Nanopartikel sind herkömmlichen Darreichungsformen von Arzneimitteln in vielen Punkten überlegen. Doch bisher konnten sie nur über Injektionen ins Körperinnere gelangen. Nun kreierten Forscher Nanopartikel, die auch oral verabreicht werden können.
Nanopartikel sollen die Behandlung von Krebs und anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen revolutionieren, denn sie könnten ein großes Problem herkömmlich verpackter Medikamente umgehen: Nanopartikel transportieren Wirkstoffe genau dorthin, wo sie gebraucht werden. Denn hochpotente Krebsmedikamente hinterlassen oft lebensbedrohliche Nebenwirkungen, da sie meist nicht nur am vorgesehenen Ort, sondern im ganzen Körper wirken. Die neuen, hoch variierbaren Verkapselungstechniken könnten auch das Problem mangelnder Wasserlöslichkeit eines Wirkstoffes beheben. Denn wenn Therapeutika nicht in Wasser löslich sind, können sie auch nicht vom Blut aufgenommen und zu ihrem Wirkort transportiert werden.
Bisher konnten die kleinen Wunderteilchen jedoch nur über Spritzen verabreicht werden, da sie nicht in der Lage waren, die Barrieren des Verdauungstraktes zu überwinden. In den Venen nutzen sie den Umstand, dass Tumoren und anderes krankhaftes Gewebe von undichten Blutgefäßen umgeben sind. Durch diese Stellen sickern die Nanopartikel und entladen ihren wertvollen Inhalt direkt am Tumor. Verschiedene Arten von Nanopartikeln, bestückt mit Chemotherapeutika oder siRNAs, die bestimmte Gene ausschalten können, befinden sich momentan in klinischen Studien. Dort wird ihre Wirksamkeit bei der Bekämpfung von Krebs und anderen Erkrankungen überprüft.
Wissenschaftler haben nun eine neue Art von Nanopartikeln entwickelt, die oral verabreicht werden können und über den Intestinaltrakt in den Blutkreislauf aufgenommen werden. „Patienten müssten dann in Zukunft nur noch eine Tablette schlucken, anstatt Injektionen zu erhalten“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie im Fachmagazin Science Translational Medicine. Den kleinen Polymeren Durchtritt durch die Darmwand zu gewähren, war gar nicht so einfach, denn dabei müssen sie die Innenverkleidung des Darms überwinden, die unter anderem aus einer Schicht Epithelzellen besteht. Durch die sogenannten „tight junctions“ zwischen den Zellen stellt diese Schicht eine praktisch undurchdringbare Barriere dar. „Die größte Herausforderung besteht darin, die Nanopartikel durch diese Zellbarriere zu bekommen“, so Studienleiter Prof. Omid Farokhzad von der Harvard Medical School in Boston, USA. „Denn wo immer im Körper Zellen eine Barriere bilden, gibt es zwischen den Zellen diese Halterungen, wie bei einer Mauer aus Ziegelsteinen. Die Ziegel sind die Zellen, der Mörtel die Halterungen. Und nichts kann diese Mauer durchdringen!“, so Farokhzad. Wissenschaftler hatten bereits versucht diese Mauer zu überwinden, indem sie die „tight junctions“ kurzfristig lösten. Dann konnten die Arzneistoffe die Barriere passieren. Doch dieser Ansatz hatte unerwünschte Nebeneffekte zur Folge, wenn pathogene Bakterien die Zellschleusen ebenfalls passierten.
Um eine Lösung für dieses Problem zu finden, haben sich die Forscher nun die Natur zum Vorbild genommen. Studien hatten gezeigt, auf welche Weise Babys ihren sogenannten Nestschutz erwerben, wenn sie Antikörper aus der Muttermilch aufnehmen. Diese Antikörper müssen ebenfalls über den Intestinaltrakt in den Blutkreislauf des Kindes gelangen. Das gelingt ihnen, indem sie an einen Oberflächenrezeptor namens FcRN binden. Nach diesem Vorbild bedeckten die Wissenschaftler ihre Nanopartikel mit Fc-Proteinen – dem Teil des Antikörpers, der an den FcRN-Rezeptor auf den Darmzellen bindet. Die Nanopartikel bestehen aus einem biokompatiblen Polymer mit dem Namen PLA-PEG (Polylactid-co-Glycolid) und sind mit einem Arzneistoff in ihrem Inneren bestückt. Sobald die Partikel im Verdauungstrakt angekommen sind, binden die Fc-Proteine auf ihrer Oberfläche an die FcRN-Rezeptoren an der Darmwand und können diese so passieren.
In ihrer Teststudie an Mäusen haben die Wissenschaftler Insulin in Nanopartikel verpackt und oral verabreicht. Die Nanopartikel, die mit Fc-Proteinen bestückt waren, erreichten den Blutstrom der Tiere elfmal effizienter als dieselben Nanopartikel ohne Beschichtung. Die Menge des derart transportierten Insulin reichte aus, um die Blutzuckerspiegel der Mäuse zu senken. „Unerwünschte Nebenwirkungen haben wir nicht beobachtet, auch nicht, als wir den Mäusen sehr hohe Dosen der Nanopartikel intravenös verabreicht haben“, erklärt Co-Autor Prof. Dr. Frank Alexis von der Clemson University in South Carolina, USA. „PLA-PEG wird vom Körper abgebaut, indem die Esterbindungen hydrolysiert werden“, so Alexis weiter.
Die Wissenschaftler hoffen nun, weitere Nanopartikel nach demselben Prinzip herstellen zu können, die auch andere Körperbarrieren wie die Blut-Hirn-Schranke, überwinden können. „Auch die Schleimhaut der Lunge und die Plazenta sind denkbare Ziele unserer Technik“, so Farokhzad. Außerdem arbeiten die Forscher an der Freisetzung weiterer Arzneimittel. „Die Nanopartikel können theoretisch mit allen möglichen Substanzen bestückt werden, die bestimmte Körperbarrieren nicht eigenständig durchdringen können“, so Rohit Karnik, ein beteiligter Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA. Wann sie ihre kostbare Fracht entladen, können die Wissenschaftler über die Zusammensetzung des Polymers, sein Molekulargewicht und seine Kristallinität bestimmen. „Diese Art der Arzneimitteldarreichung könnte vor allem für die Entwicklung neuer Medikamente gegen hohe Cholesterinwerte oder bei Arthritis sein. Patienten mit diesen Erkrankungen würden sicherlich lieber Tabletten schlucken, als regelmäßig zum Arzt zu gehen und dort eine Nanopartikelspritze verabreicht zu bekommen“, schreiben die Wissenschaftler.