Langzeittherapien mit zahlreichen, gängigen Antibiotika können zu schweren Nebenwirkungen führen. Warum das so ist, haben Wissenschaftler nun herausgefunden. Zwei einfache Strategien sollen die gefährlichen Folgen verhindern können.
„Ärzte verschreiben Antibiotika oft freigiebig, weil sie annehmen, dass Antibiotika nur Bakterien schaden und das menschliche Gewebe nicht beeinträchtigen“, mahnen die Wissenschaftler in ihrer Studie. Es häuften sich jedoch Langzeitstudien, die von schwerwiegenden Nebeneffekten verschiedener Antibiotika berichteten. Dazu gehören Sehnenscheidenentzündungen, Innenohrprobleme und Hörverlust, Durchfall, eine gestörte Nierenfunktion und weitere Symptome. Studienleiter Dr. Jim Collins vermutet, dass derartige Nebenwirkungen dann auftreten, wenn die verabreichten Antibiotika oxidativen Stress auslösen. Unter oxidativem Stress versteht man eine Stoffwechsellage, die durch eine erhöhte Konzentration an reaktiven Sauerstoffmolekülen gekennzeichnet ist. Aufgrund ihrer hohen Reaktivität sind diese Moleküle schädlich für den Organismus. „Klinische Dosierungen von Antibiotika können oxidativen Stress auslösen, der wiederum die DNA, Proteine und Lipide in menschlichen Zellen schädigen kann. Diesen Effekt kann man jedoch mit Antioxidantien abmildern“, so Dr. Collins. Langzeitbehandlung kritisch in Zellkultur Collins Team hatte bereits entdeckt, dass Antibiotika Bakterien töten, indem sie in ihnen oxidativen Stress auslösen. Die Wissenschaftler vermuteten, dass die Nebenwirkungen der Antibiotika-Langzeittherapie durch oxidativen Stress in den menschlichen Mitochondrien, den „Kraftwerken“ der Zellen, ausgelöst werden. Um diese These zu prüfen, untersuchten sie, ob klinische Konzentrationen der Antibiotika Ciprofloxacin, Ampicillin und Kanamycin jeweils oxidativen Stress in menschlichen Zellkulturen auslösen. Zu Beginn der Versuche schienen alle drei Wirkstoffe sicher zu sein. Doch nach etwa vier Tagen Dauerbehandlung konnten die Forscher eine Fehlfunktion in den Mitochondrien der Zellen feststellen. Eine Reihe biochemischer Tests zeigte, dass alle drei Antibiotika sowohl die DNA, als auch die Proteine und Lipide der Zellen geschädigt hatten – also genau solche Schäden hervorgerufen hatten, wie sie bei oxidativem Stress zu erwarten wären. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Ärzte und Patienten in Zukunft nur dann auf Antibiotika zurückgreifen sollten, wenn es keine Alternativen gibt“, rät Collins. Auch im Tierversuch oxidativer Stress Die Wissenschaftler behandelten außerdem Mäuse mit den zuvor in der Zellkultur getesteten Antibiotika in einer Dosierung, die etwa der von klinischen Anwendungen – mausgerecht angepasst – entspricht. Alle drei Antibiotika verursachten in Langzeitanwendung Schäden in den Lipiden der Tiere. Außerdem fanden die Forscher in den Mäusen verminderte Glutathion-Level – ein weiterer Hinweis für oxidativen Stress, denn Glutathion ist ein natürliches Antioxidans des Körpers. Da sich die Langzeittherapie mit Antibiotika in der Klinik nicht immer vermeiden lässt, suchten die Wissenschaftler nach Möglichkeiten, dem oxidativen Stress, der offenbar dadurch ausgelöst wird, vorzubeugen. Auch ein Weg, wie sich bereits aufgetretener oxidativer Stress wieder beseitigen lässt, wäre für Kliniker nützlich. Die Wissenschaftler fanden beides. Tetracyclin und NAC gegen oxidativen Stress Gänzlich vermeiden ließ sich der Zellstress mit Hilfe von bakteriostatischen Antibiotika wie beispielsweise Tetracyclin. Diese töten Bakterien zwar nicht ab, verhindern aber, dass sie sich weiter vermehren. Bereits vorhandener oxidativer Stress ließ sich mit Hilfe eines bereits zugelassenen Antioxidans namens N-Acetylcystein (NAC) abmildern. Dieser Wirkstoff wird bereits bei der Therapie von Kindern mit Cystischer Fibrose angewendet. Collins und sein Team arbeiten bereits an genauen Parametern, mit denen sich oxidativer Stress am zuverlässigsten verhindern oder wieder beseitigen lässt. Da jedoch sowohl bakteriostatische Antibiotika als auch NAC bereits zugelassene Wirkstoffe sind, rechnen die Wissenschaftler damit, dass ihre Strategie Klinikern bald zu Verfügung stehen wird.