Die Menschen in Deutschland scheinen optimistisch zu sein, wenn es um ihre Gesundheit geht - auch wenn die Zahlen eine andere Sprache sprechen. Die DEGS1-Studie bietet nun einen repräsentativen Überblick zur Gesundheit der Deutschen.
Lieber reich und gesund, als arm und krank – oder wie war das noch mal? In Deutschland könnte das Sprichwort durchaus so lauten, wie Daten der aktuellen „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland" (DEGS1) des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen. Dazu befragten und untersuchten Ärzte und Mitarbeiter des RKI über 3 Jahre (von 2008 bis 2011) einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung zu ihrem Gesundheitszustand. Die Antworten und Untersuchungsergebnisse von etwa 8.000 Menschen zwischen 18 und 79 Jahren spiegeln den Gesundheitszustand der Bevölkerung in Deutschland wider – und der könnte durchaus besser sein. Wer sozial besser gestellt ist, ist gesünder – zumindest laut den Daten der DEGS1-Studie. Das RKI betrachtete den selbst eingeschätzten allgemeinen Gesundheitszustand, Diabetes mellitus, Adipositas, depressive Symptomatik und sportliche Inaktivität seiner Probanden. Dabei schätzten 25,3 % der 18- bis 79-jährigen Erwachsenen in Deutschland ihren allgemeinen Gesundheitszustand als „mittelmäßig“, „schlecht“ oder „sehr schlecht“ ein. Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status schätzten zu 43,5 % ihren allgemeinen Gesundheitszustand als „mittelmäßig“ bis „sehr schlecht“ ein. In der mittleren und hohen Statusgruppe waren es 26,2 bzw. 11,8 %. Bei Männern betragen die Vergleichswerte 36,7 % in der niedrigen, 22,3 % in der mittleren und 14,2 % in der hohen Statusgruppe. Die Unterschiede nach dem sozioökonomischen Status waren in allen betrachteten Altersgruppen festzustellen. Mit dieser Selbsteinschätzung liegen die Betroffenen gar nicht so falsch. Die Studie zeigte, dass die sozialen Lebensverhältnisse nach wie vor eine der wichtigsten gesundheitlichen Einflussgrößen überhaupt sind. Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status sind zum Beispiel häufiger an Diabetes erkrankt. Außerdem ist bei ihnen das Risiko für eine depressive Symptomatik, Adipositas und sportliche Inaktivität erhöht.
Insgesamt schätzen etwa 75 % der befragten Menschen ihren Gesundheitszustand als „gut“ oder sogar „sehr gut“ ein. „Die subjektive Gesundheit ist neben objektiven Messgrößen ein wichtiges und umfassendes Maß, um den Gesundheitszustand von Personen oder Bevölkerungsgruppen abzuschätzen. Die eigene Wahrnehmung der Gesundheit beeinflusst den Umgang mit Beschwerden, die Nachfrage nach medizinischer Hilfe und die weitere gesundheitliche Entwicklung“, kommentiert das RKI diesen Punkt auf seiner Webseite. Selbst in der Altersgruppe ab 70 Jahren bewertet über die Hälfte der Befragten den eigenen Gesundheitszustand immer noch positiv. Das verwundert, denn laut der Studiendaten leidet jeder zweite Erwachsene unter hohem Blutdruck. Fast die Hälfte der Befragten weist erhöhte Cholesterinwerte auf, und die Zahl der Diabetes-Patienten stieg seit der letzten Befragung, dem Bundes-Gesundheitssurvey (BGS) 1998, um rund 40 % an. Ein Drittel des Anstiegs sei allerdings auf die demografische Alterung der Bevölkerung zurückzuführen, komme also dadurch zustande, dass ältere Menschen ein höheres Risiko für Diabetes haben und die Bevölkerung heute im Durchschnitt älter ist als noch vor zehn Jahren, so die Studienautoren.
„Gerade im höheren Alter wird Gesundheit oft mit der Abwesenheit von Beschwerden gleichgesetzt“, erklärte Anke Christine Saß vom Robert-Koch-Institut gegenüber dem „Spiegel“. Die eigene Wahrnehmung der Gesundheit beeinflusse den Umgang mit Beschwerden und sogar die gesundheitliche Entwicklung eines Menschen. „Das gilt für alle Altersgruppen, mit den Jahren klafft die Lücke zwischen Einschätzung und objektiver Gesundheitslage aber immer weiter auseinander“, so die RKI-Expertin und Studien-Koautorin.
