Kann ein biochemisches Patientenprofil bald vorhersagen, welcher Patient auf Antidepressiva anspricht? Wissenschaftler haben Parameter im Tryptophanstoffwechselweg gefunden, die eine solche Vorhersage bei SSRI-Therapien von schweren Depressionen erlauben könnten.
Laut einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1; Umfragezeitraum 2008-2011) des Robert Koch-Instituts leiden etwa 8% der erwachsenen Menschen in Deutschland unter einer Depression. Die am häufigsten eingesetzten Antidepressiva sind Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI = Selective Serotonin Reuptake Inhibitor). Die Wirkstoffe dieser Klasse beeinflussen die Serotonin-Transporter, wodurch sie die Serotonin-Konzentration in der Gewebeflüssigkeit des Gehirns erhöhen. Ihre Wirkung scheint dabei von der Schwere der Depression abhängig zu sein. Bei leichtgradigen Depressionen sind sie den Effekten von Placebos nicht überlegen. Bei schweren Depressionen hingegen erfahren etwa 50 bis 75 % der behandelten Patienten eine Verbesserung durch einen SSRI, bei den Placebos sind es durchschnittlich nur 25 bis 33 % der Betroffenen.
Ob ein Patient auf einen SSRI anspricht, muss der behandelnde Arzt bisher schlichtweg austesten. Da die antidepressive Wirkung bei SSRIs erst mit Verzögerung eintritt, kann das mitunter ein langwieriger Prozess sein. Laut Wissenschaftlern von Duke Medicine, einem Zusammenschluss aus dem Duke University Health System, der Duke University School of Medicine und der Duke University School of Nursing in Durham, USA, könnte sich das bald ändern. In ihrer aktuellen Studie stellen sie eine Methode vor, mit der sich der Therapieerfolg von SSRI vorhersagen lässt. Dazu untersuchten die Wissenschaftler hunderte von chemischen Stoffen aus dem Blut von Patienten, die aktuell SSRI einnahmen. Dieser neue Wissenschaftszweig trägt den Namen “Pharmaco-Metabolomics” und schürt die Hoffnung, anhand von metabolischen Patientenprofilen individuell zugeschnittene Behandlungsstrategien anwenden zu können. „Metabolomische Untersuchungen verraten uns, warum manche Patienten auf eine Therapie ansprechen, andere jedoch nicht“, so Studienleiter Dr. Rima Kaddurah-Daouk. „Das wiederum könnte uns helfen, Patienten mit Depressionen besser zu behandeln, indem wir diejenigen, die nicht auf ein Medikament ansprechen werden, von vornherein aussortieren und anders therapieren.“
In ihrer Studie machten die Duke-Wissenschaftler eine wertvolle Entdeckung: Die biochemische Zusammensetzung des Blutes von Patienten, die auf SSRI ansprachen, unterschied sich von der jener Patienten, die nicht von dieser Behandlung profitierten. Die Unterschiede liegen in einem Stoffwechselweg von Neurotransmittern, die bereits mit Depressionen in Verbindung gebracht wurden - vor allem bei Metaboliten des Tryptophan-Stoffwechselweges. Die Aminosäure Tryptophan wird auf unterschiedliche Art und Weise im Körper abgebaut. Ein Abbauweg führt über Serotonin zu Melatonin und einer großen Anzahl von Melatonin-ähnlichen Stoffen, die als Methoxyindole bezeichnet und in der Zirbeldrüse produziert werden. Da dort auch der Schlafzyklus gesteuert wird, vermuten die Wissenschaftler, dass Schlaf, Depression und Therapieerfolg auf bisher ungeklärte Weise miteinander zusammenhängen. In ihrer Studie verglichen die Wissenschaftler das Vorkommen verschiedener Stoffwechselprodukte in verschiedenen Zweigen des Tryptophanstoffwechselweges und setzten diese in Verbindung mit dem Therapieerfolg durch SSRI.
