Kinder, die an Krebs erkranken, überleben heute deutlich länger als früher. Allerdings leiden fast alle als Erwachsene unter schwerwiegenden Folgeerkrankungen, wie eine neue Studie zeigt. Ärzte sollten ein wachsames Auge auf Betroffene haben, denn die Nachsorge hört nie auf.
Wenn bereits Kinder an Krebs erkranken, ist das besonders tragisch. Durch verbesserte Behandlungsmöglichkeiten hat die Überlebenszeit dieser Kinder in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. So überleben inzwischen 80 Prozent der Betroffenen mindestens die ersten fünf Jahre. Doch diese Verbesserungen haben auch einen Preis: Die Betroffenen haben im Vergleich zur Gesamtbevölkerung einen schlechteren Gesundheitszustand, ein erhöhtes Risiko für verschiedene Erkrankungen und eine erhöhte Sterblichkeit. Häufig werden bei ihnen gesundheitliche Probleme und Folgeerkrankungen nicht erkannt und bleiben damit auch unbehandelt. Nun hat Onkologe Dr. Nickhill Bhakta vom St. Jude Children Research Hospital in Memphis (USA) gemeinsam mit Kollegen eine neue Studie veröffentlicht. Das Forscherteam untersuchte die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, chronischen Erkrankungen und die Sterblichkeit bei Erwachsenen, die eine Krebserkrankung in der Kindheit überlebt haben. Die Wissenschaftler verwendeten für ihre Auswertung die Daten von 5.522 Erwachsenen aus der St. Jude Lifetime Cohort Study (St. Jude LIFE), bei denen in der Kindheit die Diagnose Krebs gestellt worden war.
Alle Studienteilnehmer hatten nach der Diagnose zehn Jahre oder länger überlebt. Für die Auswertung konnten die prospektiven Daten von 3.010 (54,5 Prozent) der Teilnehmer verwendet werden, die zu diesem Zeitpunkt noch am Leben waren und sich bereit erklärt hatten, weiter an der Studie teilzunehmen. Ihre Daten verglichen die Forscher mit den Daten von 272 gesunden Freiwilligen, die von der Alters- und Geschlechtsverteilung her vergleichbar waren. Dabei bezogen sie 168 Erkrankungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in die Auswertung ein und berechneten daraus die so genannte kumulative Krankheitsbelastung, bei der die Häufigkeit und Schwere verschiedener Erkrankungen im Lauf des Lebens einbezogen werden. Die Studie ist die bisher umfassendste Untersuchung, die die langfristige Gesundheit von Überlebenden mit Krebs in der Kindheit erfasst. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, die medizinische Versorgung der Betroffenen besser auf die einzelnen Patienten und ihre jeweiligen Erkrankungen abzustimmen.
Die Auswertung ergab, dass 99,9 Prozent der von Krebs in der Kindheit Betroffenen im Alter von 50 Jahren chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen hatten. Diese war bei 96 Prozent schwerwiegend, lebensbedrohend oder tödlich (Grad 3 bis 5 einer angepassten Skala der Allgemeinen Terminologiekriterien unerwünschter Ereignisse). Weiterhin hatten die Patienten im Alter von 50 Jahren durchschnittlich 17 chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen erlebt, von denen 5 in die Kategorien schwerwiegend, lebensbedrohend oder tödlich fielen. Die gesunden Probanden hatten dagegen durchschnittlich nur 9 solche Erkrankungen erlebt, von denen 2 schwerwiegend, lebensbedrohend oder tödlich waren. Am häufigsten kamen bei den Krebsüberlebenden sekundäre Tumoren, Erkrankungen der Wirbelsäule und Lungenerkrankungen vor. Zudem erlebten sie häufig Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hormonelle Störungen. 37 Prozent hatten bis zum Alter von 50 Jahren eine zweite Krebsdiagnose erhalten. Gleichzeitig stellten Bhakta und sein Team große Unterschiede in der gesundheitlichen Belastung bei verschiedenen Krebsarten fest. So war die kumulative Krankheitsbelastung bei Überlebenden von Tumoren des zentralen Nervensystems am höchsten: Sie hatten im Lauf ihres Lebens durchschnittlich 24 chronische Erkrankungen erlebt. Bei Überlebenden von Tumoren der Keimzellen war die Belastung dagegen am niedrigsten, mit durchschnittlich 14 chronischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Außerdem hingen die Anzahl und Schwere der chronischen Beeinträchtigungen signifikant mit folgenden Aspekten zusammen: einem höheren Alter bei Diagnosestellung, einer höheren Bestrahlungsdosis von Gehirn oder Brust und dem Jahrzehnt, in dem die Behandlung stattgefunden hatte.
