Die Definition des polyzystischen Ovarialsyndroms (PCOS) hat sich seit den Neunzigern immer wieder geändert. Eine Erweiterung der Kriterien bedeutet, dass deutlich mehr Frauen betroffen sind. Es stellt sich die Frage: Wer sollte behandelt werden und wer nicht?
Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) gehört zu den häufigsten endokrinologischen Erkrankungen bei Frauen im gebärfähigen Alter. Es führt zur Hyperandrogenämie, zu Zyklusstörungen und zur Unfruchtbarkeit. Das klinische Bild wird außerdem von Adipositas, Störungen der Glukosetoleranz und Typ-2-Diabetes geprägt. Bei der Pathogenese scheinen sechs Genorte von Bedeutung zu sein. Sie codieren unter anderem für EGF-Rezeptoren. Bis sich daraus allerdings neue diagnostische Möglichkeiten ergeben, werden voraussichtlich noch Jahre vergehen. Das macht die Definition verschiedener Krankheiten umso problematischer.
Im Jahr 1990 forderten Experten des US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH), dass Gynäkologen eine Oligomenorrhoe bzw. Amenorrhoe und eine klinische, beziehungsweise biochemische Hyperandrogenämie nachweisen. Unter diese sehr eng gefasste Definition fällt nur eine sehr geringe Zahl an Patientinnen. Mehr als 20 Jahre später, im Jahr 2003, überarbeiteten Endokrinologen und Gynäkologen in Rotterdam die Kriterien und fassten das Krankheitsbild deutlich weiter. Sie legten im Konsensusverfahren fest, dass zwei von drei der folgenden Kriterien notwendig sind, um PCOS zu diagnostizieren:
Tessa Copp von der University of Sydney hat zusammen mit Kollegen eine Studie veröffentlicht, in der sie acht Publikationen zur Prävalenz der PCOS analysierte. Unter Anwendung der eng gefassten NIH-Kriterien von 1990 kommt sie auf 4,0 bis 6,6 Prozent Betroffene, verglichen mit 21,0 Prozent bei den weiter gefassten Rotterdam-Kriterien von 2003. „Sowohl die NIH- als auch die Rotterdam-Kriterien gehen auf mehrheitliche Expertenmeinungen zurück“, schreibt Copp. Beide seien aufgrund fehlender Evidenz was die langfristige Prognose angeht, mehrfach kritisiert worden. Nach wie vor sei unklar, ob sich die NIH- beziehungsweise die Rotterdam-Klassifikation besser eigne, um langfristige Folgen zu beurteilen.
Weiter gefasste Kriterien haben Vorteile und Nachteile zugleich: Ärzte können Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch schneller helfen, weil die Ursachen eher entdeckt werden. Patientinnen erhalten zur Ovulationsinduktion Clomifen, Letrozol beziehungsweise rekombinant hergestelltes humanes Follitropin (rFSH). Copp warnt Kollegen aber auch davor, Frauen mit wenig ausgeprägten PCOS-Anzeichen ein Leben lang zu behandeln – etwa mit antiandrogen wirksamen Hormonen, mit Präparaten zur Ovulationsinduktion oder auch mit Metformin. Außerdem bestehe die Möglichkeit, aufgrund der weiter gefassten Kriterien eigentlich gesunde Frauen mit PCOS zu diagnostizieren. Durch Ängste um mögliche Unfruchtbarkeit beispielsweise könne die Psyche dieser Frauen negativ beeinflusst werden. Alles in allem fordert Copp deshalb Einzelfallentscheidung anstelle fixer Kriterienkataloge.