Die Erforschung des Mikrobioms liegt im Trend: Nun fanden Mediziner heraus, dass durch den Einfluss von Bakterien einige Medikamente wirkungslos bleiben. Insbesondere bei Krebstherapien kann das schwerwiegende Folgen haben.
Personalisierte Medizin heißt das Schlagwort, das seit Jahren über der modernen Heilkunst schwebt. Denn ein- und dieselbe Krankheit kann bei dem einen Patienten ganz anders verlaufen als beim nächsten. Entsprechend unterschiedlich wirkt dann auch die Arznei: Heilt sie den einen Patienten, bleibt sie beim nächsten, der genau die gleichen Symptome zeigt, ohne jede Wirkung. Um herauszufinden, welcher Patient von einer bestimmten Therapie profitieren könnte, schauen Ärzte und Wissenschaftler daher immer genauer hin. Sie untersuchen das Erbgut nach Spuren oder suchen auf einzelnen Zellen nach Biomarkern, Rezeptoren oder anderen Oberflächenmerkmalen, um mehr über die Krankheit zu erfahren und sie gezielt zu behandeln. Bekanntestes Beispiel ist das HER2/neu-Protein auf der Oberfläche von Brustkrebszellen. Produzieren Frauen besonders viel davon, verläuft die Erkrankung oft sehr aggressiv. Ein spezifisches Medikament, das Herceptin, soll genau diesen Frauen helfen. Bei dem Medikament handelt es sich um einen Antikörper, der spezifisch an HER2/neu bindet und so das Wachstum der Tumorzellen verhindern kann. Bei Patienten ohne dieses spezielle Merkmal wäre diese Behandlung wirkunkungslos. Doch es gibt auch noch andere Ursachen dafür, dass manche Therapien nicht bei jedem Patienten anschlagen. Eine davon findet sich in unserem Mikrobiom.
Die Hälfte aller Zellen im Menschen sind Bakterien. Allein im Darm tummeln sich gigantische Kolonien. Im Laufe der Evolution haben sie im Menschen ihre Heimat gefunden und dabei wichtige Aufgaben übernommen. Sie halten Krankheitserreger in Schach, unterstützen bei der Verdauung, spenden Vitamine und Nährstoffe und wirken sich sogar auf die Psyche aus. Regelmäßig finden Wissenschaftler neue Vorgänge im Körper, bei denen Bakterien eine Rolle spielen. Seit einiger Zeit gilt das auch für die Behandlung von Krankheiten. Denn wie sich zeigt, sind einige dieser Winzlinge in der Lage, den Erfolg einer Therapie maßgeblich zu beeinflussen.
Der Molekularbiologe Ravid Straussman vom Weizmann Institute of Science in Israel forscht schon lange an Therapieresistenzen in der Onkologie. Zusammen mit seinem Kollegen Todd Golub von der Harvard Medical School beschreibt er in einer aktuellen Studie, dass einige Bakterien in der Lage sind, Tumorzellen vor dem Angriff durch Chemotherapeutika zu schützen. Sie untersuchten, warum einige Tumorzellen nicht auf Chemotherapeutika-Behandlungen ansprechen. Schon länger wird vermutet, dass dieser Effekt von nichtmalignen Zellen in der Umgebung von Tumorzellen ausgeht. Auch in diesem Experiment zeigte sich der Effekt deutlich: Wenn dermale Fibroblasten zusammen mit Pankreastumorzellen kultiviert wurden, konnten die Tumorzellen nicht durch das Chemotherapeutikum Gemcitabin abgetötet werden.
Wie konnte das sein? Das Team fand heraus, dass die Fibroblasten mit Mycoplasmen-Bakterien infiziert waren. „Wir hätten sie fast weggeschmissen“, erinnert sich Straussman später. Die Mikroben waren jedoch die Antwort nach der sie die ganze Zeit gesucht hatten. Die Bakterien metabolisierten das Gemcitabin mithilfe des Enzyms Cytidine Deaminase (CDD) und machten es so wirkungslos.