Die typischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen traten bei einigen Patienten bereits früh nach der Diagnose auf und standen oft in Zusammenhang mit der Krebstherapie (Chemotherapie oder Bestrahlung). Bei anderen waren die gesundheitlichen Probleme eher später nach der Diagnose und mit zunehmendem Alter zu beobachten. So erlebten Patienten mit Krebserkrankungen des Blutes im Erwachsenenalter häufig kardiovaskuläre Probleme und sekundäre Tumoren. Bei Überlebenden von Tumoren des zentralen Nervensystems kam es dagegen eher früh nach der Behandlung zu Erkrankungen des Nervensystems (Neuropathien) und Beeinträchtigungen des Gehörs, die sich im weiteren Zeitverlauf nicht weiter verschlechterten, aber einer kontinuierlichen Beobachtung und Behandlung bedürfen. „Die kumulative Belastung mit chronischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Komplexität und Schwere dieser Probeme bei einigen Betroffenen zeigen, dass Überlebende von Kinderkrebs eine gesundheitlich gefährdete und medizinisch komplexe Gruppe sind“, sagt Bhakta. Einschränkend sei zu sagen, dass die Diagnose bei den meisten Studienteilnehmern zwischen 1980 und 1994 gestellt worden sei. „Bei modernen Krebstherapien ist die Behandlung gezielter und umfasst oft eine geringere Bestrahlungsdosis und eine niedriger dosierte Chemotherapie“, betont der Forscher. „Deshalb könnte es sein, dass Kinder, bei denen heute Krebs diagnostiziert wird, weniger chronische Gesundheitsprobleme erleben.“
Die Untersuchung liefert Ärzten und Entscheidungsträgern im Gesundheitssystem Informationen, wie eine geeignete, langfristig angelegte medizinische Versorgung der Betroffenen in Zukunft aussehen könnte. Sie könnte auch eine Grundlage für die Entwicklung geeigneter medizinischer Leitlinien sein. „Immer mehr Kinder überleben eine Krebserkrankung – das ist sicherlich etwas, was gefeiert werden sollte“, sagt Bhakta. „Allerdings müssen wir sicherstellen, dass ihre gesundheitlichen Bedürfnisse im späteren Leben nicht übersehen werden.“ Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, die speziellen Bedürfnisse einzelner Untergruppen von Krebsüberlebenden besser zu erkennen und gezielt zu behandeln. „Es ist wichtig, die Diagnostik und Behandlung langfristiger gesundheitlicher Probleme wie sekundärer Tumoren oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern – aber auch die Diagnostik und Therapie unmittelbarer, akuter Gesundheitsprobleme, die oft unbehandelt bleiben“, betont Bhakta. Wichtig sei, die Gesundheit der Betroffenen aktiv zu beobachten, schreiben auch Miranda M. Fidler von der International Agency for Research on Cancer in Lyon (Frankreich) und Michael M. Hawkins von der University of Birmingham (Großbritannien) in einem Kommentar zur Studie. „Wegen der vielen und sehr unterschiedlichen Krankheitsprofile der Patienten kann eine spezialisierte Gesundheitsversorgung eindeutig zu Verbesserungen führen – vor allem bei Patienten mit den größten Gesundheitsrisiken“, betonen Fidler und Hawkins. Nun sollten weitere Studien durchgeführt werden, um die Effizienz und die Kosten einer solchen spezialisierten Versorgung zu untersuchen und die gesundheitlichen Risiken und Bedürfnisse dieser Gruppe noch besser zu verstehen.
Experten von der LESS-Studiengruppe (Late Effects Surveillance System) oder der Stiftung „Junge Erwachsene mit Krebs“ fordern deshalb, dass es strukturierte Nachsorgepläne geben sollte, in denen die Nachsorge langfristig und im Detail geregelt und zugleich individuell auf den Patienten abgestimmt ist. „Im Moment müssen Patienten nach Krebs in der Kindheit selbst in hohem Maße aktiv werden, um eine angemessene Versorgung zu erhalten“, sagt Weg-Remers. So würden Ärzte häufig die frühere Krebserkrankung oder damit verbundene Behandlungen nicht kennen und daher auch nicht berücksichtigen. „Bei einer Herzerkrankung wird zum Beispiel eine frühere kardiotoxische Chemotherapie nicht bedacht“, so die Krebsexpertin. „Oder bei Frauen, die in der Jugend eine Bestrahlung im Brustbereich erhalten haben, wird nicht berücksichtigt, dass hier möglicherweise eine intensivere Brustkrebsvorsorge sinnvoll ist.“