Trotz positiver Selbsteinschätzung wurde bei 7,2 % der Menschen in Deutschland ein Diabetes diagnostiziert – 1998 waren es nur 5,8 %. Werden die Menschen in Deutschland immer dicker und leiden deshalb vermehrt unter Diabetes? Insgesamt hat sich die Zahl der übergewichtigen Deutschen zwar auf einem hohen Niveau eingependelt, ist aber gegenüber 1998 sogar um 1,5 Prozentpunkte gesunken. Damit sind aber immer noch mehr als zwei Drittel der deutschen Männer zwischen 18 und 79 Jahren übergewichtig, nämlich 67,1 Prozent. Bei den Frauen fallen 53,0 Prozent in die Kategorie mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 25. Die Zahl der adipösen Menschen - mit einem BMI von mehr als 30 - hat in Deutschland im letzten Jahrzehnt allerdings kräftig zugenommen. Die aktuellen Werte bescheinigen, dass 23,3 Prozent der Männer und 23,9 Prozent der Frauen extrem übergewichtig sind. Im BGS von 1998 waren dagegen nur 19,5 Prozent der Männer und 23,1 Prozent der Frauen adipös. Besonders junge Männer scheinen mit überflüssigen Pfunden zu kämpfen. Trotz des scheinbar ungebremsten Optimismus der Bevölkerung gibt dieser Trend Anlass zur Sorge, denn gerade stark Übergewichtige sind besonders gefährdet, an Herz-Kreislauf-Leiden oder Stoffwechselstörungen zu erkranken.
In über 7.000 Blutproben hat das Team vom RKI außerdem verschiedene Stoffwechselprodukte untersucht. Demnach haben in Deutschland 60,5 % der Frauen und 56,6 % der Männer einen erhöhten Cholesterinspiegel (über 190 mg/dl im Blut). Wenn zusätzlich zu einem aktuell erhöhten Cholesterinwert im Blut auch ärztlich diagnostizierte Fettstoffwechselstörungen berücksichtigt werden, weisen 65,7 % der Frauen und 64,5 % der Männer eine Fettstoffwechselstörung auf. Von denjenigen, die von ihrer Erkrankung wissen, sei auch nur ein knappes Drittel in medikamentöser Behandlung, so die Studienautoren.
Besorgniserregend sind auch die Ergebnisse zu den psychischen Erkrankungen. Zum Zeitpunkt der Studie litten 8,1 % der befragten Teilnehmer an einer Depression. Mit fast 10 % war die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen am stärksten betroffen. Die niedrigsten Werte fanden die Forscher bei den über 65-Jährigen (6,3 %). Ältere Menschen waren jedoch häufiger von einem Burnout betroffen. Während nur 1,4 % der 18- bis 29-Jährigen zum Zeitpunkt der Befragung darunter litten, gaben 6,6 Prozent der 50- bis 59-Jährigen an, extrem gestresst und ausgebrannt zu sein. In diesem Punkt haben die sozioökonomisch besser Gestellten ausnahmsweise das Nachsehen: Während bei der Depression die Häufigkeit abnimmt, je höher der sozioökonomische Status ist, wird ein Burnout-Syndrom immer wahrscheinlicher, je besser es einem Menschen wirtschaftlich geht und je höher seine Bildung ist.
Ja, aber die Menschen in Deutschland tun etwas dagegen – nämlich Sport – und das viel häufiger als noch vor 10 Jahren. Etwa ein Drittel der Erwachsenen gibt an, stark auf ausreichende Bewegung zu achten, und ein Viertel treibt regelmäßig mindestens zwei Stunden Sport pro Woche, Männer etwas mehr als Frauen. Dass die Empfehlungen der WHO zur gesundheitsfördernden körperlichen Aktivität dennoch bislang nur von etwa 20 Prozent der Erwachsenen erfüllt werden, deutet jedoch auf ein aktuelles Handlungsfeld für gesundheitspolitische Maßnahmen hin, folgern die Autoren der DEGS1-Erhebung.
Die DEGS1-Daten ermöglichen auch Aussagen über die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und deren Veränderung seit den Neunzigerjahren. Seit dem BGS 1998 hat insbesondere bei älteren Personen die Anzahl der kontaktierten Fachärzte zugenommen. Gleichzeitig haben jedoch die Kontakthäufigkeit und die Krankenhausverweildauer in diesem Zeitraum abgenommen. Frauen berichteten im Durchschnitt von 10,7 und Männer von 7,9 Arztkontakten pro Jahr; Ende der Neunzigerjahre waren für Frauen 12,7 und für Männer 9,1 Arztkontakte gemessen worden. Regelmäßig gehen inzwischen 67,2 % bzw. 40 % der anspruchsberechtigten Frauen bzw. Männer zu den von der Gesetzlichen Krankenversicherung angebotenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen.
„Grundlage für fundierte gesundheitspolitische Maßnahmen sind umfassende und verlässliche Kenntnisse über die gesundheitliche Lage in Deutschland. Um solche Aussagen treffen zu können, sind aktuelle Gesundheitsdaten erforderlich“, erklärt das RKI auf seiner Webseite. Deshalb führt das Institut unter dem Namen „Gesundheitsmonitoring“ regelmäßig bundesweite Gesundheitsstudien durch. Die DEGS gehört zusammen mit der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS) und „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) zu den drei Säulen des Gesundheitsmonitorings. Zusammen mit anderen Daten schaffen diese auch eine umfassende Informationsgrundlage für die Gesundheitswissenschaften in Deutschland.