Die Beobachtung von Straussmann ist kein Einzelfall. Sie passt zu einer ganzen Reihe von Entdeckungen, die zeigen, wie Bakterien die Therapie von Krankheiten beeinflussen. Forscher stellten kürzlich Daten vor, die vermuten lassen, dass Bakterien dafür verantwortlich sind, dass viele Patienten, die mit dem Chemotherapeutikum Irinotecan behandelt werden, unter schweren Durchfällen leiden. Der Grund dafür ist, dass einige Bakterien Enzyme besitzen, die einen an dem Chemotherapeutikum angehängten Zucker abbauen können – und die toxische Wirkung des Mittels so enorm erhöhen. Der fehlende Anhang führt scheinbar dazu, dass der Wirkstoff nicht schnell in der Leber abgebaut wird, sondern im Darm Schaden anrichten kann. Auch von Wirkstoffen für die Behandlung von Herzkrankheiten oder aus der Parkinsontherapie weiß man mittlerweile, dass Bakterien über ihren Erfolg mitentscheiden. Das weit verbreitete Bakterium Helicobacter pylori verhindert beispielsweise die Aufnahme des Parkinson-Medikaments Levodopa. Eine Studie im Fachblatt Science zeigte kürzlich, dass die prophylaktische HIV-Behandlung mittels Vaginalgel bei Frauen fehlschlägt, die mit dem Bakterium Gardnerella infiziert sind. Dieses Bakterium ist dazu in der Lage den Wirkstoff Tenofovir zu metabolisieren und wirkungslos zu machen.
Und während die Wissenschaft auf immer neue Beispiele stößt, in denen Bakterien die Wirkung von Medikamenten verändern oder aufheben, versuchen andere Forschergruppen herauszufinden, wie man die Bakterien stoppen kann. Erste Ansätze gibt es schon. Bei Mäusen sorgte schon eine Umstellung der Ernährung dafür, dass die Darmbakterien Eggerthella lenta nicht länger das Herzmedikament Digoxin in ihrer Wirkung behinderten. Die Aminosäure Arginin verhinderte bei betroffenen Mäusen, dass die Bakterien den Wirkstoff außer Kraft setzen konnten. Dabei regelte die Aminosäure die Produktion eines für die Digoxin-Inaktivierung wichtigen Gens in den Bakterien herunter. Um die durch Bakterien verursachten Nebenwirkungen bei der Behandlung mit Irinotecan abzumildern, arbeitet das Biotechnologie Start-up Symberix an der Genehmigung für eine klinische Studie. Dabei sollen Krebspatienten zusätzlich mit einem selektiven Beta-Glucuronidase-Inhibitor behandelt werden. Das Unternehmen aus North Carolina hat sich auf die Entwicklung Mikrobiom-basierter, nicht-antibiotischer Therapien spezialisiert. Mit diesem therapeutischen Ansatz befindet sich das Unternehmen auf dem neusten Stand der Forschung. Insbesondere die Behandlung von Krebspatienten mit Antibiotika ist kritisch, denn sie zielen auch auf die nützlichen Bakterien ab. In seiner Studie zeigte Straussman, dass das Zytostatikum Oxaliplatin auf die Mitarbeit von Bakterien aus dem Darm angewiesen ist. Darüber hinaus zeigte er, dass bei einer experimentellen Immuntherapie mit CpG-Oligonukleotiden bei Tumoren spezielle Bakterien benötigt werden. Diese sollen das Immunsystem stimulieren, damit es den Signalstoff Tumornekrosefaktor bildet. Mit Antibiotika bestünde zusätzlich das Risiko, dass sich beim Patienten gefährliche Resistenzen bilden. Dies würde eine zusätzliche Belastung für den krebskranken Körper bedeuten. Besser wäre es, einen Wirkstoff zu finden, der passgenau jene Enzyme der Bakterien blockiert, die die Wirkung der Medikamente verhindern.