Ein einzelner Red-Flag-Marker reicht nicht aus, um Patienten herauszufiltern, hinter deren Rückenschmerzen sich ein Tumor verbirgt. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Forschergruppe und fordert weitere Studien, um aussagekräftige Kombinationen dieser Marker zu prüfen.
Von Rückenschmerzen bleiben nur wenige verschont: Rund 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland trifft es mindestens einmal im Leben. Experten schätzen, dass bei ungefähr einem von 100 Betroffen der Schmerz in der Wirbelsäule durch einen Tumor verursacht wird. Da dieser Anteil gering ist, empfehlen klinische Behandlungsleitlinien jedoch keine vorsorglichen Röntgenuntersuchungen aller Patienten. Ärzte sollen stattdessen Risikopatienten schon bei der Erhebung der Krankengeschichte anhand bestimmter Kriterien identifizieren. Zu diesen so genannten "Red-Flags" gehören zum Beispiel ein Alter von mehr als 50 Jahre, Gewichtsabnahme, Fieber, keine Besserung der Beschwerden trotz Therapie, Erschöpfung, Brustschmerz sowie eine vorherige Krebserkrankung. Finden sich eines oder mehrere dieser Kriterien, sollte der Rücken des Patienten mit Hilfe bildgebender Verfahren näher untersucht werden. Ob aber die oben genannten Red-Flags wirklich dabei helfen, Patienten mit einem Tumor von solchen zu unterscheiden, deren Rückenschmerzen eine ungefährlichere Ursache haben, war bislang unklar. Eine neue Forschungsarbeit stellt die Aussagekraft dieser Faktoren nun in Frage. Unter Leitung des Instituts für Public Health am Universitätsklinikum Heidelberg werteten Wissenschaftler Daten aus acht Studien aus, an denen insgesamt 7361 Patienten mit Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule teilnahmen und in deren Rahmen der Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Red-Flags und der tatsächlichen Krankheitsursache überprüft wurde.
Wie die Forscher um Nicholas Henschke im Online-Fachblatt The Cochrane Library bekannt gaben, hat die Auswertung dieser acht Studien gezeigt, dass sich anhand einzelner Kriterien das Risiko für einen Tumor der Wirbelsäule so gut wie gar nicht abschätzen lässt. „Bis auf eine Ausnahme, die vorherige Krebserkrankung, sind die einzelnen Red-Flag-Kriterien nicht geeignet, um bei Patienten mit Rückenschmerzen bösartige Veränderungen der Wirbelsäule vorherzusagen“, sagt Henschke, Erstautor der Veröffentlichung und Mitarbeiter am Institut für Public Health in Heidelberg. Ingesamt kamen in den acht Studien, die sich Henschke und seine Kollegen genauer anschauten, 20 verschiedene Kriterien vor – nur sieben davon wurden in mehr als einer Studie untersucht. Fast alle dieser Charakteristika erwiesen sich, einzeln betrachtet, als wenig aussagekräftig. Sie trafen häufig auch auf Patienten zu, bei denen die Ärzte keinen Tumor entdecken konnten. Lediglich eine vorangegangene Krebserkrankung erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass diese Patienten tatsächlich unter einem Tumor litten.
Die Betrachtung einzelner Kriterien führt deswegen häufig zu überflüssigen Untersuchungen: „Werden einzelne Red-Flags als Hinweis für einen Tumor herangezogen, hat das zur Folge, dass viele Patienten mit falsch-positiven Ergebnissen unnötigerweise geröntgt und einer Strahlenbelastung ausgesetzt werden, die selbst schädlich sein kann“, sagt Henschke. Zwar gebe es, so der Wissenschaftler, mit der Kernspintomographie ein Verfahren ohne schädliche Nebenwirkungen, doch aufgrund der hohen Kosten, eigne es sich nicht für einen flächendeckenden Einsatz bei Patienten mit Rückenschmerzen. Henschke weist aber auch auf eine Schwäche der neuen Forschungsarbeit hin: “Die Datenlage ist noch sehr dünn, da in den ausgewerteten Studien bei weniger als einem Prozent der Patienten eine Krebserkrankung der Wirbelsäule diagnostiziert wurde.“ Knochenmetastasen in der Wirbelsäule, so der Wissenschaftler, seien selten und primäre Tumoren des Rückenmarks noch seltener“, sagt Henschke. Es bedürfe einer Studie mit einer deutlich größeren Zahl an Teilnehmern, um die Aussagekraft der Red-Flags abschließend beurteilen zu können. Momentan finden laut Henschke Diskussionen darüber statt, wie eine solche Studie finanziert werden könnte.
Ein weiterer wichtiger Punkt für zukünftige Untersuchungen: „Besonders die Kombination verschiedener Kriterien sollte in Zukunft genauer geprüft werden“, sagt Henschke. „Unsere Studie untersucht die diagnostische Zuverlässigkeit einzelner Kriterien.“ Es sei aber wahrscheinlich sinnvoller, mehrere Aspekte zu betrachten, um einen Patienten zu beurteilen.“ Welche Charakteristika sich in Kombination dazu am besten eignen, müssten weitere Studien zeigen.