In den Entwicklungsländern haben mehr als 120 Millionen Menschen Filarien in ihrem Körper. Medizinisch ein Kampf gegen Windmühlen? Sicher nicht, wie Pilotprojekte aus dem westafrikanischen Togo zeigen. Jetzt liegt ein Abschlussbericht vor.
Wie so oft in den Tropen beginnt alles mit einem Stich: Mücken der Gattungen Aedes, Anopheles, Culex und Mansonia übertragen Larven verschiedener Filarien. Bei ihrer Blutmahlzeit gelangen Brugia malayi oder Wuchereria bancrofti in unsere Lymphgefäße und entwickeln sich zu adulten Fadenwürmern. Daraus entstehende Mikrofilarien wandern schließlich in den Blutstrom und infizieren weitere Blutsauger – ein Teufelskreislauf. Bei Menschen führt die lymphatische Filariose über Monate und Jahre hinweg zu immensen Beschwerden.
Nach einer Infektion werden zunächst die Lymphknoten und später die peripheren Lymphgefäße in Mitleidenschaft gezogen – vor allem durch aktive und abgestorbene Mikrofilarien. Bei Männern gelten Schwellungen, Entzündungen und Ödeme im Hoden als erste Anzeichen. Schreitet die Krankheit voran, verstopfen mehr und mehr Lymphgefäße. Durch die Abflussstörung entsteht ohne Behandlung schließlich eine Elephantiasis des Beins. In der betroffenen Extremität verhärtet sich die Haut, und schwer heilende Wunden kommen noch hinzu. Betroffene leiden zudem unter sozialer Isolation und Stigmatisierung. https://www.youtube.com/watch?v=dnWwHthkGkY
Da Mikrofilarien vor allem nachts auftreten, sollten Blutuntersuchungen ebenfalls zu später Stunde erfolgen. Blutsaugende Mücken, die Vektoren entsprechender Fadenwürmer, sind ebenfalls nach Sonnenuntergang aktiv – darauf hat sich der Parasit eingestellt. Im Blut von Patienten fallen zunächst eosinophile Granulozyten auf. Über immunologische Verfahren lassen sich sowohl Antikörper als auch parasitäre Antigene selbst bestimmen. Zur Therapie stehen mittlerweile drei Arzneistoffe parat: Diethylcarbamazin, Ivermectin sowie Albendazol. Allein die Tatsache hilft Menschen in Entwicklungsländern recht wenig – laut Weltgesundheitsorganisation WHO kostet die Erkrankung in Afrika 400 bis 500 Disability Adjusted Life Years (DALYs) unter 100.000 Einwohnern. Das Modell beinhaltet nicht nur verlorene Jahre durch einen frühen Tod, sondern auch Einschränkungen des normalen, beschwerdefreien Lebens.
Bereits 1997 entwickelte die World Health Assembly, ein Forum der Weltgesundheitsorganisation WHO, deshalb Aktionspläne zum Kampf gegen lymphatische Filariose. Drei Jahre später entstand das „Global Programme to Eliminate Lymphatic Filariasis“. GlaxoSmithKline und Merck versprachen, dringend benötigte Medikamente so lange zu spenden, bis die Krankheit eliminiert worden ist. Daraufhin starteten togolesische Gesundheitsbehörden eine Kampagne, um Fadenwürmer ein für alle Mal zu eliminieren - der westafrikanische Staat ist neben 34 Ländern des Kontinents besonders stark betroffen. Um sich ein genaues Bild zu machen, untersuchten Ärzte Blutproben flächendeckend via Immunchromatografie auf Antigene und speisten alle Daten in „Health Mapper“ ein. Das WHO-Programm zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten steht im Netz kostenlos zur Verfügung. Damit gelang es, mehrere endemische Regionen zu identifizieren.
