomen wie Analgesie, langsameren Bewegungen, Hypothermie und Kataplexie. Einerseits schwächte subkutanes Pregnenolon diese Effekte deutlich ab. Andererseits traten nach Gabe von Aromatasehemmern wie Aminogluthetimid die ursprünglichen Beschwerden wieder auf. Pregnenolon selbst wäre nicht das ideale Antidot – es müsste subkutan appliziert werden und hätte eine zu geringe Halbwertszeit. Jetzt versuchen die Forscher, Verbindungen mit längerer Wirkungsdauer herzustellen, die auch oral verabreicht werden könnten.
Doch soweit muss es nicht unbedingt kommen, sollten Bürger die Finger von illegalen Substanzen lassen. Welche Präventionsmaßnahmen fruchten tatsächlich? Laut einer Schweizer Studie reichen Informationsmaßnahmen allein nicht aus. Sozial- und Präventivmediziner der Universität Zürich befragten im Rahmen einer Kohortenstudie etwa 12.000 Männer, die zur Musterungsuntersuchung erschienen waren. Im Schnitt informierten sich 16 Prozent über Suchtmittel. Bei Jugendlichen mit riskantem Alkohol- oder Tabakkonsum waren es 20 Prozent, und bei Cannabis sogar 38 Prozent. Mitautorin Meichun Mohler-Kuo fordert jetzt differenziertere Strategien. Medienkampagnen sollten bereits vorhandene Kompetenzen gut informierter Jugendlicher und jungen Erwachsener stärker berücksichtigen, als dies bislang geschieht.