Ab sofort können auch Schweizer Gynäkologen Embryonen per Präimplantationsdiagnostik (PID) untersuchen. Voraussetzung ist, dass es genetische Risiken gibt. Die Hürden sind geringer als in Deutschland. Der Medizintourismus hat eine neue Destination.
Seit 1. September sind in der Schweiz Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik (PID) unter bestimmten Rahmenbedingungen möglich. Bei Paaren muss einer der Partner Anlagen für schwere Erbkrankheiten tragen. Alternativ kommt die PID in Betracht, falls Frauen auf natürlichem Wege nicht schwanger werden. Neu ist außerdem, dass Ärzte mit zwölf statt mit drei Embryonen pro IVF-Behandlungszyklus arbeiten dürfen. Sie haben auch die Option, nicht benötigte Embryonen einzufrieren. Weitere Anwendungen wie die Geschlechtswahl („social sexing“) bleiben verboten. Alle Gesetzesänderungen stießen bei einer Volksabstimmung Mitte 2016 auf knapp zwei Drittel Zustimmung.
Von der Schweiz nach Deutschland. Laut Prof. Klaus Diedrich, ehemaliger Direktor der Frauenklinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins in Lübeck, sei die PID zu Recht seit 2010 bei uns erlaubt: „Die Frau hat das Recht auf die bestmögliche Behandlung, und die Reproduktionsmedizin macht Fortschritte. Unser Ziel sollte es sein, ein möglichst gesundes Kind zu bekommen.“ Juristisch betrachtet ist die Sache weitaus komplizierter. Zwar verbietet das Embryonenschutzgesetz (ESchG) Methoden der Präimplantationsdiagnostik. Jedoch gibt es laut Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) Ausnahmen bei „schwerwiegenden“ Erbkrankheiten sowie bei hoher Wahrscheinlichkeit einer Tot- oder Fehlgeburt. „Schwerwiegend“ ist eine Erbkrankheit, falls sie mit einer geringen Lebenserwartung, mit schweren Symptomen und mit schlechten Behandlungsmöglichkeiten einhergeht. Genauere Definitionen oder Zusammenstellungen genetischer Anomalien existieren nicht. Und hier beginnt es, schwierig zu werden.
Kommt eine PID aus medizinischem Blickwinkel in Betracht, müssen Frauen einen Antrag bei der zuständigen Ethikkommission stellen. Das Gremium konstituiert sich aus Ärzten, Sachverständigen für Ethik beziehungsweise Recht, aus Vertretern der Selbsthilfe für Menschen mit Behinderung und aus Patientenvertretern. Es ist immer nur für ein Bundesland zuständig. „Wir erleben leider, dass zum Beispiel Paare, die eine Veranlagung für die zystische Fibrose haben, mit ihrem PID-Wunsch in Bayern abgelehnt werden“, erklärte Prof. Elke Holinski-Feder. Sie leitet das Medizinisch Genetische Zentrum (MGZ) in München. „Bei Ethikkommissionen im Norden des Landes dagegen gibt es kein Problem.“ Gerichte haben dieses Vorgehen prinzipiell bestätigt, sehr zum Leidwesen von Betroffenen. Eine Patientin wollte aufgrund bekannter Erbkrankheiten befruchtete Eizellen per PID untersuchen lassen. Doch die Bayerische Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik lehnte ihr Ansuchen mit Hinweis auf fehlende Voraussetzungen ab. Daraufhin versuchte die Frau, auf dem Klageweg eine Lösung zu erreichen – ohne Erfolg (Az.: M 18 K 16.1738). Das Bayerische Verwaltungsgericht stellte klar, es sei nicht möglich, den Ermessensspielraum von Ethikkommissionen juristisch zu überprüfen. Jetzt bleibt der Betroffenen nur, Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzulegen.
Dieses Durchhaltevermögen haben nicht alle. Häufig entscheiden sich Paare für eine Behandlung außerhalb Deutschlands, sobald Gynäkologen an ihre Grenzen stoßen. „Wenn nach mehreren IVF-Zyklen keine Schwangerschaft und keine Geburt zustande gekommen sind, müssen wir mit den Eltern besprechen, dass weitere Versuche zwecklos sind“, sagt Kinderwunschexperte Dr. Matthias Bloechle aus Berlin. Dabei spricht er explizit die deutsche Rechtslage an. In den USA bieten etliche Fertilitätszentren PIDs seit Jahren ohne Einschränkungen an, Regelungen auf bundesstaatlicher Ebene existieren nicht. Jetzt reicht bereits eine kurze Reise in die Schweiz aus, falls medizinische Indikationen für eine PID sprechen. Die Hürden sind jedenfalls geringer als in Deutschland.