Viele alte Menschen leiden am essenziellen Tremor. Ein unkontrolliertes Zittern ihrer Hände erschwert ihnen das Greifen und Halten von Gegenständen und schränkt ihr soziales Leben ein. Ein neues Verfahren könnte nun die Beschwerden der Betroffenen lindern.
Meist zittern die Arme und Hände, oft auch der Kopf oder die Stimme. Beim essenziellen Tremor, der häufigsten Bewegungsstörung bei Menschen über 65, führen diese Symptome dazu, dass viele Betroffenen Alltagsaktivitäten wie Trinken oder Schreiben kaum noch wahrnehmen können. Über die genauen Ursachen der Krankheit ist noch wenig bekannt. Bisher weiß man nur, dass bestimmte Gehirnareale wie Kleinhirn, Thalamus und Hirnstamm am Ausbruch der Krankheit beteiligt sind. Neurologen stehen für die Therapie des essenziellen Tremors eine Vielzahl von Medikamenten zur Verfügung, doch diese helfen nicht allen Patienten oder verlieren im Lauf der Behandlung ihre Wirksamkeit. Zudem begrenzen oft Nebenwirkungen ihren Einsatz. Eine Operation, bei der eine Elektrode in den Nervenkern des Thalamus eingesetzt und mit elektrischen Impulsen das Zittern unterdrückt wird, ist für viele Betroffene die letzte Hoffnung. Die auch als Tiefe Hirnstimulation bezeichnete Methode bewirkt bei etwa 70 Prozent der behandelten Patienten eine dramatische und lang anhaltende Besserung. Jedoch besteht bei dem chirurgischen Eingriff ins Gehirn das Risiko von Blutungen und Infektionen.
Nun berichten Wissenschaftler um Professor Andres M. Lozano von der Universität Toronto in der Fachzeitschrift The Lancet Neurology über eine neue Möglichkeit, Tremorpatienten erfolgreich zu behandeln, ohne dabei deren Schädeldecke zu öffnen. Bei diesem Verfahren liegt der Patient wach in der Röhre eines Kernspintomografen, mit dessen Hilfe der nur zwei Millimeter große Zielbereich im Inneren des Thalamus aufgespürt wird. Gleichzeitig ist sein Kopf in einer stereotaktischen Apparatur fixiert, die von 1024 Positionen aus Ultraschallwellen durch den Schädel auf den Zielpunkt senden, so dass sich im Schnittpunkt dieser Wellen das Hirngewebe erhitzen und inaktivieren lässt. Die Therapie mit fokussiertem Ultraschall wurde vor einigen Jahren ursprünglich zur Entfernung von Tumoren entwickelt. Im Rahmen einer Studie untersuchten Lozano und seine Mitarbeiter das Verfahren an vier Patienten, deren Tremor sich nicht mehr mit Medikamenten unterdrücken ließ. Unmittelbar nacheinander erhielten die Testpersonen zwischen 12 und 29 Beschallungszyklen, die jeweils 10 bis 25 Sekunden lang waren. Die Ultraschallwellen waren so eingestellt, dass nur auf einer Seite des Thalamus ein Teil des Nervenkerns zerstört wurde. Die Temperatur steigerten die Wissenschaftler von anfänglich 44 auf bis zu 63 Grad, während sie die Patienten wiederholt auf Wirkung und Nebenwirkungen testeten. Die Behandlung erfolgte so lange, bis das Zittern des dominanten Arms auf der anderen kontralateralen Körperhälfte fast vollständig verschwunden war.
Wie Lozano und seine Kollegen in ihrem Artikel schreiben, erfuhren die Studienteilnehmer eine unmittelbare und anhaltende Verbesserung ihrer Symptomatik: Das Zittern im behandelten Arm hatte sich nach einem Monat um durchschnittlich 89,4 Prozent verringert, nach drei Monaten waren es immer noch rund 81,3 Prozent. Bereits verlorene Fähigkeiten, wie den Namen zu schreiben oder ohne Strohhalm aus einer Tasse zu trinken, kehrten nach der Behandlung wieder zurück. Allerdings ist auch die neue Methode nicht frei von Nebenwirkungen: Ein Patient hatte Missempfindungen in Daumen und Zeigefinger, die auch nach Studienende noch nicht verschwunden waren, ein weiterer erlitt während der Prozedur eine tiefe Venenthrombose, die drei Monate lang mit Arzneien behandelt werden musste. Für die Behandlung eines Kopf- oder Stimmtremors scheint die neue Methode weniger gut geeignet zu sein: Wenn beide Seiten des Thalamus-Nervenkerns mit Ultraschallwellen behandelt würden, sei das Risiko von Sprachstörungen bei den Patienten wahrscheinlich deutlich erhöht, schreiben Lozano und seine Kollegen in der Veröffentlichung.
Andere Experten äußern sich vorsichtig optimistisch über die Arbeit der kanadischen Wissenschaftler: „Es handelt sich um eine interessante Machbarkeitsstudie, die zeigt, dass ein völlig neues Therapieprinzip bei schwer zu behandelnden Patienten mit essenziellem Tremor wirksam ist“, sagt Professor Günther Deuschl, Direktor der Klinik für Neurologie an der Universität Schleswig-Holstein in Kiel, der in der gleichen Ausgabe von The Lancet Neurology auch einen Kommentar über Lozanos Studie geschrieben hat. „Zwar sind in der Studie Nebenwirkungen wie lokale Blutungen oder sich postoperativ ausdehnende Läsionen nicht aufgetreten, aber aufgrund der geringen Zahl von Testpersonen kann man sie nicht sicher ausschließen.“ Auch habe, so Deuschl, die Methode den Nachteil, dass im Gegensatz zur tiefen Hirnstimulation eine Inaktivierung des Gewebes nicht reversibel sei. Der Mediziner plädiert für eine multizentrische Studie mit vielen Patienten und klaren Vorgaben, in deren Rahmen das neue Verfahren im Vergleich mit der tiefen Hirnstimulation getestet werden sollte, um so statistisch belastbare Daten über Wirksamkeit und Sicherheit zu erhalten. Ginge, so Deuschl, der fokussierte Ultraschall daraus erfolgreich hervor, könnte dieser eventuell auch zur Behandlung anderer Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Krankheit eingesetzt werden.