Doch wie lassen sich knapp sieben Millionen Menschen mit Arzneimitteln versorgen? Hier spielen Mitarbeiter des Gesundheitssystems, sogenannte Community Health Workers (CHWs), eine zentrale Rolle. Sie zählten Menschen in ihrer jeweiligen Region und meldeten den Bedarf an Medikamenten. Schließlich verteilten sie Präparate an einzelne Haushalte, erklärten aber auch, warum die Einnahme so immens wichtig ist. Wie Arbeiten aus anderen Ländern gezeigt haben, gelingt es über CHWs, die Compliance zu verbessern und Vorbehalte abzubauen. Im Togo verteilten sie Albendazol und Ivermectin. Für Kinder unter fünf Jahren sind beide Präparate jedoch ungeeignet. Da Geburten nicht immer erfasst werden, setzen Mitarbeiter die Grenze bei 90 Zentimetern Körpergröße. Schwangere und Menschen mit schweren Vorerkrankungen erhielten ebenfalls keine Präparate.
Ab 2004 erreichten CHWs mehr als 80 Prozent aller Einwohner. Je nach Prävalenz der Erkrankung im Distrikt wurden fünf bis neun Mal Medikamente verteilt. In Sierra Leone stellten Wissenschaftler fest, dass bei vorbehandelten Patienten sogar drei Zyklen ausreichen. Zahlreiche Einwohner hatten gegen die Onchozerkose („Flussblindheit“) bereits Ivermectin erhalten. Um den Erfolg im Togo zu evaluieren, richteten staatliche Stellen in drei endemischen Regionen Labors ein. Bereits vor der Medikation untersuchten Mitarbeiter das Blut von 500 Probanden – immer zwischen 22:00 Uhr abends und 2:00 Uhr nachts, um die aktivste Phase von Mikrofilarien abzupassen. Sie fanden in bis zu 36 Prozent aller Proben Entwicklungsstadien von Fadenwürmern. Durch die Medikation war schließlich nur noch ein Prozent betroffen. In fünf von sieben Distrikten sank die Prävalenz sogar auf null Prozent.
Für Patienten mit weit fortgeschrittener Filariose reichen Pharmakotherapien allein nicht aus. Deshalb beschlossen Regierungsvertreter, mindestens einen medizinischen Mitarbeiter der landesweit 570 Gesundheitszentren darin zu schulen, wie sich Lymphödeme behandeln lassen. Unterstützung kam von den amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sowie von der U.S. Agency for International Development (USAID). Kurz darauf begann eine neue Kampagne, um Bürger zu informieren, dass es medizinische Hilfe bei geschwollenen Füßen gibt. Innerhalb eines Jahres erreichte das Programm ganz Togo. Ärzte behandelten 1.083 Patienten, von denen 30 Prozent nicht aus endemischen Gebieten kamen. Drei Jahre nach dem Start ergab eine Evaluation, dass 62 Prozent aller ursprünglich Behandelten weiterhin am Programm teilnahmen. Auch vertrauen immer mehr Togolesen der modernen Chirurgie, und so sank die Quote an traditionellen – wenig erfolgversprechenden – Behandlungen von 38,8 auf 2,8 Prozent.
Togos Erfolg kam letztlich durch mehrere Faktoren zu Stande: Mit ihrem „National Program to Eliminate Lymphatic Filariasis“ machten Gesundheitsbehörden einen ersten, wichtigen Schritt. Sie setzen auf Community Health Workers, um Vorbehalte in der Bevölkerung zu vermeiden und Bürger vor Ort zu erreichen. Ohne medizinische und finanzielle Hilfe aus den USA hätte das westafrikanische Land aber kaum gewonnen. Bleibt noch, vorhandene Ressourcen effizient zu nutzen, etwa durch Kombinationsuntersuchungen auf Malaria und Mikrofilarien. Vektoren übertragen nicht selten beide Parasiten, und Patienten leiden an Koinfektionen. Bis 2015 könnte Togo die lymphatische Filariose endgültig besiegt haben. Vom etablierten Modell profitieren mittlerweile auch andere Länder. Als Achillesferse gilt die mehrmalige Gabe von Arzneistoffen. Wissenschaftler arbeiten deshalb an Vakzinen, zumindest im Tiermodell hatten sie bereits Erfolg.