An der Doppelblindstudie der Duke-Wissenschaftler nahmen 75 Patienten mit schweren Depressionen teil. Nach dem Zufallsprinzip erhielten sie entweder den Wirkstoff Sertralin (Zoloft) oder ein Placebomedikament. Sertralin ist ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, der zu einer Erhöhung der Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt im Zentralnervensystem führt. Die stimmungsaufhellende Wirkung von Sertralin setzt gewöhnlich nach etwa sieben Tagen ein. Während der danach folgenden ein bis drei Wochen entfaltet der Arzneistoff seine volle Wirkung. Die Wissenschaftler untersuchten die Studienteilnehmer jeweils eine und vier Wochen nach Beginn der Medikamenten- bzw. Placeboeinnahme. Dazu prüften sie einerseits, ob sich die depressiven Symptome verbessert hatten (Hamilton Rating Scale for Depression (HAMD17)) und analysierten andererseits bestimmte Neurotransmitter aus dem Blut ihrer Patienten.
Bei 60 Prozent der Patienten, die SSRI einnahmen, schlug die Behandlung an und die depressiven Symptome verbesserten sich. Bei diesen Patienten waren auch verschiedene Metaboliten des Tryptophan-Stoffwechselweges, die zu Melatonin und Methoxydolen führen, verändert. Bei diesen Patienten fanden die Wissenschaftler beispielsweise vor der Behandlung mit SSRI eine erhöhte Konzentration von 5-Methoxytryptamin (5-MTPM). Nach der Behandlung mit SSRI zeigten genau jene Patienten eine stark verminderte Konzentration von 5-MTPM im Blut, einen Anstieg von 5-Methoxytryptophol (5-MTPOL) und Melatonin (MEL) und eine Abnahme von (KYN)/MEL und dem 3-Hydroxykynurenin (3-OHKY)/MEL Verhältnis im Vergleich zu den Vorbehandlungswerten. Bei Patienten, die nicht auf SSRI ansprachen, traten diese Veränderungen nicht auf.
50 Prozent der Patienten, die Placebos einnahmen, sprachen ebenfalls auf die Behandlung an. Eine Verbesserung der depressiven Stimmung verzeichneten jene Patienten mit erhöhten 5-MTPOL- und MEL-Konzentrationen vor der Behandlung und einem signifikanten Abfall der KYN/MEL- und 3-OHKY/MEL-Level danach. Dr. Kaddurah-Daouk fasst die Erkenntnisse zusammen: „Unsere Studie zeigte, dass die Zirbeldrüse an der Regeneration von einer Depression beteiligt ist. Dabei fiel uns auf, dass vielleicht gar nicht Serotonin selbst an der Ausprägung einer Depression beteiligt ist, sondern Metabolite von Serotonin, die in der Zirbeldrüse produziert werden und die menschlichen Schlafzyklen steuern.“ Kynurenin beispielsweise ist ein Stoffwechselintermediat beim Abbau des Tryptophan. „Um auf eine Behandlung mit SSRI ansprechen zu können, muss der Tryptophanabbauweg von Kynurenin hin zur Produktion von Melatonin und anderen Methoxyindolen verschoben werden. Manchen Patienten fehlen diese Regulationsmechanismen offenbar“, so Dr. Kaddurah-Daouk. Für ihn sind die Studien-Erkenntnisse ein wertvoller Ansatz, um möglichst allen Patienten eine erfolgreiche SSRI Therapie zu ermöglichen. Denn die Wissenschaftler vermuten, dass die Behandlung einer Depression, egal ob mit SSRI oder Placebo, durch den Einsatz von Serotonin zur Produktion von Melatonin und 5-MTPOL positiv beeinflusst werden könnte. In einer weiteren Studie planen die Duke-Wissenschaftler, die Blutproben ihrer Patienten sowohl tagsüber als auch nachts zu sammeln, um zu prüfen wie der Schlaf-Wach-Rhythmus, Schlafmuster, Neurotransmitter und Hormonsystem in Patienten, die auf SSRI ansprechen, verändert sind. Auch davon versprechen sich die Wissenschaftler effektivere Behandlungsstrategien.