Die Bundesärztekammer hat ihre Richtlinie zur Hämotherapie überarbeitet. Ab jetzt dürfen auch homo- und bisexuelle Männer Blut spenden. Aber nur, wenn der letzte sexuelle Kontakt mindestens ein Jahr her ist. Die neue Regelung stößt bei vielen auf Empörung.
Mit der überarbeiteten Hämotherapie-Richtlinie kommt die Bundesärztekammer ihrer Aufgabe nach, gemäß Transfusionsgesetz Neuerungen aus Wissenschaft und Technik zu berücksichtigen. Die Grenze zur Politik ist fließend. Nach wie vor spielen MSM eine Sonderrolle. Sie dürfen erst nach zwölfmonatiger sexueller Enthaltsamkeit Blut spenden. Wie Ärzte dies überprüfen sollen, ist eine offene Frage.
Zum Hintergrund: „Die Auswertung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse führte unter Berücksichtigung der europäischen Richtlinie 2004/33/EG zur Präzisierung der Spenderauswahlkriterien“, heißt es in einer Mitteilung der Bundesärztekammer. Im Klartext bedeutet dies, eine Blutspende führe zwölf Monate „nach Beendigung des sexuellen Risikoverhaltens“ nicht zu höheren Risiken für Empfänger von Blutprodukten. Bislang waren Männer, die mit Männern Sex haben sowie männliche und weibliche Prostituierte, aber auch Menschen mit häufig wechselnden Partnern von Blutspenden ausgeschlossen. Der Europäische Gerichtshof hat 2015 entschieden, ein Verbot sei nur soweit gerechtfertigt, wie sich Übertragungsrisiken nicht auf anderen Wegen reduzieren ließen.
„Die Beratung der neuen Hämotherapie-Richtlinie hat sich sieben Jahre lang hingezogen“, so Axel Hochrein vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD). Zwar seien viele hochkarätige Wissenschaftler und das Bundesgesundheitsministerium beteiligt gewesen. „Das Papier ist gleichwohl – zumindest im Hinblick auf MSM (Männer, die mit Männern Sex haben) – wissenschaftlich nicht haltbar“, so seine Einschätzung. „Um sie weiterhin dauerhaft von der Blutspende auszuschließen zu können, haben die Verfasser der Richtlinie alle MSM zu einer einheitlichen Risikogruppe zusammengefasst, die sämtlich dasselbe hohe Übertragungsrisiko haben.“ Er fordert, von Risikoverhalten statt von einer Risikogruppe zu sprechen – etwa bei MSM, die Kondome benutzen und/oder in einer monogamen Partnerschaft leben. Die medikamentöse HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) sei aufgrund fehlender Zulassungen in Deutschland gar nicht bewertet worden. „Tatsächlich ist die europäische Zulassung der PrEP mit Tenofovir/Emtricitabin (Truvada®) schon Mitte des vergangenen Jahres erfolgt,“ ergänzt Hochrein.
„Die neue Regelung geht nicht weit genug“, kritisiert Björn Beck vom Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe. Eine HIV-Infektion könne heute sechs Wochen nach dem letzten Risiko sicher ausgeschlossen werden. Dieser Zeitraum wäre nachvollziehbar. „Eine Frist von einem Jahr schließt die meisten schwulen und bisexuellen Männer weiterhin unnötig von der Blutspende aus. Das ist nicht mehr als Kosmetik und eine Unverschämtheit.“ Sein Verband verweist in dem Zusammenhang auf andere europäische Nationen. Ab 2018 gilt in England und Schottland eine Spanne von drei Monaten. Nicht akzeptabel sei Beck zufolge außerdem die gesonderte Nennung „transsexueller Personen mit sexuellem Risikoverhalten“. Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft von Bündnis 90/Die Grünen, lässt am neuen Leitfaden ebenfalls kein gutes Haar: „Die Novellierung der Bundesärztekammer führt die Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern weiter fort. Eine Frist von zwölf Monaten ohne Sex für eine Blutspende, das ist sachlich unbegründet. Sie sollte sich an der Nachweisbarkeit einer HIV-Neuinfektion orientieren – diese beträgt sechs Wochen.“
Experten halten diese Kritik für nicht gerechtfertigt. Auch angesichts sensitiver und spezifischer neuer Testverfahren sei es weiterhin notwendig, Personen mit sexuellem Risikoverhalten nicht zur Blutspende zuzulassen, um die Sicherheit der Empfänger in Deutschland zu gewährleisten, erklärte Peter Scriba vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Kerstin Schweiger vom DRK-Blutspendedienst Nord-Ost ergänzt: „Die Hämotherapie-Richtlinien sind für alle in Deutschland tätigen Blutspendedienste verpflichtend und gesetzlich verankert, das gilt auch für alle DRK-Blutspendedienste.“ Fachkreise seien weltweit zu der Erkenntnis gekommen, dass eine dauerhafte Rückstellung von Personen mit sexuellem Risikoverhalten nicht mehr zwingend notwendig wäre. „Insofern ermöglicht es dieser wissenschaftliche Fortschritt, die lebenslange Rückstellung solcher Personenkreise von der Blutspende auf eine befristete zu reduzieren, ohne dass zumindest nach derzeitigem Wissensstand ein signifikantes Zusatzrisiko entstünde“, sagt Schweiger. „Diesem Fortschritt trägt die Richtlinie Rechnung.“